Hm, ich probiers mal, aber das ist schwierig abstrakt in Worte zu fassen, weil das eben genauso wie mit Fischers Talk ist. Was sie sagt, auch als Amerikanerin, nicht nur als Wissenschaftlerin und Frau und gerade in so einem allgemein gehalten Talk und was sie meint, ist kulturell gefärbt, kann aber von jemandem mit einer anderen kulturellen Färbung ganz anders interpretiert werden oder die Betonung einzelner Komponenten und damit die ... Tendenz/Stoßrichtung ist eine andere. Das kann man sich abstrakt nicht vorstellen (ich jedenfalls konnte es nicht), ähnlich wie in einer Beziehungskrise zwischen zwei Menschen der selben Kultur, wo einer A sagt, der andere die Worte hört, aber etwas ganz anderes hinein interpretiert und dann stehen beide am Punkt des "Aber ich habe doch eindeutig gesagt, daß ...".
Und das ist kulturell auch der Fall und Amerikaner sind beziehungstechnisch teilweise sehr verschieden geeicht von dem, was wir aus der deutschen Kultur als "ganz logisch" ansehen und umgekehrt. Jonathan, du hast völlig recht, keiner ist im Vakuum und es gibt die gegenseitige Prägung, d.h. was eine Seite entwickelt, können andere (auch unbewußt, weil sie gar nicht merken, daß das kulturell gefärbt ist und nicht universell) übernehmen in Bewertungsmaßstab und Verhaltensweise. Aber das ergibt trotzdem - jedenfalls in meiner Wahrnehmung - immer wieder nicht nur nicht identische sondern teilweise nicht mal ähnliche Bewertungen.
Wobei hier auch eine große Rolle spielt, daß es DEN Amerikaner nicht gibt, sondern Ost- und Westküste z.B. (es ist eben ein Kontinent!) sehr verschieden sind auch bei dem Thema. Die Ostküste wird stärker durch Europa geprägt, die Westküste durch Asien und Lateinamerika.
Ich versuche es mal an einem Beispiel: Ich hab in L.A. mein "übliches" Beuteschema durchgehalten, welches ich in Deutschland hatte. Männer um die vierzig, die beruflich ziemlich gut zurecht kommen. Nicht weil ich nach Geld schaue, aber bestimmte Verhaltensweisen/Eigenschaften sind meistens mit beruflichem Erfolg verbunden. Also dachte ich eigentlich, so viel anders kann das ja nicht sein hier drüben ...
Puh, völlig falsch gedacht und in den ganzen Jahren in Berlin ist mir nie auch nur andeutungsweise was Vergleichbares passiert. Zum einen hat mich völlig kalt erwischt, daß es hier zumindest in der Altergruppe als zwingend angesehen wird, daß ein Mann dafür sorgt, daß die Frau eine gute Zeit hat und sie sollte gefälligst das konsumieren und ihm auch einen angenehmen Abend machen. Klingt sinnvoll und normal, hm? Sieht in der Realität aber so aus, daß er ihr Komplimente über Komplimente macht und flirtet was das Zeug hält und macht und tut - und dann bezahlt und sich nie wieder meldet, ja sogar Anrufe oder Mails nicht mehr beantwortet, die haben hier sogar Services, bei denen man sich verleugnen lassen kann. Sprich wenn eine bestimmte Nummer Dich anwählt, springt nen Calldienst ein, der irgendwas erzählt. Letzteres ist mir nicht passiert, aber die "cut off durch Ignorieren" paarmal. Keine Erklärung, keine Absäge-SMS oder sonstwas, absolute Totenstille - und das gilt als ... höflich. Weil man so keine "hässlichen" Wahrheiten aussprechen muß und sich generell dem Konflikt entziehen kann. Beim ersten Mal hab ich mir noch tierisch Sorgen gemacht, wir standen ja lange im Mailkontakt und plötzlich war er verschwunden, ich dachte, ihm ist was passiert. Dann zwei Wochen später bekam ich über das Portal, auf dem wir uns kennengelernt hatten, von ihm einen "Zwinker" geschickt. Und dachte nur: wie albern ist das jetzt? Hätte ich entsprechend reagiert, wär's wohl nen Booty Call geworden.
Konfliktausweich-Verhalten ist hier generell ein ganz großes Thema.
Der Mann hat jedenfalls eine Rolle zu spielen beim Date,
unabhängig davon, wie er sich fühlt, ob er sie anziehend findet. Das gilt als gentlemanlike. Was wirklich Fakt ist, erfährt sie erst danach basierend darauf, ob er noch erreichbar ist oder sich selbst meldet.
Parallel dazu gilt, daß es als zunehmend unhöflich gilt, wenn man "harte" Fakten anspricht, also über Realitäten wie Beruf etc. spricht, da die momentane wirtschaftliche Krise für viele finanzielle Probleme und teilweise bis zur Obdachlosigkeit Folgen hat. Mit der Realität wollen sich viele daher momentan gar nicht beschäftigen, ein Angelino hat mich drauf hingewiesen, das besser zu lassen - zusätzlich zu den Tabuthemen Religion und Politik.
Und es hat Gründe, warum in Kontaktanzeigen hier das Jahreseinkommen des Mannes eigentlich zwingend angegeben werden muß. Wenn er weniger verdient als sie und auch sonst nicht repräsentativ agieren kann, weil ihn sein Job "aufbaut" oder sein Auto, dann reagieren die Männer hier unglaublich verunsichert. Weil für sie ihre Attraktivität daran und eigentlich NUR daran hängt. Denn die Wenigsten haben sich emotional entwickelt, dafür gibt es gar keine Zeit oder Anstöße, die Sicherung und Vermehrung des materiellen Wohlstandes ist absolut präsent und vorrangig.
Ein Date von mir z.B. wollte unbedingt Sex im Auto oder bei mir, aber zu ihm ging gar nicht. Parallel hatte er noch eine andere Frau, mit der er sich gerade traf (offen mehrgleisig daten ist hier vollkommen normal). Als ich ihm am ersten Abend schließlich deutlich sagen mußte, daß ich gar kein Interesse an Sex habe, mir das zu früh ist - Küssen gehört hier zum Vorspiel, also A führt fast zwangsläufig zu B, scheinbar wird "frau" deswegen frühzeitig sonstwo angefasst, aber nicht als erstes mal geküsst - nickte er ein bisschen enttäuscht - und war überzeugt, daß ich meinte, wir hätten Oralsex (weil das kein richtiger Sex ist, Clinton läßt grüßen, kein Scherz). Ich habe mein ganzes Leben lang noch nie mit einem Mann diskutieren müssen, um klarzumachen "Hey, ich meine wirklich NEIN. Auch DAS ist Sex.". Solche Missverständnisse hatte ich hier aber häufiger, langsam fang ich allerdings an, ein wenig Gefühl für dieses Kuddelmuddel zu entwickeln ...
Dann gibt es diese blöde Sache mit dem "Orgasmus mit offenen Augen", die Schnarch auch so propagandiert, weil das eigentlich erst tiefe Intimität beim Sex ermöglichen würde.
seufz Ich bin gesichtsblind, ich KANN das nicht, weil da was im Gehirn anders verdrahtet ich, so könnte ich niemals kommen. Bisher hat das aber noch nie jemanden interessiert, egal welche Tiefe in Sachen Intimität. Hier in L.A. bin ich drauf angesprochen worden ... Von wegen ich wär ja gar nicht "da" und so. Bis ich verstanden hatte, worum es geht, war ich erstmal nur verdattert.
Kurz gesagt: hier in L.A. habe ich große Probleme damit, potentielle Partner zu finden, nicht etwa, weil mich die Männer nicht ansprechen, sondern weil ... sie mit der deutschen Direktheit nicht klarkommen. Da geht zwischen Deutschland und Westküste ein tiefer Riss durch die Kulturen. Sie fühlen sich vor den Kopf gestoßen, verunsichert, weil sie mit materiellen Dingen nicht auftrumpfen können - und ich komme mir komisch vor, wenn ich mit Männern Ende 40 Gespräche führe, als ob ich einem deutschen Teenager Grundlagen von Beziehungsdynamiken erkläre und sie das unglaublich erleuchtend finden, weil sie noch nie drüber nachgedacht oder drauf geachtet haben. Verschmelzungsverhalten in Extremform, als ob Hollywood-Filme die Realität wären, die Leute passen sich dem an und zwar in jeder Hinsicht, anstatt zu merken, daß sie da Substanz aufgeben. Da ist so eine Hilflosigkeit in Sachen Realität und Pragmatismus, Konfliktangst etc ... Beispiel: Ich schreibe mir mit jemandem, wir verstehen uns ganz gut, aber seine Antworten fallen ganz schön knapp aus (das Profil war lang und ausführlich). Nicht sehr befriedigend, zumal er nicht auf meine Fragen eingeht. Na gut, hat er kein Interesse, kann ich mit leben und lasse es einschlafen. Paar Tage später eine Mail von ihm, wie es mir geht, er vermisst mich. Hm, verwundert mich, ich antworte, daß ich eben den Eindruck hatte, er ist nicht sehr interessiert, weil er kaum antwortet, alles so knapp ist und er meine Fragen auch nicht beantwortet. Antwort (und die ist typisch): Oh nein, gar nicht. Jetzt bin ich unglücklich darüber, daß mein Harmoniebedürfnis nicht erfüllt wurde, denn ich gebe Dir nicht, was Du möchtest. Kannst Du mir nochmal die Fragen schicken?
...
Das ist die gewaltfreie-Kommunikations-Ratgeber-Schiene. Theoretisch ja ganz gut, aber die Basis, auf der das angewendet wird, ist eine völlig andere als in Deutschland üblich. Und die Folgen sind - für mich jedenfalls - absurd. Als ich die Fragen schicke (und den Kopf schüttle, daß er die nicht selber raussuchen kann), kommt nämlich wieder nur 1-2 Zeilen Antwort. Und als ich ironisch (oh weia, das verstehen sie nämlich meistens nicht) antworte, er wäre ja schön, wenn er das mal ein wenig ausführen könnte, was er damit meint, kommt als Antwort: "Ja, das ist so mein Problem, ich halte mich immer ziemlich kurz, da mußt Du mich immer mal anstoßen. Aber ich möchte Dir geben, was Du brauchst.". Natürlich ohne nähere Erklärung zu dem, was er da hingeknallt hatte.
Nicht nötig zu sagen, daß ich mich entschieden habe, nichts mehr zu "brauchen".
Ich könnte stundenlang weiterschreiben, es sind lauter Kleinigkeiten die einzeln betrachtet nicht auffallen, aber mit der Zeit wird es irritierend und ergibt einen gewissen Lerneffekt. Inzwischen bin ich ganz effizient darin, die unverbindliche Smalltalk-Datingmasche mitzuspielen und zu wissen, es hat null Bedeutung und daß er mich nicht mit nach Hause mitnimmt, kann heißen, er lebt im Auto oder er hat da so ein Tantra-Ritual-Ding mit seiner bestehenden Partnerin laufen, das intimen Kontakt verbietet für 3-4 Tage (vor allem Tantramassagen, Oralsex natürlich nicht lol) oder oder oder. Oder - für mich jedenfalls sinnvoller - ich verscheuche die meisten sehr eindeutig mit Statements, da würde ein Deutscher Mann die Schultern zucken und sagen "tjo ... und?", übrig bleiben die, mit denen ich eine Ebene finde in Gespräch und ohne vorgefertigte Regelwerke, die ein tatsächliches Kennenlernen aber fast verbieten.
Ich werde mich zwar auch in Jahren nicht wirklich dran gewöhnen, daß Sachen passieren wie er besteht (besteht! wie sehr kann ich gar nicht betonen) drauf, zu bezahlen, ich werde knurrig, weil ich ja auch Geld verdiene und er meint (für ihn nett gemeint): Na gut, wenn Du Deine erste Million verdient hast, darfst Du auch, ja? Gleichzeitig gehen wir gezielt in normal teure Restaurants, die ich mir auch leisten kann, weil er nicht möchte, daß ich mir gekauft vorkomme.
Oder anderer Fall, er holt mich ab mit teurem riesen Cabriolet (oder ... Hummer ächz), ich witzle noch etwas unbehaglich, daß ich ja mal bei Greenpeace war und es da so Sachen gibt mit Poser und so. Er nickt ernsthaft und meint: ok, dann hole ich Dich nächstens mit meinem andern Auto ab. Nen 4-Rad-Jeep.
Versteht ihr, was ich meine? Auf der Ebene (man dringt eigentlich nicht zum Kern vor, um Konflikte zu vermeiden, es gibt "Lösungen", die keine sind, aber scheinbar wurde was getan) läuft das hier alles. Und bei Beziehungen eben auch. Und wenn man das erstmal anfängt gefühlsmäßig zu erfassen, lesen sich solche Beziehungsratgeber plötzlich vollkommen anders. Bisschen als ob man schizophren wird: man liest mit zwei Blickwinkeln, dem eingeprägten kulturell eigenen und der Wertung und Verständnis, welches man damit hat. Und der neu erlernten, der eine ganze andere Wahrnehmung der selben Zeilen bewirkt. "Richtig" fühlt sich immer noch (wird es vielleicht immer) die deutsche Sicht- und Fühlweise an. Aber die ostamerikanische ist jetzt die entscheidende, ich muß also auch emotional übersetzen und mich an die emotionale Sprache gewöhnen. Das ist eigenartiger, als eine verbale/geschriebene Sprache zu lernen.
Und um den Bogen zu spannen z.B. zu Japan ... Mein Mann und ich interessieren uns schon lange für die japanische Kultur und sind mit einigen der Denkweisen und Wertungsweisen in Alltagsdingen und auch Beziehungssystem mittlerweile halbwegs vertraut. Das ist völlig "fremd" im Vergleich zu Deutschland oder L.A. Gewöhnen kann man sich daran trotzdem, emotional auch offen sein und eben eine zweite "emotionale" Sprache lernen. Aber wie fremd das wirklich dem deutschen ist (wir sind ja schrittweise reingerutscht), habe ich erst vor ein paar Wochen begriffen, als meine Eltern mich in Berlin das letzte Mal besuchten und ich ihnen mal viel Zeit widmen konnte und wir so isn intensivere Gespräch kamen. Auch eben über Hobbies und so. Für sie war die emotionale Welt der Polys ja schon schwer zu anzunehmen, also die andere emotionale Sprache, die da gesprochen, gefühlt wird. Das hat jetzt gut 2 Jahre gedauert und allmählich ist ihnen das vertraut - zwar nicht ihrs aber als annehmbar, Fremdsprache hinnehmbar. Mit den japanischen Konzepten war das eine totale Wand. Die ostamerikanischen sind da nicht sooo weit weg. Aber ich sehe sie mittlerweile auch als sehr viel verschiedener an, als es uns Medien weiß machen wollen. Oder unter den Tisch kehren. Und mein Mann und ich haben z.B. auch, egal wo wir sind auf der Welt, sehr enge Verbindungen zum "Inda-Net". Sprich indische Freunde. Mir ist schon mehrfach gesagt von Arbeitskollegen aus aller Welt, die mit diesen ja auch arbeiten, daß das extrem selten passiert, daß man in den inneren Kreis aufgenommen wird. Für uns ist das nie gezielt passiert oder schwierig gewesen, aber ich denke auch das hat mit der Gewöhnung und intensiven Beschäftigung mit kulturell verschiedener emotionaler Sprache zu tun. Und der Akzeptanz, daß es so ist, zu tun. Wir verstehn unsere indischen Freunde auf ziemlich umfassender Ebene, weil wir akzeptieren, ja davon ausgehen, daß wir vieles nicht wissen und vieles anders, aber gleichberechtig empfunden wird, was auch emotionaler, privater, intimer Ebene abläuft. Nur stechen wir auch dort total raus, weil wir die einzigen nicht-Indern im Kreis sind. In Berlin dachte ich noch, das wäre ein Zufall. In L.A. jetzt nicht mehr.
Und ehrlich gesagt: ich frage mich manchmal, wie wir es eigentlich geschafft haben, uns bis heute nicht gegenseitig auszurotten, wenn wir uns so oft gerade NICHT verstehen. Weil das Verständnis der kulturellen Prägung so massiv ignoriert oder unterschätzt wird.
Das zieht sich ja nicht nur durch Beziehungserleben, sondern auch Alltag und Politik. Man braucht sich doch nur mal chinesische Politik ansehen, sich mit dem Prinzip der Strategeme beschäftigen und wenn man sich dann möglichst weit von eigener Prägung distanzieren kann - zumindest rational, wird das alles plötzlich viel komplizierter und desaströser, als es erstmal aussehen mag, ergibt aber Sinn...