Der erste Gedanke...
...beim Lesen dieses Themas war: "Oh nein, bitte nicht schon wieder diese kategorischen, kurzgefassten Kommentare, dass eine Beziehung ohne Sex keine wirkliche Beziehung ist!"
Wie angenehm dann die Überraschung, als ich die einzelnen Beiträge gelesen habe. Absolut geistreiche, durchdachte und offensichtlich auch oft auf eigener Erfahrung basierende Aussagen, bei denen eben nicht das übliche "Schwarz-Weiß-Denken" zu Tage tritt. Und aus vielen der Kommentare liest man den emotionalen Zwiespalt heraus, den diese Problematik für die Betroffenen nach sich zieht ("Amarinta": ein dickes Kompliment für Deine Beiträge! *respekt*).
Ich erspare mir die Zeitangabe, in denen meine Partnerschaft quasi "sexlos" verläuft – aber wir reden über einen sehr, sehr langen Zeitraum (damals war Deutschland noch Fußball-Weltmeister ;-). Nach dem ersten Kind hatte sich das Thema für meine Frau erledigt. Zuerst habe ich es auf die Schwangerschaft geschoben, dann auf die ungewohnte Situation mit einem kleinen Kind, dann auf diverse Umzüge – aber irgendwann war uns beiden klar, dass es sich offensichtlich um eine schleichend entwickelte Asexualität meiner Partnerin handelt. Das Kuriose daran ist, dass meine Frau die wenigen Male, die wir miteinander schliefen, durchaus Gefallen daran fand, aber trotzdem stellte sich anschließend keinerlei anhaltendes Bedürfnis danach ein. Und irgendwann empfand ich es als erniedrigend, immer und immer wieder um körperliche Zärtlichkeiten zu "betteln". Wenn Sex, dann bitte mit beiderseitiger Lust, und nicht als widerstrebendes Opfer, damit man(n) mal zum Höhepunkt kommt. Letztendlich ist es auch nicht das, was mir am meisten fehlt. Es ist die Zärtlichkeit, das anschließende Haut-Spüren, des Spiel mit dem Körper und der Lust des Gegenübers, das Gefühl, vor lauter Zuneigung sprichwörtlich in seinen "Partner hineinkriechen" wollen...
Es kommt dann zwangsläufig der Punkt, an dem man eine gedankliche "Pro- und Kontra-Liste" aufstellt. Was spricht für den Erhalt der Beziehung resp. Ehe, und was dagegen? Keine Frage: Das Fehlen jeglicher körperlicher Zuneigung ist ein gewaltiger Minuspunkt. Ebenfalls nicht zu vernachlässigen ist der Aspekt der dadurch fehlenden Bestätigung, die einhergeht mit Selbstzweifeln und schwindendem Selbstbewusstsein ("Liegt es vielleicht doch an mir? Verhalte ich mich falsch? Bin ich unattraktiv? Hat sie vielleicht einen anderen?").
Aber da gibt es ja als Gegengewicht auch die positiven Elemente einer Beziehung, die vielen Gemeinsamkeiten. Die gemeinsame Verantwortung für Kinder (die das harmonische Zusammensein mit BEIDEN Eltern extrem genießen), der übereinstimmende Humor, sicherlich auch eine große Portion Gewohnheit, gemeinsame Hobbies, gemeinsam gemeisterte Krankheiten, zusammen Erlebtes – positiv wie negativ, die Vertrautheit, gemeinsame Ziele, berufliche Verbundenheit, das Gefühl, sein gegenüber beschützen zu wollen – und beschützt zu werden, die Freude an kleinen, alltäglichen Dingen, und und und..
Und so neigt sich die Waage plötzlich wieder und man überlegt, welche Wege es gibt, die Beziehung trotz des Problems des fehlenden Sexes weiterzuführen. Seine Befriedigung außerhalb der Ehe zu suchen? Funktioniert m.E. nicht auf Dauer. Es gibt schöne Momente, Momente voller Lust und Zuneigung, voll animalischer Triebbefriedigung – aber es ist kein Ersatz für die eigentliche Beziehung und unter Umständen auch unfair und respektlos gegenüber dem "Seitensprung", der niemals die Zuneigung erhalten kann, die er sich vielleicht erhofft und die ihm im Sinne eines respektvollen Miteinanders auch gebührt (vorausgesetzt, es handelt sich wirklich um eine Art "Affaire" und nicht um einen reinen ONS). Was also dann? "Lustbetäubung" durch Extrem-Sport? Warum nicht? Ich habe festgestellt, dass es in diesem Umfeld eine Menge Männer (und Frauen?) gibt, die in ähnlicher Situation wie ich waren. Die Probleme in ihrer Beziehung mit exzessiver körperlicher Beanspruchung zu kompensieren versuchen.
Aber auch das kann natürlich nicht die wirkliche Lösung sein. Zumal – und auch das wurde bereits mehrfach angesprochen – der fehlende Sex je nach Situation die Stimmungslage sehr beeinflusst, Unausgeglichenheit und Gereiztheit bewirkt und sich letztendlich auf die Psyche und dadurch auch auf die Physis auswirkt.
Das ist jetzt der Punkt, an dem ein normaler Text seinem Höhepunkt entgegenstreben würde. Aber – wie passend bei diesem Thema ;-): Es gibt keinen Höhepunkt! Es gibt keine Lösung. Zumindest keine, die in meinem subjektiven Fall ohne größere Wunden zu bewerkstelligen wäre. Trennung bedeutet den Verlust vieler Dinge, die mir unendlich wichtig sind, allem voran der familiären Beziehung. Keine Trennung bedeutet weiterhin der Verzicht auf den Austausch von Zärtlichkeit und Sex. Mag sein, dass man für seine Befriedigung (und damit spreche ich nicht vom reinen Austausch von Körperflüssigkeiten) Opfer bringen muss, aber dass Opfer "Familie" ist mir momentan dafür zu groß.
Es wird also darauf hinauslaufen, sich mit der gegebenen Situation weiterhin zu arrangieren. Das wird – wie in der Vergangenheit – mal mehr und mal weniger gelingen. Das ist auch kein Grund für Mitleidsbekundungen. Ich treffe diese Wahl bewusst und wohlüberlegt, bin also alleine dafür verantwortlich. Ob diese Akzeptanz der gegebenen Umstände von Dauer ist, vermag ich nicht zu beurteilen. Vielleicht kommt irgendwann der Punkt, an dem das Bedürfnis, auszubrechen und all das nachzuholen, was mir zur Zeit verwehrt bleibt, so groß wird, dass es mir die weitreichenden Folgen wert ist.
Auf jeden Fall kann ich Euch abschließend mit der Weisheit meines Alters
nur dazu raten, die gemeinsame Sexualität und Lust zu genießen, sie zu hegen und zu pflegen, da sie das (wie man in diesem Thread lesen kann: nicht selbstverständliche) i-Tüpfelchen auf einer intakten Beziehung ist!