Aus FOCUS Nr. 20 (1997)
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GESELLSCHAFT
Auf der Suche nach dem starken Mann
Typen, die das männliche Prinzip verfehlen, sind für Frauen keine Herausforderung mehr: Sie wollen wieder echte Kerle
Von FOCUS-Redakteurin Katja Nele Bode
Der Filmemacher Helmut Dietl kennt – zumindest im Film – die Frauen: „Sie war eine Schönheit und hatte dieses Heimweh nach starken, erwachsenen Männern in den Augen, nach Männern, die zum Töten taugen.“ So bezwingend rauh der Prolo-Poet Bodo Kriegnitz seine Angebetete Valerie in dem bitteren Society-Reigen „Rossini“ beschwört, so genau charakterisiert er das Drängen des modernen Weibes: die Sehnsucht nach dem starken Mann.
Emanzipation? Kein Thema mehr. Frauen plagen andere Probleme: Wo ist der Kerl, der mit Macht und Courage ausgestattet ist, der selbst die stärksten Frauen bezwingen könnte und dies doch nicht tut, weil er weiß, welch Klasse und Raffinesse den Damen eigen ist.
„Inzwischen macht mir das wahnsinnig Spaß, mich einem Mann unterzuordnen“, outete sich eine 33jährige Fotografin in „Marie Claire“ in einer Diskussion – ohne von den anwesenden Frauen gekreuzigt zu werden. Frauen haben die Schnauze voll von Typen, die jedem Konflikt ausweichen oder so sensibel sind, daß ihnen die Schulter wegsackt, sollte frau es wagen, sich anzulehnen. Die feingliedrige Naomi Campbell verschreckt schwächliche Verehrer mit einem trockenen: „I go for bulls.“ Diplomatischer formuliert es eine 28jährige Designerin: „Ich will keinen lieben Typen, der mir jeden Wunsch von den Augen abliest, sondern einen souveränen Draufgänger, der mir das Gefühl gibt, daß ich auch noch was von ihm lernen kann.“
Das Verlangen nach blutvollen Typen liegt offenbar im Trend: In einer Umfrage des IFAK-Instituts für Markt- und Sozialforschung (Taunusstein), die im Auftrag von FOCUS durchgeführt wurde, wünschen sich 77,6 Prozent der deutschen Frauen zwischen 18 und 49 Jahren den Mann, der ihnen das Gefühl gibt, daß er sie beschützt. Immerhin jede Dritte gibt zu, daß sie gern zu ihrem Partner aufblickt. Zeitgeist- und Frauenmagazine lamentieren plötzlich über die Männer als „Das schwächere Geschlecht“, fordern „Mucho Macho“ oder registrieren ungläubig, daß offenbar „Schweine bevorzugt“ werden.
Das amerikanische Nachrichtenmagazin „Newsweek“ betitelte seine Story über eine neue Generation von Männern mit der Schlagzeile „Bad Boys“ und jubelte: „Fangt schon mal an, euch zu fürchten, zartfühlende Jungs. Der neue, postsensible Mann ist eingetroffen, und er wird euch Sand in die Augen schmeißen.“ Die Autoren betonen, daß es sich bei diesem neuen Trend nicht um gefährliche Misogynie handle, sondern bezeichnen die neuen männlichen Phantasien als „Popkult-Testosteron-Pflaster“ für eine Männergeneration auf der Suche nach einer Identität.
Schon Robert Bly, Autor der Männer-Bibel „Eisenhans“, wußte Anfang der 90er, als die Krise der Männer erstmals benannt wurde und Männergruppen und animalische Waldtänze als Heilmittel herhalten mußten: „Die genuinen Energien des Mannes befinden sich nicht in der weiblichen Dimension, sondern in der maskulinen Tiefe, nicht aber in der schalen Männlichkeit.“ Der amerikanische Autor Michael Segell fordert in seiner Cover-Story für den „US-Esquire“, „The Second Coming of the Alpha Male“, eine behutsame Rückkehr zu männlichen Tugenden.
„Im tiefsten Innern möchte jede Frau es mit einem starken Mann zu tun haben. Sie möchte sich auseinandersetzen und nicht nur auf Zustimmung stoßen. Sie sehnt sich nach einem Mann, der Entscheidungen trifft und ihr klar sagt, daß nicht alles Gold ist, was sie den ganzen Tag daherredet“, resümiert der australische Psychotherapeut Steve Biddulph in seinem Buch „Männer auf der Suche“ (Beust Verlag, München).
Starke, emanzipierte Frauen rangen in seiner Praxis verzweifelt die Hände, weil sie sich, nachdem sie endlich einen einfühlsamen „New-Age-Mann“ gefunden hatten, plötzlich „zu Tode langweilten“. Fehlt ihnen in ausgewogenen Hänsel-und-Gretel-Beziehungen ohnehin schon der erotische Kick, so fordern sie vielmehr die Lust, die aus dem Widerstand, aus dem Abprallen am Gegenüber entsteht. Henner Ertel von der Gesellschaft für Rationelle Psychologie in München konstatiert verblüfft: „Frauen scheitern eher an der Nachgiebigkeit der Männer als an ihrer Härte.“ Der Mann, der dem Liebsein anheimfalle, spiele eine Rolle, die auf Dauer nicht zu erfüllen sei.
Die Töchter des Feminismus formulieren selbstverständlich, worauf sie nicht mehr verzichten wollen: politische Gleichstellung, wirtschaftliche Chancengleichheit, die gleichen Bildungs- und Karriereoptionen wie Männer, aber sie registrieren verblüfft, daß der ideale, ebenbürtige Mann irgendwo auf der Strecke geblieben ist. Das Gros der Männer scheint noch nicht ganz begriffen zu haben, daß die Liebe einer starken Frau vor allem ein Kompliment an ihre Männlichkeit bedeutet: „Männer, die Angst vor Frauen haben, sind durchweg schwache Männer, Männer, die nicht eine tatsächliche männliche Identität entwikkeln konnten“, so Catherine Herriger, Diplompsychologin aus Bern und Autorin des Buches „Die gespaltene Frau“ (Heyne Verlag, München). Therapeut Biddulph: „Wohin man auch schaut, überall ist der trottelig-liebenswürdige Ehemann zum gängigen Typ geworden.“
Wo sind die Typen, die die Liebste wie einst Clark Gable in „Vom Winde verweht“ die Treppe hochschleifen, wo sind die Matadore, die Frauen mit kühler Ratio, derber Ehrlichkeit, aber auch unwiderstehlichem Charme Respekt abverlangen, statt mit schütteren Streicheleinheiten hasenherzig die Wogen zu glätten? Der Film-Macho Claude-Oliver Rudolph weiß es längst: „Frauen stehen auf böse Typen.“
Gefahndet wird allerdings nicht nach dem brachialen Macho: Der kompromißlose Draufgänger holte laut IFAK auf der Beliebtheitsskala nur den letzten Platz. Die Rückkehr zu ehernen patriarchalen Strukturen ist tabu. Verzweifelt gesucht ist der Held an der Schwelle zum nächsten Jahrtausend – mit dem Mut zum Risiko, dem Willen zur Partnerschaft und – trotzdem – zum eigenen Ego. Welch großer Reiz liegt für die Frauen doch darin, sich von einem Rauhbein um den Finger wickeln zu lassen? Anstatt den Typen auf den Leim zu gehen, die Wehleidigkeit und fahles Befindlichkeitsgenöle für ihren Emotionsquotienten halten. Keine Chance den Warmduschern oder den Typen, die ihre Auserwählte abends permanent mit Hundeaugen oder vom Spülwasser tropfenden Gummihandschuhen in Empfang nehmen. „Nichts ist weniger sexy als ein zaudernder Mann, der Typ, der keinen Drive hat, sich nicht einmischt, keine Meinung hat“, proklamiert das britische Magazin „Tatler“ in seiner Mai-Ausgabe. Damit frau auf den nicht reinfällt, rät die Autorin: „Trauen Sie nie einem Mann, der nicht glücklich gesteht, daß er ein Egoist ist. Egoisten sind Macher: Sie bringen die Dinge in Gang, sie begeben sich in Gefahr.“
Frauen hassen Softies. Ähnliches Entsetzen provoziert jene männliche Spezies, die sich erst auf den zweiten Blick als Schwächling enttarnt: Die falsche Fassade der Männer schürt bei selbstbewußten Frauen die Weißglut. Da ist die 30jährige Managerin, die Geschäfte zwischen Hongkong und Hamburg tätigt und auf weiter internationaler Flur nur männliche Mogelpackungen aufschnürt: „Die Männer verstecken sich hinter Autos, Jobs und Uhren. Sie strotzen vor Imponiergehabe, sind Konferenzlöwen, doch bei mir im Bett geht das Gejammer und Gestreichle los. Ich habe diese Muttersucher so satt.“ Der Psychotherapeut Hans Jellouschek spricht in seinem Buch „Mit dem Beruf verheiratet“ (Kreuz Verlag, Stuttgart) von zwei Variationen eines männlichen Frauenbildes – dem der versorgenden Mutter-Frau und dem der anschmiegsamen Kind-Frau: „Das hängt mit einer nicht geklärten Mutterbeziehung zusammen. Der Mann braucht auf der einen Seite noch die Mutter, die ihn versorgt, auf der anderen sehnt er sich nach dem Mädchen, das ihm helfen soll, sich von der Mutter zu lösen.“ Der Soziologe Matthias Horx zieht das Fazit: „Die Männer verweigern die erwachsenen Rollen. Das große Problem der Frauen von heute ist, daß sie gar keine erwachsenen Männer mehr kriegen, sondern große Spielkameraden.“ Da packt die Frauen nur das kalte Grausen.
Der Göttinger Anthropologe Edgar Dahl kommt in seinem Buch „Die Gene der Liebe“ (Carlsen Verlag, Hamburg) zu dem Schluß, daß Frauen von Natur aus einen Machtvorsprung der Männer schätzten. Er beruft sich auf den Psychologen Glenn E. Weisfeld von der Wayne State University, Detroit, der in einer Untersuchung an 1000 britischen Ehepaaren feststellte, daß die glücklichsten Verbindungen stets die waren, in denen der Mann – ganz leicht – den Ton angab: „Frauen lieben erfolgreiche Männer, Männer, die ihnen etwas überlegen sind, auf die sie stolz sein können.“ Eine Studie des Max-Planck-Instituts für Humanethologie zeigt: Frauen bevorzugen per Evolution dominantere Männer – die in der Lage sind, zu beschützen, die Familie zu ernähren. Daran mag mann heute nicht mehr so recht glauben.
Auf der anderen Seite rätseln viele Frauen schon, ob ihnen vielleicht selbst die Kunst des Weiblichseins im Zuge der Gleichberechtigung durch das Postulat der Androgynie abhanden gekommen ist: „Vielleicht haben wir Frauen verlernt, verführerisch und sinnlich zu sein, so richtige Weibchen“, fragt sich eine 44jährige Unternehmerin. Die streitbare US-Professorin für Psychologie, Camille Paglia, giftet: „Die gesamte feministische Kultur sagt, daß die wichtigste Frau die Frau mit dem Aktenkoffer ist.“ Doch die eisgekühlte Kompakt-Lady taugt einfach nicht zum Objekt männlicher Begierden. „Wenn Frauen beginnen, sich gezielt als unweiblich hinzustellen, allen weiblichen Werten radikal abzuschwören, weil sie es mit den Kerlen aufnehmen wollen, lösen sie Aggressionen aus“, moniert Herriger. „Wir sind archetypisch geprägt. Mann und Frau sind keine identischen Wesen.“
Deutsche Männer – befragt nach ihrem Frauenideal – nennen als Attribute der ultimativen Weiblichkeit immer noch attraktives Aussehen (91 Prozent) und Treue (88 Prozent), laut einer Umfrage der Zeitschrift „Men´s Health“ von 1995. Intelligenz (21 Prozent) und Selbstbewußtsein (26 Prozent) lassen die Männer erstaunlich kalt.
Der notorische Herzensbrecher Heiner Lauterbach verkündete sorglos: „Eine Frau, die weich ist, ist was Schönes. Nur Intelligenz finde ich nicht unbedingt sexy. Eine intelligente Frau ist interessant. Das ist was anderes.“ Der Autor Michael Segell meint: „In den geschlechterverzerrten 90ern erreichen den Mann irritierende Signale: Die aufstrebende Partnerin initiiert eine Konkurrenz, die normalerweise unter Männern ausgetragen wird. So wird sie im primitiven Sinne als männliches Wesen eingestuft.“
Die Rückkehr von Dornröschen. Paarforscher zitieren mittlerweile gern das Märchen von Dornröschen als ideales Mächteverhältnis von Mann und Frau: Da ist der Prinz, der sich weder durch Dornen noch durch enorme Mühen abhalten lassen darf, die Prinzessin im Schloß zu erlösen. Auf der anderen Seite steht Dornröschen, wunderschön und vor allem mächtig, denn ihr gelingt es, ihn zu wochenlanger Qual zu bewegen, seinen Weg zu bestimmen. Biddulph: „Sie sind zwar gleich, aber haben unterschiedliche Arten von Macht.“ Die Werbeagentur BBDO Europe entwarf nach einer Umfrage in 19 Ländern Europas das Bild der „Future Woman“. Die weiß unter anderem „ihre Interessen in einer männerdominierten Welt durchzusetzen, vermeidet es jedoch, übertrieben emanzipatorische Botschaften zu verbreiten oder Männer der Lächerlichkeit preiszugeben“. Jetzt haben die Männer die Chance, den echten Mann in sich zu entdecken. Schon Nietzsche wußte: „Gegen die Männerkrankheit der Selbstverachtung hilft am sichersten, von einem klugen Weibe geliebt zu werden."