Der Bauch
Der Bauch ist der wohl am meisten unterschätzte Körperteil des Menschen. Generell; und erotisch im Besonderen. Allenfalls bei männlichen Pin-Ups (und in diesem Fall ist die Waschbrettvariante gemeint) wird auf das scheinbar erotische Ablichten des Bauchs gesteigerten Wert gelegt. Bei erotischen Fotos der Frauen fristet er ein Schattendasein, denn er muss unauffällig sein, darf ja nicht stören, soll faltenfrei daherkommen, flach und makellos bitteschön. (Eine Ausnahme bilden natürlich Aufnahmen schwangerer Frauen, aber da fällt es selbst dem kreativsten Fotografen schwer, den Bauch auszusparen.) Das hat zur Folge, dass kaum noch jemand seinen eigenen Bauch (denn wir gehören zu den 99 % derer, die ein normaler Bauch ziert) zufrieden ist, oder ihn gar mag oder schön findet. Das ist per se schon mal sehr schade, aber das Gravierende daran ist, dass der Bauch in der Folge im erotischen und sexuellen Miteinander oft nur noch eine untergeordnete Rolle spielt: »Därr Säkt, däär att sooo schön göpriekelt ien mein Bauchnabbel …«
Bei Kindern ist das noch etwas völlig anderes, für Kinder ist der eigene Bauch der Nabel ihres Seins, ihrer kleinen Welt. Bis zu einem gewissen Alter deuten Kinder grundsätzlich auf ihren Bauch, wenn man sie fragt, wo etwas wehtut. Im Bauch steckt das Gefühl. Woher Kinder das wissen? Na, weil es so ist! Wir besitzen im Bauch Zellstrukturen, die denen des Gehirns sehr ähnlich sind, ein zweites Gehirn sozusagen, manche Forscher sprechen gar vom Bauch als Sitz des emotionalen Gehirns. Und unsere Sprache gibt Aufschluss darüber, dass der Bauch nicht immer so im Schatten stand. Wir sprechen davon, dass uns eine Entscheidung oder Situation Bauchschmerzen verursacht, wir haben ein komisches Gefühl im Bauch, wir scheitern mit etwas und fallen damit auf den Bauch, wir fällen eine Entscheidung aus dem [hohlen] Bauch heraus, man fragt uns ein Loch in den Bauch und manchmal haben wir eine Mordswut im Bauch. Manchen Menschen können starke Emotionen grundsätzlich auf den Bauch schlagen und dass dies nicht nur negativ sein muss, dafür will ich ein bisschen Public Relation machen.
Betrachten wir uns mal den Kuss auf den Bauch. Der Kuss auf den Bauch ist sehr intim, ohne fordernd oder zielgerichtet zu sein. Man kann ihn zum Beispiel fast berührungslos gestalten. Der taktile Reiz durch die küssenden, hauchenden Lippen oder die darüber streichende Zunge wird durch das Berühren der vielen kleinen Härchen dort um ein Vielfaches verstärkt und als äußerst erotisierend wahrgenommen. Man kann natürlich auch das genaue Gegenteil machen, sein Gesicht in den weichen Bauch drücken und einmal kräftig lospusten. Diese Intimität, die man eigentlich aus der Eltern-Kind-Beziehung kennt, sucht im erotischen Miteinander seinesgleichen. Sie ist durch die Nähe der primären Geschlechtsorgane einerseits fast schon eine sexuelle Berührung, andererseits ist sie in ihrer Infantilität geradezu entwaffnend asexuell und regt beide Beteiligte zum herzhaften Lachen an. Eine Mischung diametraler Gefühle, die aber in der Lage ist, innerhalb kurzer Zeit großes Vertrauen aufzubauen, das zu zerstören im weiteren Verlauf der sexuellen Handlung geradezu töricht wäre.
Die meisten Menschen streicheln den Bauch ihres Sexualpartners, wenn überhaupt, dann nur flüchtig und seelenlos, als schnellen Übergang zu den in ihren Augen wichtigeren Teilen wie Brüste, Vulva und Penis. Die Chancen zur Steigerung der sexuellen Lust, die sie sich durch dieses gedankenlose Verhalten zunichte machen, sind immens. Zu merken ist das am verräterischen Zusammenzucken des Partners bei dem Versuch, die Hose (egal ob bei Mann oder Frau) zu öffnen. Dieses Zusammenzucken rührt nicht etwa nur daher, weil die Aussicht auf Stimulation der Geschlechtsorgane kurz bevor steht, sie ist auch eine Folge der Bauchberührung.
Blicken wir ein paar Hundertausend Jahre zurück in die Menschheitsgeschichte, welche Rolle spielte der Bauch beim Sex damals? So gut wie keine. Die Standardstellung – bevor die christlichen Missionare auf den Plan traten – war die Hündchenstellung. Die Bloodhoundgang brachte dies in einem meiner Lieblingssätze in einem ihrer Lieder auf den Punkt: You and me baby, we are nothin’ but mamals, so let’s do it like they do on the discovery chanel. Wir sind nur Säugetiere, also lass es uns treiben wie in einem Grizmek-Film. Der Bauch war keine erogene Zone, er war, neben dem Kopf, der empfindlichste Körperteil zum Überleben. Ohne Kopf geht’s nicht und ohne Bauch geht’s auch nicht, kein Überleben möglich, auf alles andere kann man zur Not verzichten, auf die beiden nicht.
Was galt es damals also um jeden Preis? Richtig, es galt, den Bauch zu schützen. Ein Hundebesitzer beispielsweise weiß, dass der Hund sich auf den Rücken legt und ihm den ungeschützten Bauch (ungeschützt wegen fehlendem Fell) präsentiert als Zeichen der Unterwerfung. Hier, ich zeige dir meine verletzlichste Stelle, ich gehöre dir (ich vertraue dir), zum Zeichen meine Zugehörigkeit zeige ich dir hier meine verletzliche Seite. Beim Sex macht der Hund das nicht. Vielleicht mag es vereinzelt Fetischhunde geben, denen es einen besonderen Kick verschafft, in der »Menschen-Stellung« (analog unseres Doggy-Styles) zu vögeln, allerdings bezweifle ich das. Der Bauch spielt also beim Hundesex keine Rolle. Beim Menschen war das in früherer Zeit ganz gewiss auch so. Die Frau dreht dem Menschenmännchen schließlich ihre Kehrseite zu, denn so hatte sie dies seit Jahrmillionen gemacht und so hat es ebenso lange fantastisch funktioniert. Der Mann wendet der Partnerin zwar den Bauch zu, allerdings vermag sie diesen ja nicht anzugreifen, weil sie ihm wiederum nur den Arsch hinhält. Bauch? Fehlanzeige.
Diese zusätzliche Komponente der menschlichen Sexualität hat sich erst irgendwann in den letzten Hunderttausend Jahren ausgebildet. Also das vermute ich, ich bin ja schließlich kein Anthropologe. Und was soll das? Wir hätten doch auch gut noch ein paar Jahrmillionen beim Hündchenstil bleiben können, ohne dass es der Fortpflanzungsrate sonderlich geschadet hätte. Was hat uns denn die Missionarsstellung und mit ihr die Einbeziehung des Bauchs in den Sex gebracht? Es hat uns die Komponente »Vertrauen« mit in den Sex gebracht. Dadurch, dass wir unserem Partner den ungeschützten Bauch präsentieren, signalisieren wir ihm: »Ich vertraue dir.« Dazu noch: »Ich gehöre (zu) dir.« Und das mündet dann letztendlich im: »Ich liebe dich.«
So wie sich also der Wandel von der biologischen hin zur kulturellen Evolution vollzogen hat, haben sich solcherlei Paarbindungsrituale herausgebildet. Nun ist jedem von uns aber auch klar, dass wir den Mann oder die Frau, die wir vielleicht letzte Nacht unvorsichtigerweise mit nach Hause genommen haben, nicht unbedingt heiraten möchten, und auch ein: »Ich liebe dich« ist nicht in jeder Konstellation, in der man Sex möchte, unbedingt angebracht. Warum sind solche Sachen dennoch so wichtig? Das liegt wiederum an der Art, wie wir Sex haben, eben nicht mehr ausschließlich von hinten sondern sehr vielfältig. Einer von beiden signalisiert also bereits jetzt sein Vertrauen (möglicherweise ohne es zu haben), seine Zugehörigkeit und wenn dann die Rückmeldung fehlt, existiert schnell ein Ungleichgewicht.
Es sollte doch nicht zuviel verlangt sein, dem anderen zurückzumelden: »Ich nutze dein Vertrauen nicht aus.« Oder vielleicht: »Ich achte auf das was (zu) mir gehört.« Und klar: »Ich liebe dich.« Das Beste daran ist, sie brauchen dazu keine goldene Kreditkarte, keinen professionellen Leumund, sie können sogar verwegen aussehen und es gelingt trotzdem: Sie müssen einfach nur den Bauch beachten! Es reicht vermutlich nicht, einmal kurz zu patschen wie ein Kleinkind anschließend darauf herumzustreichen und ihn dann mal zu küssen, alles am besten innerhalb von nicht ganz einer Minute nur um sich danach dann ausschließlich den »wichtigen« Stellen zu widmen. Wie man das macht und damit mindestens zwei Fliegen mit eine Klappe schlägt, das kommt nun zum Schluss.
Der Bauch ist immer warm, das ist es, was einen großen Teil seiner Faszination ausmacht. Kalte Hände haben wir häufig, kalte Füße erst recht, einen kalten Arsch kennt jeder (und dies nicht nur als Redewendung für »tot«), und sogar der Schwanz ist manchmal (eis)kalt – aber einen kalter Kopf oder einen kalten Bauch kennen wir eigentlich nicht. Und 37 Grad Celsius sind nun einmal verdammt sexy, das empfindet glaube ich jeder Mensch so. So wie jeder Hunger und Durst hat, atmen will, so sehnt sich jeder nach der Berührung von 37 Grad warmer Haut (Autisten mal außen vor).
Es fällt uns so eigentlich leicht, den Bauch zu mögen und so sollten wir die Sache auch angehen – mit Liebe und mit Liebe zum Detail. Machen wir das nicht, sondern sehen diesen Text hier als »Gebrauchsanweisung«, ist die Möglichkeit des Scheiterns hoch. Unbewusst spüren die Menschen so etwas. Wer also Bäuche nicht mag (gibts so was überhaupt?) der wird bei der Umsetzung sicher keine Freude haben und es bei der Umsetzung wahrscheinlich an Enthusiasmus fehlen lassen.
Denn, streichelt man den Bauch, steht man schnell im »Verdacht« doch nur dort zu sein, weil die süßen Früchte so nah sind. Brüste und Hosenbund sind also vorerst tabu! Nur auf den Bauch konzentrieren. Nach einer Zeit, deren Spanne zu individuell ist, um sie hier beziffern zu können, wird der Bauchbesitzer merken: »Holla! Der/die will ja gar nicht an meine sexy Teile, wie merkwürdig! Seltsam, aber irgendwie fühlt sich das auch wiederum toll an. Ich bin mal gespannt, ...« Aha, da ist jemand gespannt, das klingt doch gar nicht schlecht. Besser als wenn die Person denkt: »War ja klar, und dabei haben wir doch grad erst begonnen!«, am besten noch mit einem Ich-guck-mal-genervt-an-die-Decke-Blick. Was passiert also im weiteren Verlauf? Die Spannung steigt und die Gedanken des Gestreichelten wandeln sich mehr und mehr weg von: »Jetzt schon?« und hin zu: »Wann denn endlich?«. Und genau da wollen wir ihn ja haben. Wann berührst du endlich meine Brüste? Wann machst du denn endlich meine Hose auf? Wann fasst du denn endlich meine Möse/meinen Schwanz an?
Und der Bauch ist groß, man hat also gut zu tun, ihn zu erkunden. Bei den »Erkundungsfahrten« wird man jetzt recht schnell eines merken. Nähert man sich einer heißen Zone, kann man die gestiegene Spannung spüren. Sei es ein Zittern, welches durch den Körper geht, das Zusammenzucken, oder die Gänsehaut, es wird Reaktionen geben. Und diese werden mehr, je länger man dies macht. Und da sind auch schon die beiden Fliegen mit einer Klappe. Man baut Vertrauen auf und macht dem Partner große Lust auf mehr. Wer will sich diese Chance entgehen lassen? Berührt man jetzt »zufällig« die Brust, oder steckt die Finger in den Hosenbund, wird die Reaktion von viel mehr Wolllust geprägt sein, als wäre dies gleich zu Beginn passiert. Wenn man spürt, dass es den Liebespartner regelrecht zur streichelnden Hand hindrängt, dann hat man wohl alles richtig gemacht.