Drei Minuten in der U2
Zwischen den Haltestellen Rotebühl- und Berliner Platz taucht die Bahn wieder ins TageslichtTranformiert von der U- zur Straßenbahn
Der Wechsel erfolgt so abrupt, dass es dem Novembergrau tatsächlich gelingt, mich zu blenden
Ich sitze aufrecht und gefestigt
Bin Teil der Öffentlichkeit, der Welt, des Lebens und
Gehöre in meinem Schienenkokon doch nicht wirklich dazu
Der Fahrer muss unbekannterweise ein Freund von mir sein
Verschafft er mich doch dieses geschützt isolierte Dabei-sein an allem ohne eingemischt zu sein
Erst jetzt fällt mein Blick auf eine Frau weiter vorne in der Tram
Ich sehe sie nur von den Schultern aufwärts, sonst von den Lehnen verdeckt
Grazil und lang ist ihr Hals
Streng zurückgebunden ihr Haar
Vornehm gewölbt ihre Stirn und
Ich komme nicht umhin, dahinter edle Gedanken zu vermuten
Etwas aus anderer Zeit
Aus einem anderen Raum
Einer anderen Realität
Verloren und wiedergefunden
Ein paradiesisches Glücksversprechen geradezu
Ich muss ihr sagen
Entgegen meinen bisherigen Erfahrungen
Dass es ihr gelungen ist, zu mir zu sprechen, ohne überhaupt ein Wort gesagt zu haben
Je mehr diese Gewissheit in mir zunimmt
Desto mehr wanke ich auf den wogenden Wellen ihrer Lippen und
Ich drohe jeden Halt zu verlieren -
Vielleicht falle ich
Aber das ist meine Freiheit
Zu fallen, wenn es drauf ankommt
So sehr hat sie mich mit ihrem Zauber gefangengenommen
Dass ich beim ruckhaltigen Halten an der Haltestelle Schwab-, Bebelstraße
Erschreckt hochfahre -
Wo ist sie?
Sie muss schon an der Schloss-, Johannesstraße ausgestiegen sein
Wo ich sie gleichzeitig in Gedanken verloren habe ...