Ich beziehe mich ausschließlich auf den ursprünglichen Post.
Mit dem, was du beschreibst, bist du nicht alleine. Ich höre solche Geschichten immer wieder in ähnlicher Form. Manchmal ist es wie bei dir (Kinder und dann ist es vorbei mit dem Sex bzw. alles dreht sich nur noch um die Kindern, nichts mehr um die Partnerschaft), oft hört es mit der Libido einfach auf. Manchmal versteht der eine Partner erst nach Jahren, dass der andere Partner noch nie an Sex und Intimität interessiert war und das nur erduldete, weil "man" es tut. Dabei gibt es ebenso betroffene Männer wie Frauen. Auf den Punkt gebracht sagt eine(r): Ich brauche keinen Sex mehr, ich lebe jetzt im Zölibat. Oder noch extremer: Ich brauche keine Intimität mehr. Der andere fragt sich dann: Will ich mit einer Nonne / einem Priester verheiratet sein, die / der im Zölibat lebt?
Soweit passt das auch zu deiner Situation: einseitiger Beschluss.
Es gibt auch noch andere Szenarien mit ähnlichen Resultaten: Die Sexualität eines der Partner entwickelt sich (jemand entdeckt z.B. seine Bi-Seite oder einen Kink), dem anderen Partner ist das aber nicht zugänglich. Das ist aber eine andere Story.
Du hast versucht zu reden. - Mir hat mal eine Paartherapeutin gesagt, dass reden meist nicht hilft. Man hat geredet. Ändern tut sich nichts. Passt auch zu deiner Situation.
Du schreibst sinngemäß, dass du Verständnis für viele nachvollziehbare Gründe hast. Aber 10 Jahre am Stück, da hört das Verständnis auf. - Ich frage hier: Wenn sich 10 Jahre nichts verändert hat, warum sollte sich (ungeachtet der Gründe, für die du Verständnis hast) im nächsten Jahr etwas verändern?
Nun willst du deiner Frau sagen, dass du auf Erotik und Sex nicht (mehr) verzichten willst. Du willst das ändern. Das willst du deiner Frau sagen. Und nun plagt dich die Frage: Ist das Erpressung und unfair? Oder ist das fair und eine Handlungsoption.
Meine erste Assoziation zu deinem Beitrag ist: Du sorgst dich um deine Frau mehr als um dich selbst.
Wenn ich mich nun im Bekanntenkreis umsehe, gibt es eine Reihe von Varianten, die aus dieser Situation entstanden sind. Ich zähle einige auf:
• Die Partner reden nicht miteinander, sie leiden stumm weiter.
• Die Partner reden nicht miteinander, der aktive Partner geht fremd.
• Der Partner, der den Zölibat gewählt hat, ermutigt den Partner, der seine Sexualität leben will, dies mit anderen Menschen zu tun (=Öffnung der Beziehung auf Vorschlag des verlangensschwachen Partners). Manchmal hat der ermutigte Partner Skrupel, das zu tun. Oft läuft es gut.
• Der Partner, der den Zölibat gewählt hat, akzeptiert widerwillig (=toleriert mühsam), dass der aktivere Partner etwas anderes sucht.
• Eine Blüte ist, dass der im Zölibat lebenden Partner dem anderen sagt, er solle sich außer Haus etwas suchen, er will es aber nicht wissen. D.h., vom Partner wird gefordert: "Lüge mich an."
• Der Partner, der im Zölibat lebt, verlangt vom anderen Partner, der Zölibat zu teilen. D.h., er will über die Bedürfnisse des anderen Partners bestimmen.
• Der Partner, der nicht im Zölibat lebt, verlangt vom anderen Partner, dass er seine "ehelichen Pflichten" (oder wie immer du das nennen willst) erfüllt. Vielleicht tut er das, aber befriedigender Sex wird das nicht.
• Der Partner, der eigentlich keinen Sex will, lässt ihn über sich ergehen. Er beteiligt sich lustlos und das Ergebnis ist unbefriedigend.
• Der Partner, der nicht im Zölibat lebt, schlägt die Öffnung der Beziehung vor.
• Ein Partner sagt dem anderen: "So will ich meine Sexualität nicht weiter leben." Der andere fragt: "Was willst du zum Abendessen?" (=ich will mich nicht mit deinen Bedürfnissen auseinandersetzen, es geht nur um meine).
Zur Frage, ob du klar aussprechen sollst, dass du deine Sexualität leben willst, kriegst du meine ebenso klare Fremdeinschätzung: Ja.
Ja, jeder Mensch soll seine Bedürfnisse und Wünsche seinem Partner mitteilen. Wenn ich meiner Partnerin in dieser Hinsicht nicht vertrauen kann, wenn ich mich ihr nicht anvertrauen kann, wem dann? Meiner Meinung nach darf es keine Rede- und Denkverbote in einer Beziehung geben. Jeder (auch du) muss sich mitteilen dürfen. Jeder Partner muss aussprechen dürfen, was ihn bewegt und was ihm wichtig ist.
Gleichzeitig gilt aber: Der Partner muss sich zwar alles anhören, was du über dich(!) und damit über deine(!) Bedürfnisse zu sagen hast. Der Partner ist aber nicht dafür zuständig, deine Bedürfnisse zu befriedigen. Erwachsene müssen bestenfalls die Bedürfnisse ihrer kleinen Kinder befriedigen, nicht aber die von anderen erwachsenen Menschen. Etwas knalliger: Deine Frau ist nicht dafür zuständig, dass du glücklich bist. Sie hat aber auch kein Recht, deinem Glück im Wege zu stehen.
Was ebenso klar ist: Ändern kannst du nur etwas für dich selber, nicht für deine Frau. Wenn sie keinen Wunsch nach Sex hat kannst du sie nicht dazu zwingen. Ein Nein ist ein Nein, sie muss das nicht einmal begründen. Ich glaube zwar, dass es für sie gut wäre, wenn sie für sich eine nachvollziehbare Erklärung für ihre Ablehnung ihrer eigenen Sexualität, Lust, Erotik und Intimität hat, aber dir muss sie das nicht sagen.
Ich persönlich würde sie nicht mit einem "Entweder du liefest mir Sex oder ich hole ihn mir anderswo" konfrontieren, auch wenn es offensichtlich nicht sehr viel mehr Möglichkeiten gibt. Womöglich liefert sie ihn dir dann auf eine vollkommen unbefriedigende Art und Weise. Hast du Lust mit einem Stein ins Bett zu gehen? Wohl kaum. Sie leidet, du leidest, ihr seid nicht wirklich weiter gekommen.
Mein Ansatz wäre: Ich teile meiner Frau mit, wie es mir geht. Ich sage ihr, dass ich Sex vermisse, dass ich ihn zum Vergnügen praktizieren will und nicht nur zur Fortpflanzung, dass ich zehn Jahre ihr zuliebe verzichtet habe, dass nun ein Punkt der Selbstverleugung erreicht ist, an dem ich nicht mehr mein eigenes Leben lebe sondern nur eines, von dem ich glaube, dass sie es von mir erwartet. Ich will aber wissen, ob sie das tatsächlich so von mir erwartet: ich teile den Zölibat. Ich sage ihr auch, dass ich nicht von ihr erwarte, dass sie etwas ändert. Aber ich werde etwas ändern. Und dann frage ich: Wie gehen wir mit der Situation um? Was schlägst du mir vor? - Vielleicht konfrontiert sie sich nun erstmals mit der Frage nach der Zukunft der gemeinsamen Beziehung. Hier nun sofort ein entweder-oder zu erwarten, ist m.E. überfordernd. Ich würde ihr sagen, dass ich nicht sofort eine Antwort erwarte. Aber heute in einer Woche willst du das Gespräch fortsetzen.
An der Stelle gibt es zwei Möglichkeiten: Sie wird konstruktiv und redet mit dir. Oder sie frägt dich sinngemäß: "Was willst du zum Abendessen?" D.h., sie weicht dem Thema aus, sagt dir z.B., dass jetzt keine gute Zeit ist ("Wann? Datum und Uhrzeit?") oder sie geht ganz einfach aus dem Zimmer ohne etwas zu sagen.
Was ich auch erwägen würde wäre ein Liebesbrief. Also tatsächlich ein Brief, in dem du deiner Liebe für sie Ausdruck gibst (liebst du sie noch?) und gleichzeitig deine Wünsche und Bedürfnisse mitteilst, dass du nicht im Zölibat leben willst.
Was ich auch grundsätzlich vor einem entweder-oder vorschlagen würde ist ein Besuch beim Sexual- und Paartherapeuten.
Ich persönlich würde niemals von meiner Frau verlangen, dass sie meine Bedürfnisse befriedigt, wie auch immer sie aussehen. Aber ich würde von ihr verlangen, dass sie der Befriedigung meiner Bedürfnisse nicht im Wege steht. Niemand hat über deine Bedürfnisse und Wünsche zu bestimmen außer du selbst! Niemand kann dir sagen: "Das brauchst du nicht!" Und wer weiß? Womöglich sagt dir deine Frau: Ja, ich verstehe das, ich kann es dir nicht geben, aber es gibt andere Möglichkeiten. Ich will von meiner Partnerin bejaht werden, nicht toleriert. Niemand muss alles an seinem Partner mögen aber jeder sollte seinen Partner mit allem mögen. Sie kann meine Bedürfnisse bejahen, muss aber nicht tolerieren, dass ich von ihr verlange, sie zu befriedigen.
Baust du Druck auf? Ich meinte oben, dass du dich offenbar mehr um deine Frau sorgst als um dich. Druck ist schon da, nämlich in dir. Aber der Druck wird auch notwendig sein. Nach zehn Jahren davon auszugehen, dass bei gleichem Vorgehen im elften Jahr etwas anderes passiert als zuvor ist kaum realistisch. Da ich glaube, dass nur du etwas für dich ändern kannst, nicht aber sie für sich, halte ich nichts davon, Druck dieser Art gegen sie aufzubauen. Euch beiden (und nicht nur ihr) muss klar werden: So geht's nicht weiter. Und ihr beide müsst euch überlegen: Wie soll es weiter gehen?
Ich habe einmal ein Gedicht gelesen das lautete: Es gibt viele gute Gründe die Dinge so zu lassen wie sie sind und nur einen einzigen sie zu ändern. Du hältst es einfach nicht mehr aus. Offenbar hältst du es nicht mehr aus, dein Leidensdruck ist so groß, dass du nun etwas - für dich - ändern musst.