Ja, warum empfinden viele das Interesse am Äußeren und das Interesse an inneren Werten als Widerspruch? Gute Frage.
Widerspruch entsteht womöglich dann, wenn jemand gleichzeitig Schönheit und Charakter sucht und dann die Haltung vertritt, dass beides gleichzeitig möglich sei, ohne oberflächlich zu sein. Ich sage dann von mir, dass ich absolut nicht oberflächlich bin, weil ich ja niemanden nehme, der einen blöden Charakter hat. Aber da ich auch Ansprüche habe bezüglich des Äußeren, relativiere ich diese Priorität des Charakters schon wieder ein wenig.
Möglicherweise unbewusst. Ich merke nicht immer, dass sich die Prioritäten verschieben, wenn ich bestimmte Vorzüge betone. Ich kann nicht beiden Arten von Vorzügen die Priorität einräumen. Denn sage ich, dass beides geht, hat keines Priorität. Oder zumindest wird die Priorität der Schönheit oder umgekehrt die des Charakters abgeschwächt, wenn ich gleichzeitig auch das andere haben will.
Letztlich würde ich behaupten: Wir haben alle einen Sinn für Schönheit, ein Sinn für körperliche Attraktivität und gleichzeitig auch einen für charakterliche Werte. Und wohl keiner würde einen Partner ablehnen, der alles in sich vereint. Am liebsten hätten wir also alle das Beste aus allen Welten.
Auf der anderen Seite wissen wir wohl auch, dass - sprichwörtlich - nie alles gute beisammen ist. Es gibt nicht den perfekten Menschen (der schöne, sexy Mensch mit dem supertollen Charakter wäre ja nahezu perfekt). Eigentlich ist jede Partnerwahl schon auch ein Kompromiss, den wir bewusst oder unbewusst eingehen, zumal jede Partnerwahl immer bedeutet, alle anderen möglichen Partner auszuschließen.
Und immer haben wir es mit der Möglichkeit zu tun, dass ein anderer Mann oder eine andere Frau, als die, die wir gewählt haben, vielleicht die optimalere Kombination bieten könnte: noch schöner, noch viel tollerer Charakter. Wenigstens in der Fantasie ist diese Möglichkeit da, denn es gibt so viele Menschen und daher sind auch sehr viele besonders tolle Menschen vorstellbar.
Haben wir uns für eine feste Partnerin, einen festen Partner entschieden, dann haben wir uns auch gegen diese vielleicht noch besseren Kombinationen von Schönheit und Charakter entschieden. Ein gewisser Verzicht ist da mit inbegriffen. Den kann man etwas abmildern, indem man bei der Partnerwahl möglichst optimiert: So lange suchen, bis man die bestmögliche Kombination ergattert hat.
Wenn nun Personen behaupten, dass es ihnen ganz besonders auf innere Werte ankäme, aber gleichzeitig hohe Ansprüche an das Äußere stellen, dann riecht das sehr nach diesem Optimieren. Das ist die Suche nach dem maximal besten Fang, den man machen kann. Und das impliziert Rangordnungen und Vergleiche. Man vergleicht wohl immer. Dem entkommt man nicht. Wer optimiert, legt aber die Priorität auf den Vergleich. Was bekomme ich? Was meine ich, was ich bekommen könnte? Gibt es Möglichkeiten, etwas besseres zu bekommen? Wenn man sich das fragt, dominiert in diesem Moment eben der Vergleich. Das so lange, bis man eine Entscheidung getroffen hat, idealerweise. Die Frage wäre, was bei dieser Entscheidung dann den Ausschlag gibt.