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Ich bestreite nicht die empirische Unterfütterung.
Die empirisch feststellbaren Tatsachen sind letztlich aber das zu Erklärende. Man sieht Phänomene, misst statistische Zusammenhänge und wenn man signifikante Korrelationen findet, sucht man nach Erklärungen.
Diese werden in der Theorie konstruiert. Das, was man als Verursachung oder als Wechselwirkungen für erklärungskräftig hält, ist meistens selber so nicht empirisch messbar.
OK, dann eben doch ein bisschen Wissenschaftstheorie: Was Du skizzierst, ist induktive Forschung. Und eben weil Menschen so unterschiedlich sind, lehnt Popper sie in den Sozialwissenschaften ausdrücklich ab. Deduktive Forschung funktioniert vor allem in etablierten Bereichen genau umgekehrt.
Und spätestens damit sind Ursachen (im Kern möglicherweise durchaus mal induktiv hergeleitet wie vieles in Soziologie oder Pädagogik) sehr wohl empirisch zu bestätigen.
Aber ich schlage auch hier vor, dass wir diesen Methodendisuput ggf. verlagern. Ich habe keine guten Erfahrungen damit gemacht, das hier zu vertiefen.
„Ich widerspreche gewissen Schlussfolgerungen. Ich bin z.B. schlicht nicht der Meinung, dass ich für die Belästigungen, die Frauen erfahren, verantwortlich sind.
Das habe ich auch nicht behauptet. Aber Du bist ggf. dafür verantwortlich, einen Mann in Schutz zu nehmen, der Häufigkeit oder Tragweite nicht sieht, glaubt oder sehen oder glauben will. Und Du bist Teil des Systems und profitierts davon. Dafür bist Du nicht im Sinne der "subjektiven Schuld" verantwortlich, weil es nicht Deine Entscheidung war. Aber Du bist objektiv Profiteur.
Und ab dem Moment dieser Erkenntnis sind wir alle dafür verantwortlich, wie wir damit umgehen.
Eigenes Handeln in der Vergangenheit und (hoffentlich seltener, aber auch bei mir ausdrücklich nicht "nie") in der Gegenwart reflektieren, Privilegien als solche Erkennen, den eigenen Beitrag zur graduellen Verbesserung leisten (mindestens durch Akzeptanz, besser durch Einflussnahme) finde ich da halt besser als ein "haut doch nicht so auf den armen Kerl ein, so hat er es doch nicht gemeint". Weil es, erneut, egal ist, ob er es so meinte.
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Wo ich nicht mitgehe, ist die Annahme, dass es ein umfassendes System patriarchalischer Frauenunterdrückung gibt, dass das so lückenlos und geschlossen funktioniert, dass selbst ich in irgendeiner Weise Teil des Problems wäre, auch wenn ich keine Frauen belästige.
Verwobene Teile, die entwoben gehören:
1. Es
gibt ein umfassendes patriarchalisches System der Benachteiligung. Seit allen dokumentierten Zeiten in nahezu allen dokumentierten Gesellschaftsformen. Es ist nicht lückenlos, weil es solche Systeme nicht gibt. Es war auch je nach Gesellschaft schon mal schlimmer, aber eben auch schon mal besser.
2. Du bist als (mit Verlaub) alter Weißer Mann Profiteur. Ich bin es auch. Sogar dann, wenn wir das nicht mehr wollen, weil wir die Zeit nicht zurückdrehen können. Ob Du als solcher schon Teil des Problems bist, kann man sicher so oder so sehen.
3. Du (oder jeder andere AWM) wirst aber spätestens dann von "nicht Teil der Lösung" zum Teil des Problems, wenn Du trotz Erkenntnis nichts tust. Und das bezieht Unterlassen mit ein.
Ein "Alter, würde es Dir was ausmachen, Deine Gedanken über den Mörder-Hintern unserer Trainerin für Dich zu behalten?" in der Umkleide ist nicht populär, aber eben Teil des Unterschieds.
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Nicht jeder einzelne wird durchgängig und jederzeit und das kontextunabhängig als Junge auch in aller Konsequenz patriarchalisch sozialisiert, also in dem umfassenden Sinne, dass man sämtliche problematischen Einstellungsmuster mit sich herumträgt, vom "male gaze" bis hin zum "entitlement".
Sorry, aber das ist jetzt eine Nebelkerze.
Es ist weder möglich noch nötig, jederzeit, kontextunabhängig und so weiter sozialisiert oder auch nur Rezipient zu sein. Am Ergebnis ändert das nichts. Welche Einflüsse da alle eine Rolle spielen, hatte ich bereits skizziert. Ebenso wenig ist "Bruchlosigkeit" für das Sozialisationsergebnis relevant.
Ich schlage also vor, Deine Abwehr auf das tatsächlich Geschriebene zu beschränken oder, horribile dictu, bessere Argumente als solche zu akzeptieren. An diesen Stelle nämlich, finde ich, ist die Naht zwischen Argumentation und Rechthaberei.