DER WEG ZUR NÄHE
Sandra spürte wie ihr Herz schneller schlug, als sie durch den Flur des Pflegeheims ging. Ihre Schritte hallten leise auf dem glänzenden Linoleum, und ihre Gedanken drehten sich nur um einen einzigen Menschen – Christoph. Seitdem sie ihn vor einigen Monaten als neuen Patienten übernommen hatte, war ihr Leben nicht mehr das gleiche. Christoph, mit seinen sanften blauen Augen und dem verschmitzten Lächeln, das er immer dann zeigte, wenn er einen ihrer Scherze verstand, hatte ihr Herz erobert. Und zwar nicht auf die Art, wie es für eine Pflegekraft typisch war. Nein, es war viel tiefer.Sie erreichte sein Zimmer und klopfte vorsichtig an die Tür, bevor sie eintrat. Christoph saß, wie so oft, am Fenster in seinem Rollstuhl und blickte hinaus auf den kleinen Garten. Die Sonne malte goldene Lichtflecken auf seinen schmalen, aber kräftigen Oberkörper, den er durch ständige Bewegung in Form hielt. Er drehte sich um und schenkte ihr ein Lächeln, das ihr jedes Mal den Atem raubte.
„Hallo, Sandra“, begrüßte er sie, und sie spürte, wie sich ihre Wangen bei dem Klang seines Namens röteten.
„Hallo Christoph“, erwiderte sie leise. „Wie geht es dir heute?“
„Es geht“, antwortete er mit einem Schulterzucken. „Der Tag ist schön. Es wäre schade, ihn hier drinnen zu verbringen.“
Sandra nickte zustimmend. Sie liebte es, mit ihm draußen zu sein, ihm zuzuhören, wie er über seine früheren Reisen erzählte, über die Orte, die er besucht hatte, bevor der Unfall ihn an den Rollstuhl fesselte. Es schmerzte sie zu sehen, wie er manchmal mit den Gedanken in der Vergangenheit festhing, doch sie wusste auch, dass diese Erinnerungen ihm halfen, die Gegenwart zu ertragen.
Sie verbrachten den Nachmittag im Park, spazierten am See entlang, und Christoph erzählte von seiner Liebe zum Segeln, die er als junger Mann entdeckt hatte. Sandra lachte an den richtigen Stellen, doch ihre Gedanken waren bei etwas anderem. Sie wollte ihm näher sein – nicht nur als Freundin, sondern als Frau. Sie sehnte sich danach, ihn zu berühren, ihn zu spüren, ihm zu zeigen, dass sie mehr für ihn empfand, als nur berufliche Zuneigung. Doch jedes Mal, wenn sie versuchte, ihm diese Gefühle zu offenbaren, wich er zurück.
Als sie später am Abend gemeinsam in seinem Zimmer saßen, wagte sie einen weiteren Versuch. Ihre Hand ruhte sanft auf seinem Oberschenkel, und sie sah ihm tief in die Augen.
„Christoph“, begann sie zögerlich, „ich... ich denke, du weißt, dass ich mehr für dich empfinde. Ich möchte dir so viel mehr geben, als nur Pflege. Ich... ich liebe dich.“
Die Worte waren draußen, und für einen Moment schien die Zeit stillzustehen. Christophs Gesicht verhärtete sich, und er schloss die Augen, als ob er sich vor dem schützen wollte, was er sagen musste.
„Sandra“, begann er mit schwerer Stimme, „du bist wunderbar. Du bist schön, klug, einfühlsam. Jeder Mann wäre glücklich, dich an seiner Seite zu haben. Aber ich... ich kann das nicht. Ich kann dir nicht das geben, was du brauchst. Was du verdienst. Ich bin... ich bin nicht mehr der Mann, der ich einmal war. Mein Körper...“
Er stockte, kämpfte mit den Worten. „Ich kann keine körperliche Nähe mehr zulassen, Sandra. Nicht auf die Art, wie du es dir vorstellst. Ich habe zu viel verloren... Ich möchte dich nicht enttäuschen, möchte dich nicht verletzen.“
Sandra spürte, wie ihr die Tränen in die Augen stiegen. Doch sie hielt seinen Blick fest. „Christoph, es geht mir nicht um deinen Körper. Es geht um dich. Um das, was wir teilen, was wir gemeinsam erleben. Die Liebe, die ich für dich empfinde, geht weit über das hinaus. Ich will dich nicht verlieren, nur weil du denkst, dass du mir nicht genug geben kannst.“
Doch Christoph schüttelte nur den Kopf. „Du verstehst es nicht, Sandra. Es ist nicht so einfach. Ich kann keine Beziehung führen, wie du sie verdienst. Ich möchte nicht, dass du dir deinetwegen aufopferst.“
Sandra biss sich auf die Lippe. „Aber es ist meine Entscheidung. Nicht deine. Ich liebe dich, Christoph, und ich werde nicht aufgeben. Nicht, bis du mir eine Chance gibst.“
Die Stille, die sich zwischen ihnen ausbreitete, war fast unerträglich. Schließlich seufzte Christoph tief und sah sie mit einem traurigen, aber auch dankbaren Lächeln an.
„Du bist unglaublich, weißt du das? Aber ich brauche Zeit. Zeit, um herauszufinden, wie ich mit all dem umgehen kann.“
Sandra nickte und spürte, wie sich ihre Brust langsam entspannte. Sie würde warten, so lange es nötig war. Denn sie wusste, dass ihre Liebe zu Christoph stärker war als alle Hindernisse, die zwischen ihnen standen.