Foren lassen sich als Märkte verstehen, auf dem Avatare gleichzeitig Agenten des eigenen Produkts sind und als Nachfrager auftreten. Das ist hier nicht anders als bspw auf einem Lyrikforum. Hier wird das ganze Thema nur anders zugespitzt. Wenn Plattformen wie Dating Apps die Nutzer dazu erziehen, möglichst viele intime Details preiszugeben, geht es meines Erachtens um die Einübung marktförmigen Verhaltens. Was wiederum aus verschiedenen Gründen sinnvoll sein kann aus Sicht des Anbieters. Nicht zuletzt wird es um Kundenbindung gehen. Um (zahlende) Kunden zu binden, werden verschiedene Eindrücke vermittelt - dass zwischen Offenlegung dieser Daten und Matches signifikante Zusammenhänge bestehen. Um Befürchtungen der Kunden zu zerstreuen, wird uns vermittelt, dass unsere Daten sicher sind. zum Beispiel.
Der eine Eindruck soll Illusionen oder Annahmen bestärken, auf denen das Geschäftsmodell dieser Internetseite beruht. Dass erfolgreiche Kontaktanbahnung eine Frage von Auskunftswilligkeit ist. Dass zwischen umfassenden Selbstauskünften und erfüllenden Begegnungen logische Zusammenhänge bestehen. Dass hier andere Regeln gelten und die Macher dieser Seite diese Regeln kennen und dieses Wissen in den Dienst der Nutzer stellen. Dass erfolgreiches Daten nach diesen Regeln nur eine Frage der Zeit ist. Und es daher keine Rolle spielt, dass hier Aspekte vordergründig sind, die bisher (vor der Virtualität) keine oder kaum eine Rolle in Kennenlernprozessen spielten. Dass extreme Individualisierung uns nicht isoliert, sondern es irgendwo dort draußen einen passenden Topf für jeden Deckel gibt. Und Seiten wie diese uns die Tools zur Verfügung stellen, das entsprechende Gegenstück zu finden. (Der dann noch besser passt, als das früher überhaupt möglich war, weil quasi maßangefertigt.)
Eigentlich werden hier Versprechen auf Ekstase, Erfüllung und sogar Glück verkauft. Was immer die Menschen zu glauben bereit sind, es hier finden zu können. Ich glaube diese Versprechen aus Prinzip nicht, ob digital oder analog ist bei solchen Fragen unwichtig.
Ich glaube daran, dass wir Menschen die Tendenz haben, uns immer wieder aufs Neue etwas vorzumachen. Dass wir möglichst lange den Zustand fühlen wollen, auf Glück und Erfüllung wenigstens hoffen zu können.
Das Internet allgemein und insbesondere Orte wie dieser hier haben die Tendenz, solche Tendenzen zu verstärken. Dabei ist es gerade diese Tendenz, sich selbst was vorzumachen, die es uns erschwert oder verunmöglicht, tatsächliche Möglichkeiten des Miteinanders zu erkennen und zu nutzen.
Würde auch in keiner Welt leben wollen, wo Attraktion und Sex, Begegnung und Beziehung, Glück und Potential davon abhängen, in welcher Spalte sie und ich wie viele Smileys auswählten.
Für mich spielen solche Daten fast keine Rolle. Gesetzt den Fall, ich müsste überlegen, ob ich jemanden treffen will oder nicht. Ginge es um einen rein erotischen Erstkontakt, gäbe es nur ein paar wenige Ausschlussfaktoren, auf die ich sinnvoll prüfen könnte. Aber ob solche Kontakte entstehen, erlebe ich normalerweise ohnehin erst nach dem Treffen. Vorher interessiert mich alles und nichts.
Damit meine ich, dass es gerade interessant sein könnte, jemanden zu treffen, die mich daten will und abtörnende Vorlieben hat. Nicht weil ich darauf stehe, abgetörnt zu sein. Keine Ahnung, ob das auch ein Kink ist.
Sondern weil ich generell an Menschen interessiert bin und daran, etwas Neues zu hören. Menschen mit Vorlieben, die mir fern liegen oder ganz anders drauf sind, als ich es mir überhaupt vorstellen kann. Dass es solche Menschen (wie mich) geben soll, dürfte keine novaheiße Neuheit sein. Aber wie sich solche Menschen (die Anderen) treffen lassen, das geht nicht aus passgenau übereinstimmenden Vorlieben hervor. Vielleicht sollte man hier im Hintergrund noch ein paar Programme mitlaufen lassen, die zusätzlich auf punktsymmetrische Gegensätze und völlig abseitige Kombinationen ("User 'Sleepsheep' hat alles ausgefüllt, du gar nichts! Das deutet auf charakterliche Unterschiede hin, könnte spannend werden, ran da.")
Klar interessiere ich mich auch für Menschen mit ähnlichen Interessen, aber wer der interessantere Typ wäre, könnte und wollte ich pauschal nicht sagen. Also für mich spielen diese endlosen Aussagemöglichkeiten zu sexuellen Praktiken und Vorlieben (zum Beispiel) keine Mandoline. Kucke mir so was sowieso nicht an. Mich interessiert mehr, was Menschen sagen und wie sie es sagen.
Ich selbst bin eher auskunftsunwillig. Nicht weil meine Daten besonders wertvoll sind oder ich die als so schützenswert empfinde. Sondern weil das Ausspucken all dieser Daten in meinen Augen (fast) nichts kann außer die Magie erster Begegnungen zerstören. Diese komplett ausgefüllten Formulare vermitteln Ahnungen vom User. Die kommen so naiv und bedürftig rüber, entzaubern sich selbst und erhöhen die eigene Marktförmigkeit, nicht den Marktwert.