„Vielleicht bin ich dann doch nur ein non-binär bzw. genderfluid
Da hast Du schon einen Denkfehler drin. Trans ist jede Person, die sich mit ihrem bei Geburt zugewiesenen Geschlecht nicht eindeutig identifiziert und die Übergänge sind absolut fließend. Viele Transmenschen würden sich selbst noch nicht einmal als solche identifizieren, weil sie sich mit den Gedanken gar nicht beschäftigen, sie sind halt einfach sie selbst. Wie das dann heißt, ist am Ende schnurzpiepegal.
Der Begriff trans oder cis wird erst spannend, sobald Du Dich in juristisch relevantes Territorium vorwagst. Für die Namensänderung nach dem TSG musste man eindeutig trans sein (ist durch das neue SBG weggefallen, also irrelevant). Für die Frage einer Hormontherapie oder GAOP ist es relevant, weil da von einer Versicherung Kosten übernommen werden sollen und die das nicht machen wollen ohne entsprechende Nachweise.
„Ich kämpfe seit 2002 mit Depression, Borderline und Suizidgedanken. Ob ich diese Baustelle Transition noch anfange, möchte ich in Ruhe mit meinen Ärzten und Psychologen besprechen.
Das ist absolut vernünftig. Aber ICH weiß von MIR, dass ich 2005-2007 eine suizidale Depression hatte, gerade WEIL ich nicht ich selbst sein konnte, gerade WEIL ich mit einer Frau aus einer homophoben Familie liiert war (und Kinder hatte), gerade WEIL ich mich die ganze Zeit verstecken musste. Seit ich regelmäßig Yoga mache, hab ich keine Rückenschmerzen mehr. Seit meinem Coming-Out ist meine Stimmung sogar in den dunklen Wintermonaten stabil. Oh Wunder!
„Ausserdem steht mir mein Weltbild im Weg. Bei mir gibt es nur Schwarz und Weiß. Und transsexuelle waren bis vor kurzen für mich Menschen, die zwar auch Menschen sind aber irgendwie merkwürdig, weil nicht "natürlich". Und somit würde ich mich selbst beleidigen. Vielleicht kann ich lernen, nicht so streng zu mir zu sein.
Alle Menschen sind natürlich. Alle Menschen sind eine Variation der Natur. Ungefähr 1% der Bevölkerung sind trans (das sind weltweit 81 Millionen Menschen, ein eigenes Land so groß wie Deutschland), ungefähr 1,7 Prozent sind intersexuell (weltweit 138 Millionen Menschen, ein Land so groß wie Russland). Die meisten trans* und inter* Menschen erkennst Du auf der Straße gar nicht. Alles in der Biologie liegt auf einem Spektrum. Es gibt Menschen, die sind erwachsen nur 80cm groß und es gibt Menschen mit 2,30m, in Extremfällen sogar 2,60m. Würdest Du sagen, ein Albino ist nicht "natürlich"? Es gibt 2000 mal mehr Transmenschen als Albinos. Wir alle sind eine natürliche Variation und schwarz-weiß gibt es in der Natur nicht bzw. nur sehr selten.
„weckt zwar einen Wunsch aber lässt auch Panik aufkommen, das sich mein sonst so sicheres Leben auf einmal in einen Hurrikan entwickelt.
Das kannst nur Du selbst managen, aber für die meisten Menschen in Deutschland (für andere Länder/Kulturen gelten andere Regeln) ist das Coming-Out viel weniger problematisch als sie vorher dachten. Es ist die Panik vor dem Unbekannten. Und die Panik legst Du nur ab, in dem Du Dich langsam und scheibchenweise vortastest, damit sich Dein Kopf langsam dran gewöhnen kann, sein neues Selbst anzunehmen. Das ist ja der Grund, weshalb (kompetente) therapeutische Unterstützung wertvoll und hilfreich ist. Transfrauen sind Software-Entwicklerinnen, Baumpflegerinnen, Führungskräfte, Salesmanager und essen und atmen und leben wie alle anderen auch. Manche leben als Single, manche in Partnerschaft. Manche haben 5 Kinder, andere keine. Und ja, natürlich ist es in einer Stadt wie Berlin, München, Hamburg oder Köln einfacher als auf dem flachen Land. Aber Elli Hunter z.B. lebt auch auf dem flachen Land im hintersten Allgäu, ist da bekannt wie ein bunter Hund und kommt zurecht.
Wenn Du zu der Beratungsstelle gehst oder zum Psychologen werden die ergebnisoffen sein. Am Ende geht es nämlich im Kern nur darum, dass Du ein glückliches zufriedenes Leben haben sollst. Ob Du dann als Frau oder als Mann durch's Leben gehst, interessiert tatsächlich bis auf ein paar transphobe Hate-Idioten keine alte Sau.
Fühl Dich gedrückt von Ray 🌈🦄