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Selbstportrait mit 28

**jn Mann
675 Beiträge
Themenersteller 
Selbstportrait mit 28
Ich weiß, es ist ein schlechter Titel
aber an einem vom Sonnenlicht fast widerrufenen Tag
mach ich ihn mir zum Geschenk.
Denn mir gegenüber steht eine komplette Anhöhe
wie im Katalog, die Verkörperung des Ideals von Virginia
mit Goldruten und heimischen Kiefern,
und während ich denke: "Immerhin bin ich nicht
mit einem blutverschmierten Messer in der Hand erwacht."
bin ich bis zum Zeitpunkt dieses Gedankens irgendwie
hundert Meter vom Haus weg gewandert,
obwohl ich in diesem Stuhl saß,
die Augen geschlossen.
Es ist eine besondere Anhöhe,
die ich mir vorstelle, wenn ich das Wort 'Anhöhe' höre.
Und wenn unsere acht Milliarden Köpfe gleichzeitig kollabieren
und sich die Apokalypse als ein globaler Nervenzusammenbruch erweist,
nenn ich das ein unerwartetes Ende,
und diese Anhöhe wäre nach wie vor schön,
ein Ort, an dem ich sterben könnte,
allein oder mit dir.
Ich will auf etwas hinaus
und ich möchte mich verständlich für dich ausdrücken,
so dass wir beide in dieser Aufrichtigkeit Trost finden.
Weißt du, mein Schreibtisch steht vor dem Fenster.
Wenn ich nicht weiterkomme, schau ich hinaus,
obwohl mich das Draußen selten zum Schreiben anregt.
Keine Ahnung, wieso ich weiterhin hinsehe.
In meiner Kindheit ist auch kein gutes Material entstanden,
überwiegend ein spröder Belag weißer Minuten
mit ein paar hervorstechenden Augenblicken:
Teerblasen, die im Sommer in der Einfahrt zerplatzten,
das gewisse Maß an Überheblichkeit,
wenn wir in der Schule die Sonne 'unsere Sonne' nannten
und dass es beim Fußball einzig und allein darum ging,
'den Ball aufs Tor zu klopppen.'
Sollte jemand auf weitere Fakten bestehen:
Ich kann mich an alte Radiowecker erinnern,
an das Umklappen der Ziffernblättchen
und an ein Gericht, das Surf'n'Turf hieß.
Jede Nacht stell ich den Wecker
auf die Uhrzeit meiner Geburt. Das ist eine Möglichkeit,
mich mit meinen Ursprüngen zu verbinden.
So wird das Erwachen zum Nachspiel historischer Ereignisse
Und das Erste, was ich meist tue,
ist eine Lesart des Tages vorzunehmen
und mich ihr gemäß zu verhalten,
wie wenn du einen mechanischen Bullen reitest
und blitzschnell seine Bewegungsmuster erfassen musst
um nicht versehentlich doch zu widerstehen.

II.

Ich kann mich an meine Geburt nicht erinnern
und auch kein anderer kann es,
nicht einmal der Arzt,
den ich Jahre später auf einer Cokctailparty traf.
Das ist eine der kleinen Enttäuschungen,
die dich fast überzeugen, fort zu gehen,
in eine Stadt wie Holly Springs oder Coral Gables zu ziehen
und dort ein Zimmer zu mieten,
das von einer Dame vermietet wird,
deren Hände rissig sind von Desinfektionsmitteln.
Leuten, denen du begegnest, sagst du,
du seist aus Alaska und hörst zu,
was sie daraufhin von Alaska erzählen,
bis du mehr über Alaska weißt, als du jemals
über Holly Springs oder Coral Gables wissen wirst.
In manchen Käffern kaufe ich
eine Lokalzeitung und denke:
"Ich bin nah dran, zu erfahren, wie es ist, hier zu leben."
Oft gibt es Pressemeldungen über Rechtsstreitigkeiten
von Hauseigentümern, die in der Nähe eines Flughafens leben
und mir fällt auf, dass ich Artikel über dieses Thema
jedes Jahr lese und mir dabei immer dasselbe vorstelle:
In der Nacht liege ich wach im Bett.
In meinem Haus in der Nähe des Flughafens.
Ich höre die Maschinen über mir dröhnen.
Eine fremde Ehefrau schläft an meiner Seite.
Das Schlafzimmer ist in meiner Vorstellung
eine Verschachtelung von Schlafzimmern
aus verschiedenen Werbespots für Hustensaft (auf dem Nachttisch liegt immer eine Packung Taschentücher parat.)
Ich weiß, diese sich wiederholenden Nachrichten sind Indizien, Schwachstellen in der Konstruktion. Dennoch habe ich
bislang nicht herausbekommen, wie sie zusammen passen.
Aber immerhin krieg ich mit, dass dieselben Leute
immer und immer wieder sterben,
wie beispielsweise Minnie Pearl,
die dieses Jahr starb,
zum vierten Mal in vier Jahren.

III.

Heute hat die Fastenzeit begonnen
und wieder ist mir nicht klar, was genau das ist.
Wie viele Jahre werden noch verstreichen,
bis ich mir die Mühe mache und jemanden frage?
Das erinnert mich daran, wie du dich heute morgen
für die Arbeit fertig machtest.
Ich saß benommen am Heizgerät,
sah zu, wie du dich anzogst
und als du fragtest, warum ich nie einen Morgenrock trüge,
waren da so viele gute Gründe,
dass ich nicht wusste, mit welchem ich anfangen sollte.
Als du in der Highschool zu den Coolen gehörtest,
hast du nicht viele Fragen gestellt.
Du konntest anhand der neuen Shirts sagen,
wer letzte Nacht auf dem Metalkonzert gewesen war.
Du musstest nicht nachfragen
und das war, was cool war:
Schlussfolgern können,
wissen, ohne fragen zu müssen.
Und der Druck, Coolsein vorzutäuschen,
bedeutet: dass du nicht fragen darfst, was du nicht weißt,
weshalb die Kids heutzutage so dumm sind.
Die letzten Seiten im Jahrbuch, gefüllt mit Versprechen,
einander nie zu vergessen, zeigen die Nutzlosigkeit
jugendlicher Versprechen. Nicht dass ich jetzt,
zehn Jahre später, für einen Brief des Klassenkiffers
sterben würde, aber ...
Erinnerst du dich, wie die Mädels
'hab dich lieb' riefen
und praktischerweise das 'ich' wegließen
so, als ob sie sich an ihre eigene Aussage
nicht binden lassen wollten.
Ich gebe zu, das 'Ich' ist ein ziemlich wuchtiges Konzept
und ich hoffe, dir wird nicht unbehaglich zumute,
falls ich hier in irgendwelche Abgründe gerate.

IV.

Es gibt Dinge, die hab ich sein lassen,
zum Beispiel lustige Sprüche auf den AB quatschen.
Gehört wohl zum Erwachsenwerden.
Die Menschheit ist an immer denselben Vorgaben gereift.
Und Humor scheint von Allem am schnellsten zu veralten.
Wenn du über Shakespeares Witze laut lachst,
• und ich hoffe, du bist nicht beleidigt, wenn ich das sage -
willst du gewissermaßen nur jemanden beeindrucken.
Selbst die genialsten Fernsehsendungen von früher
wirken heute unspektakulär und billig.
Unsere Fortschritte sind eben unabwendbar.
Kinder können nicht mal mehr Limo am Straßenrand verkaufen
weil es die Leute an ihre Vergangenheit erinnert,
aber versuch das mal einem Kind zu erklären.
Ich sage nicht, so soll es sein.
All die neuen Technologien
werden uns eines Tages zu neuen Gefühlen verhelfen,
die die alten niemals komplett ersetzen können.
Wir werden aufgekratzt sein
und zwiegespalten.
Wir werden zum Mars reisen,
während die Menschen auf der Erde
ihre Chipspackungen immer noch mit Zähnen aufreißen.
Warum? Ich habe weder die Zeit noch Intelligenz,
auf alle Zusammenhänge zu kommen,
wie das bei meinem Kumpel Gordon, aufgewachsen
in Braintree/Massachusetts, der Fall ist (wahre Geschichte).
Ihm kam dagegen nie ein Baum mit knorrigem Hirn in den Sinn.
Bis er von mir auf die Idee gebracht wurde.
Er hat den Namen nie zerlegt, auf seine Teile runtergebrochen.
Es war dann eh zu spät.
Inzwischen war er nach Coral Gables gezogen.

V.

Die Anhöhe vor meinem Fenster ist immer noch schön.
Überzogen mit einer Art goldenem Nationalparklicht,
scheint sie zu mir zu sprechen:
es tut mir leid, die Welt braucht kein weiteres Gedicht
über Orpheus, aber wenn du nicht gerade an einem Selbstporträt oder sonstwas arbeitest, stehe ich zur Verfügung
Ich betrachte meinen Hund, der Alpträume hat
und auf dem Boden winselt und zuckt
und versuche mir vorzustellen, welche Bestie
ihn in die Enge treibt, auf der Wiese,
wo sich seine Träume abspielen.
Ich lass den Tag sein, was er ist:
Ein Ort für haufenweises Zeug
zum Aufnehmen und Wirken -
nicht wirklich ein Ort aber ein Anlass,
Realität für reales Zeug.
Freunde warnten mich, mit diesem Stück hier
nicht zu religiös oder psychedelisch zu werden:
"Sie werden es nicht akzeptieren, wenn es religiös
oder psychedlisch wird." Doch sind das zugelassene Themen,
und ich bin derjenige mit dem Hund auf dem Boden,
der vielleicht von mir träumt.
Genau genommen von jenem Teil von mir, der einen Hund
ohne Grund schlagen würde, aus keinem Grund jedenfalls,
den ein Hund verstehen könnte.
Ich versuche, auf etwas so Einfaches zu kommen,
dass ich mich verständlich ausdrücken muss,
damit die Worte es nicht entstellen.
Und wenn sich heraustellt, dass nicht wahr ist, was ich sage,
dann lass es harmlos sein
wie ein leckes Boot im Schilf,
das niemanden stört.

VI.

Ich traue der Genauigkeit meiner Erinnerungen nicht,
viele sind mit sentimentaler Telefonwerbung vermischt
oder mit Fernsehspots für Margarine.
Komplett verhunzt von der Madison Avenue,
obwohl schon länger keiner mehr die Werbewelt
als Madison Avenue zu bezeichnen scheint. (Hat sich da was geändert? Ich muss mich mal auf den aktuellen Stand bringen.)
Doch zuerst gibt es noch ein paar Angelegenheiten,
um die ich mich zu kümmern habe.
Ich ging hinaus zur Anhöhe hinter dem Haus,
die heute wirklich was von Alaska hat,
und es wäre entschieden einfacher, dir das zu erklären,
wenn ich ein Foto der Anhöhe hätte.
Jedenfalls war ich mit unserem jungen Hund unterwegs,
er rannte durchs hohe Gras,
als ob in diesem Rennen durch hohes Gras
alles Leben enthalten wäre,
bis er eine Bierdose findet oder ein Vogel ruft
und ihm das voll den Schädel füllt.
Weißt du,
sein Kopf kann immer nur einen Gedanken fassen
und wenn er endlich mitkriegt, dass ich ihn rufe,
schaut er auf und legt den Kopf schief.
Für einen Augenblick
ist meine Stimme absolut alles:
Selbstporträt mit 28.
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