Ich möchte nicht in die laufende Diskussion einsteigen, weil ich bei einigen Beiträgen, die aus der Ferne ultimative Schwarz-Weiß Lösungen "dringen" anrieten, direkt mit den Augen rollen musste.
Niemand weiß wie du, jenseits deiner Darstellungen, tickst.
Niemand weiß, jenseits deiner Darstellungen, wie genau deine Frau tickt.
Daher können wir hier alle nur annehmen.
Viele User:innen gehen in solche Diskussionen aus ihrer subjektiven Sicht.
Man kann sich das nicht vorstellen? Also rät man direkt dazu die offene Beziehung sein zu lassen, bzw. zu anderen Dingen, die mehr über die postende Person aussagen als sie zum eigentlichen Thema beitragen.
Natürlich geht es mir nicht anders.
Ich habe meine schwierige Geschichte mit dem Thema offene Beziehung und von Poly möchte ich erst gar nicht anfangen, dennoch geht es nicht um mich und selbst wenn es das täte, dann versuche ich durch meine subjektiven negativen Erfahrungen nicht in Ketten gelegt zu werden, denn nur weil in der Vergangenheit Dinge schief liefen bedeutet das nicht, dass sie es auch in Zukunft tun müssten.
Und noch viel wichtiger ist, dass meine subjektiv negativen Erfahrungen nichts über die gelebte Realität anderer Menschen aussagt.
Eine offene Beziehung kann eine wunderbare Sache sein, aber sie braucht gewisse Säulen und klare Absprachen.
Viele Menschen tun so, als sei eine offene Beziehung wie die andere.
Das ist sie aber nicht.
Dass man selbst unter dieser Überschrift durchaus im Detail unterschiedliche Dinge versteht, entsprechend auch an Bedürfnissen mitbringt, sehen Menschen oftmals erst, wenn sie in der Situation sind. Wie sollte es auch anders sein, wenn man bisher noch gar keine Erfahrungen machen konnte, da das Thema völlig neu für einen selbst ist?
Grob bezogen auf das, was du schreibst, fand ich mich einmal vor Jahren in der Rolle wieder, die deine Partnerin gerade eingenommen zu haben scheint:
Ich war mit meiner Exfrau absolut glücklich was das beziehungstechnische angeht.
Ich liebte sie, lebte gerne mit ihr zusammen, wollte das auch alles nicht missen, dennoch stellte ich irgendwann fest, dass mir im sexuellen Bereich etwas fehlt, da sie der absolute Vanillasex-Typ war und ist und sich dort auch keine Experimente vorstellen konnte.
Wir hatten ein ähnliches Gespräch wie ihr beide, was für sie sehr hart war, da wir, im Gegensatz zu euch, keine beidseitige Öffnung beschlossen. Für sie war es zunächst, als würde ich ihr sagen, dass es einen Mangel in der Beziehung gäbe, da sie der absolut monogame Mensch war und die Vorstellung internalisierte, dass ein Partner entweder alle sexuellen Bedürfnisse erfüllen könne, oder an der Beziehung etwas nicht stimmte. Sie zweifelte stark an sich und fürchtete mich zu verlieren, bzw. mir als Partnerin nicht mehr zu genügen. Es brauchte in dem Moment sehr viel Versicherung, sehr viel Nähe, sehr viel Beruhigung.
Sie hatte am Ende nicht das Bedürfnis selbst offen zu leben und offen für andere Menschen zu sein und erst nachdem sie das alles für sich im Kopf klärte beschlossen wir die Öffnung.
Aber was meint nun "offen"?
Manche Menschen würden widersprechen, dass eine Öffnung hin zu einem einzigen festen F+ eine Öffnung sei. Ich kenne Menschen, die dies bereits als Poly bezeichnen. Für mich ist das so eine Grauzone dazwischen.
Wenn man immer wieder regelmässig denselben Menschen zum Sex trifft und darüber hinaus ebenfalls sehr viel intensive intime und persönliche Zeit miteinander verbringt, dabei auch sehr viel redet, dann mag man zwar sagen "das ist keine Beziehung!" aber am Ende ist es doch genau das. Man nennt es nur nicht so. Es mag keinen so verbindlichen Charakter haben. Aber wo ist der Unterschied ob ich einen Menschen regelmässig date, ganze Abende, Nachmittage, etc. mit diesem Menschen verbringe, dazu noch Sex habe, ihn aber nur "F+" nenne, oder ob ich enen Menschen regelmässig date, ganze Abende, Nachmittage, etc. mit diesem Menschen verbringe, dazu noch Sex habe und diesen Menschen "Partner" nenne?
Es ist nur das Wort und mit dem Wort verbunden eine Aussage. Man liebt diesen Menschen eventuell nicht, aber so viel Zeit verbringt man auch nicht mit einem Menschen für den man rein gar nichts empfindet, selbst wenn dies nur "tiefe Sympathie" ist. Für viele Menschen reicht dies um jemanden zu heiraten.
Ich kenne Menschen in offenen Beziehungen, die total fein damit sind, wenn ihr Partner mit anderen Gelegenheitssex hat, die dieser Art der Nähe zu einem spezifischen anderen Menschen jedoch sehr skeptisch gegenüberstünden und damit ein Problem hätten.
Ein befreundetes Paar steht etwa auf Partnertausch und auf Gelegenheitssex. Die klare Absprache dort ist jedoch: Kein Alltagskontakt. Es geht bei der Offenheit um Sex.
So frage ich mich, basierend auf deinen Ausführungen, ob du genauso ein Problem hättest, wenn deine Partnerin genau das tun würde: Mit anderen Männern Gelegenheitssex haben, aber wenig Alltagskontakt pflegen.
Wenn man zu mir käme und mir sagte, dass man eine Beziehungsöffnung anstrebe um sich sexuell auszuleben wäre ich ebenso mindestens überrascht, würde man mir kurz darauf einen F+ präsentieren, mit dem man exklusiv vögelt und ganze Nachmittage und Abende verbringt, weil ich dies "Poly" und nicht "offen" nennen würde.
Das würde Folgegespräche zur Folge haben, die ihr zum Glück sehr intensiv führtet.
Das ihr so intensiv miteinander redet finde ich auch sehr gut. Ohne eine Kommunikationsbasis kann so eine Öffnung auch nicht funktionieren.
Hier kommt ein weiterer Unterschied in den Detailausprägungen von offenen Beziehung, aber auch von Polykonstrukten, zum tragen:
Ich bin eher der Typ, der nicht jedes Detail wissen möchte, der es jedoch braucht mitgenommen zu werden.
So möchte ich wissen wie meine Partnerin zu wem steht, wann sie datet, mit wem sie fickt.
Wenn ich das im Nachhinein erfahre, oder meine Partnerin sich gar von meinem Bedürfnis des "mitgenommen werdens" gestört fühlt, dann klappt das alles nicht. Am Ende ist es ja noch immer meine Partnerin und da empfinde ich es als etwas schräg, wenn sie mir zwar stundenlang von ihrem Arbeitstag, ihren Meetings und ihren Sonntags-Bruchterminen mit platonischen Freundinnen berichten kann, dies aber nicht tun möchte oder kann, wenn es um Sexdates geht.
Andere Menschen sind da anders.
Meine Exfrau wollte in der Zeit unserer offenen Ehe etwa gar nicht wissen was wo läuft.
Es gab gar das dringende Bedürfnis ihr dies nur auf explizite Anfrage hin mitzuteilen. Ansonsten vertraue sie mir da auf der einen Seite, wollte aber andererseits ebenso bewusst keine Details hören. Und mit Details meine ich keine Details zu Sexpraktiken, sondern wo was mit wem stattfand.
Gleichzeitig war ihr, wie es mir heute ebenso geht, wichtig, dass die gemeinsame Zeit darunter nicht leidet.
Es war wichtig, dass das nicht bedeutet, dass sie sich einsam fühlt, bzw. an den Rand gedrängt, so wie ich dies meinerseits heute auch nicht möchte.
Gerade wenn es um klare "offene Beziehung" geht, dann möchte ich mich als vermeintlich exklusiver fester Partner auch als solcher fühlen und nicht das Gefühl haben, dass um die Zeit meiner Partnerin ringen muss, da ich sie andernfalls mit einer Affäre oder F+ "teilen" müsste. Das ist dann wiederum keine offene Beziehung, sondern ein Merkmal einer Polybeziehung, die ebenfalls von klaren Absprachen und Commitments lebt, die keinem Beteiligten das Gefühl der Vernachlässigung vermitteln.