Echo der Lust
Als ich durch die bereits menschenleeren Hallen der U-Bahn-Station streife, fällt mir auf, wie klinisch kalt die Umgebung eigentlich ist. Weiße Kacheln an der Wand, der Boden ebenfalls gefliest, jedoch mit einer Farbe, die sich bis auf einen leicht dunkleren Ton kaum von der senkrechten Keramik abhebt. Die Getränke- und Snackautomaten sowie das weiße Licht über mir brummen gleichgültig vor sich hin. Der Hund, an welchem ich gerade vorbeigehe, gelassen sein Beinchen hebt und dem Abfalleimer vergeblich das Wachsen zu lehren versucht, guckt mich mit großen Augen an. Ja, auch ich habe nicht schlecht über das gestaunt, was ich da eine Stunde zuvor im Spiegel gesehen habe. Langsam gehe ich weiter, begleitet von kräftigem und gleichmäßigem Klacken, das von der nüchternen Umgebung widerhallt.Ich weiß nicht, warum und was letzte Nacht passiert ist. Aus irgendeinem Grund bin ich vorhin in einem Hotelzimmer aufgewacht. Anstatt in meiner gewohnten Kleidung fand ich mich jedoch in mehr als ungewohnter Mode wieder. Als mein Blick langsam nach unten glitt, sprangen mir sofort diese roten und überaus eleganten High Heels ins Auge. Ebenfalls hatte ich Nylonstrümpfe mit Aussparung an, von wo mir mein kleiner Freund freudig Guten Tag wünschte. Obwohl ich verwirrt war und mir viele Fragen stellte, war ich von diesem bizarren Anblick sehr erregt, was mich noch mehr verwirrte. Auch das Korsett, welches meinen Oberkörper mit einer noch nie gefühlten Enge umschloss, schien, obwohl es meine Bewegungsfähigkeit stark einschränkte, ein überwältigend wohliges Gefühl zu erzeugen.
Natürlich suchte ich im Zimmer nach anderer Kleidung oder nach anderen Schuhen. Jedoch war nichts außer einem taillierten, bis zur Hüfte reichenden roten Filzmantel zu finden. Auch wenn es mir doch peinlich war – hätte ich denn eher nackt nach Hause gehen sollen? Das größte Problem waren jedoch die Heels. 9 cm! Und dann noch so dünn! Ich verstehe es nicht: Es ist so unangenehm, aber dennoch erregt es mich so sehr. Die Schuhe sind so eng an meinem Fuß, ich kann den Druck richtig spüren, so sehr, dass es fast weh tut. Auch die Balance zu halten ist so schwer, dennoch fühlt es sich so gut an. Wie kann das sein?! Und wer hat mir das hier überhaupt angetan? Und jetzt muss ich so nach Hause laufen?
Nachdem ich mich dann mit dem Laufen in den Schuhen etwas vertraut gemacht habe, bin ich los, um mich auf den Weg nach Hause zu machen. Da bin ich nun, mit Scham, aber dennoch erregt, in den Hallen der U-Bahn, begleitet von einem gleichmäßigen, lauten Klacken, das an der steril wirkenden Umgebung widerhallt, in der Hoffnung, vielleicht doch noch den letzten Zug nach Hause zu erwischen.