„Zum Sinnesentzug
Generell würde für mich die These plausibel sein, dass dann, wenn einer (oder mehrere) unserer Sinne ausgeschaltet werden, die verbliebenen geschärft sein werden.
Sehen:
Sind die Augen verbunden, werde ich zwar der optischen Wahrnehmung meines Gegenübers beraubt, gleichzeitig schalte ich aber auch andere störende Komponenten aus.
Beispiel: wenn ich eine Session mit meinem sub habe, merke ich im Spiel, dass er abgelenkt wird dadurch, dass er die Reaktionen anderer auf ihn beobachtet oder andere Sessions. Will ich also, dass er die volle Aufmerksamkeit nur für unser Spiel miteinander richtet, verbinde ich ihm die Augen.
Hören:
Gelegentlich das hören auszuschalten, würde mir sehr entgegenkommen, da ich eine auditive VerarbeitungsStörung habe und oftmals unterschiedliche Geräuschquellen gleichzeitig wahrnehmen, ohne bestimmte Gespräche durch einen Filter trennen zu können.
Beispiel:
Ein dominanter Partner hat mich mal im privaten Raum mit Augenbinde und Ohrstöpseln ausgestattet. Mein Sinn für das empfangen von Berührungen war um ein vielfaches gesteigert.
Riechen:
Wer nichts sieht, kann Schwierigkeiten haben, Lebensmittel am Geruch zu erkennen. Gleichzeitig gibt es aber auch im Kontext dieses Sinnes die Aussage „einen Menschen gut riechen können“. Dies wäre die immun-biologische Antwort darauf, ob diese zwei Menschen miteinander die gesündeste und überlebensfähigste Nachkommenschaft zeugen können, da ihre Immunsysteme komplementär sind und sich damit ergänzen. Also der feine pheromom-Cocktail, der uns anzieht. Menschen mit gleichem/ähnlichen Immunsystem nehmen den Geruch der anderen Person nicht wahr. Genauso wie Menschen ihren Eigengeruch oder ein ständig benutztes Parfüm nicht riechen. Ein gleiches Immunsystem hätten Geschwister, und es sollte einleuchtend sein, warum diese sich nicht voneinander angezogen fühlen sollten und dass auch andere mit ähnlichem Immunsystem für Menschen erotisch nicht anziehend sind. Genau in diesem Punkt spielt uns die Optik aber gelegentlich den Streich, einen anderen nach dessen attraktivem Erscheinungsbild auszuwählen, obwohl es nicht unbedingt der für uns geeigneteste Kandidat wäre.
Das keiner einem für ihn unangenehm riechenden Menschen zu nahe kommen möchte, ist dagegen nachzuvollziehen.
Berührungen:
Wie manch andere hier, mag ich kein Gedränge (im Supermarkt, in Umkleideräumen in Clubs, beim Schlange stehen) und dass Menschen mir auf die Pelle rücken. Ich war über die Abstandsregeln froh und dankbar, da ich mich mit dieser Distanz wohler fühle.
Ich halte aber im Gegensatz zu letzt-gesagtem das Einlassen auf Berührung im geschilderten Konzept für eine vorher getroffene bewusste Entscheidung.
Sprich: würde ich an diesem oder einem ähnliche Event teilnehmen, ginge es mir darum, anderen Menschen in ihrem Menschsein achtsam zu begegnen. Es spielte daher für mich keine Rolle, ob dieser Mensch alt oder jung, groß oder klein, dick oder dünn, für mich optisch attraktiv oder es in meiner Wahrnehmung nicht wäre. Es wäre noch nicht einmal wichtig, ob es sich um Mann oder Frau handelt.
In einem solchen Moment würde ich mögliche Wünsche oder Erwartungen loslassen und den Moment wahr-nehmen.
Ich habe ausnahmsweise mal ein Vollzitat gemacht, weil ich deine Erläuterung sehr wichtig finde.
All das trifft auf manche Menschen sicherlich zu, nur ist das bei mir z. B. alles gar nicht so und auch nicht bei Menschen meines Umgangs. Daher fällt es mir offenbar schwer, hier einen Bedarf zu sehen. Dabei spreche ich ausdrücklich nur für mich und meinen Horizont.
Im Dialogmuseum habe ich die Erfahrung gemacht, ohne den Sehsinn durch verschiedene Räume zu gehen und auch in der Dunkelbar nicht die Orientierung zu verlieren. Ja, Hör- und Tastsinn haben da einiges übernommen, bzw. übernehmen müssen, das war interessant. Allerdings war ich gerade dadurch hochkonzentriert auf mich selbst, was in dem Setting natürlich auch gewollt ist.
Insgesamt brauche ich aber keine 'zwangsweise' Ausschaltung eines oder mehrerer Sinne, weil ich die auch ohne das in den Vorder- oder Hintergrund sortieren kann, wenn ich das möchte. Also Sehen und Hören aus- oder einblenden, Gerüche bewusst wahrnehmen oder quasi ignorieren, Tastsinn fokussieren oder oberflächlich bleiben.
Auch meine Subs in Sessions konnten oder können das, und ich ebenfalls. Da muss schon eine wichtige Störung reingrätschen, um das Ein- und Abschalten zu stören.
Anderen Menschen in ihrem Menschsein zu begegnen - so ganz verstehe ich den Ansatz nicht, weil ich das, sofern die Begegnung nicht nur aus Vorbeilaufen besteht, sowieso tue. Zum Beispiel beim Tango - da 'erfahre' ich den Tänzer auf vielen Ebenen, und stelle mich auf seine "Schwingungen" ein. Jeder Führende führt ja anders, da muss man sich einlassen können. Man sieht und riecht und hört und spürt einerseits bewusst, andererseits unbewusst. Man kann als Folgende auch mit geschlossenen Augen tanzen, sofern einem bei wilderen Moves nicht schwindlig wird.
Ich versuche zu verstehen... So ganz gelingt es mir nicht, weil bei der Partnersuche das Aussehen etwas ist, was ich nicht komplett ausblenden kann. Nicht der reine Körperbau und die Gesichtszüge, sondern auch die Kleidung, die Haltung, die Art in der Gegend herumzuschauen, die Mimik, das Lächeln oder Lachen, die Art sich zu bewegen. All das liefert mir wertvolle Informationen über diesen Menschen, auf die ich nicht verzichten wollen würde und deren Fehlen/Ausblenden mir keinen Vorteil verschaffen würde. So oberflächlich, dass ich mir sofort ein festes Bild mache, sobald ein Mensch meinen Sichtkreis betritt, und ihn aussortiere, bin ich nicht.
Ganzheitlich, wenn man es so nennen will, dazu gehört eben das Ganze. Und ein solches Konzept wie oben geschildert würde für mich persönlich nur funktionieren, wenn man das Berühren weglassen könnte und sich zB im Dunkeln unterhalten oder gemeinsam Aufgaben lösen müsste. Ausgerechnet berühren und jemandes Körper spüren ist bei mir das allerletzte, was ich mit einem fremden Menschen machen oder erfahren möchte, bzw. nur in von mir überschaubaren (sic!) Zusammenhängen. Wie zB eine Tanda beim Tango. Auch da lebt man ganz den Moment. Oder beim Sex mit einem vertrauten Partner. Oder mit den Kindern, der Katze, beim Sport.
Mit dem Wort 'achtsam' habe ich Berührungsschwierigkeiten, da ich es immer nur von Menschen höre, die Probleme mit Nähe zu haben scheinen. Das mag ein Vorurteil sein, hat sich bei mir aber durch Erfahrung so ergeben.
Ich finde das Thema trotzdem wichtig und würde mich an Stelle der TE auch von hingerotzten Unflätigkeiten nicht irritieren lassen. Es ist halt nix für jeden und bei manchen weckt es offenbar Aggros. Aber wem die angehören, da kann ja jeder mal ganz achtsam drüber meditieren.