Na, dann will ich mal
ehe ich schlafen gehe, noch einmal mein Schatzkästlein öffnen:
Den folgenden Text hatte ich mal in einem Briefwechsel zum Thema Beziehung im allgemeinen und ungleiches Verlangen im Besonderen geschrieben. Nachdem mir ein paar Leute gesagt haben, daß es ein guter Text ist, traue ich mich nun hier, ihn - im wahrsten Sinne des wortes
auszubreiten:
Im Grunde sind die Strukturen und Muster, in denen sich Paar-Beziehungen entwickeln, stets die gleichen. Bei allen, aber auch wirklich allen Beziehungen ist das so, auch bei meiner, obwohl wir nun seit 21 Jahren zusammen leben und schon viel miteinander erreicht haben.
Das klingt auf den ersten Blick ernüchternd, hilft aber dabei, sich klar zu machen, daß die eigenen Beziehungsprobleme absolut normal sind, man es selber also nicht „besonders“ schlecht“ getroffen hat:
In der ersten Phase der Verliebtheit lieben wir genau genommen das Bild, das wir uns vom Partner machen. Dieses Bild hat viel mit uns selbst zu tun, weil es uns in unserer eigenen Identität bestärkt.
Was mit der Zeit daraus entsteht, (darüber hat David Schnarch in seinem Buch „die Psychologie sexueller Leidenschaft“ganz gut geschrieben) nennt man Emotionale Verschmelzung).
Dieses Bild stellt den Partner aber auf Dauer vor unlösbare Aufgaben. denn die Erfüllung dieses Bildes und der damit für uns verbundenen Bestätigung entspricht der Persönlichkeit des Partners höchstens nur zum Teil .
Aufgrund der emotionalen Verschmelzung fangen wir nun an, am Partner, „herumzuzuppeln“, ihn ändern zu wollen und ihn dazu zu bringen, uns die Bestätigung zu geben, nach der wir
so dürsten. Das setzt ihn zusatzlich unter Druck, und selbst wenn er uns sehr liebt, wird er sich diesem Druck entziehen wollen, indem er sich verweigert, ausweicht, Gegenforderungen aufstellt, sich uns entzieht usw..
(Man sollte dabei nicht vergessen, daß dieses Muster zeitgleich ebenso auch umgekehrt
abläuft, nur die Mittel und Ausrucksweise sind entsprechend anders!)
Das Verweigern des Partners erhöht unweigerlich den Druck, die eigene Identität aber doch vom Partner bestätigt zu bekommen.
(Dafür gibt es den Begriff der fremdbestätigten Identität. - eine ziemlich Instabile Sache, weil man nie wirklich Kontrolle über seinen Partner hat, das solltest Du Dir klar machen.) ....
So steigt der Druck im Kessel namens Beziehung an, bis sich letztlcih beide vollig bewegungsunfähig fühlen. Oft kommt es durch das Gefühl von Machtlosigkeit dann zu heftigen Streifereien und Austausch von Gemeinheiten und Verletzungen.
Paradoxerweise ein gutes Zeichen, denn nun merkt man, daß die Bemühungen, den Partner zu ändern wirklich erfolglos bleiben,so daß der eigene Druck nun hoch genug wird, daß man bereit wird, sich statt mit dem Partner sich mit sich selbst auseinander zu setzen.
Wir können nun beginnen, zu erkennen, wie sehr wir versuchen, uns durch die Spiegelungen des Partners Fremdbestätigung zu verschaffen.
Dann beginnen wir zu verstehen, welche Bedürfnisse bei uns dahinter stehen (z. B Bedürfnis nach Bestätigung der eigenen Identität, das Bedürfnis, zu fühlen, daß wir so, wie wir sind, richtig und liebenswert sind, usw.)
Wir beginnen zu erkennen, daß das Bedürfnis nach Identitätsbestätigung letztlich bzw. zu aller erst nur von uns selbst befriedigt werden kann. Wer sich selbst nicht mag und nicht an sich glaubt, wird es auch dem Partner nicht wirklich glauben.
So finden wir nach und nach an zu einer selbstbestätigten Identät, aus der heraus wir unsere Bedürfnisse (Sexualität, Ehe, Kinder kriegen usw.) innerhalb der Beziehung äußern können, ohne dabei den Partner in Erwartungsdruck zu setzen.
Mit der Zeit können wir dann sagen: Ich habe diese und jene Bedürfnisse an Dich. Ich habe ebenso ein Recht auf meine Bedürfnisse, wie Du das Recht hast, frei zu entscheiden, ob Du ihnen entsprechen willst, oder nicht.und ich freue mich, wenn Du Sie erfüllen magst. Tust Du es nicht, ist das zwar schade, aber es stellt mich als Person und in meiner „Liebenswertigkeit“ nicht in Frage. Ich will Dir nahe sein, aber nicht um den Preis mich selbst und meine Bedürfnisse aufzugeben.
Ich hatte über das Dem-anderen-nah-sein-und dennoch-an-sich-selbst-festhalten ja schon mal an anderer Stelle geschrieben.
Dieses Verringern unseres Drucks auf den Partner erhöht paradoxerweise den inneren Druck des Partners, weil wir seinen eingeschliffenen Mustern (Abwehr, Verweigerung, Ausweichen, Gegenangriff, usw.) die Nahrung entziehen. Denn wir sagen klar, was wir wollen, ohne die Erfüllung dessen von ihm einzufordern.
Statt sich mit unseren Anschuldigungen und Forderungen auseinander zu setzen, muß er sich nun zusehens mit sich selber auseinander setzen. Ebenso wie wir es mussten.
So kommt letztlich Bewegung in die Beziehung.
Dadurch daß wir den anderen nicht mehr brauchen, um (Fremd)-Bestätigung zu bekommen, werden wir freier, das zu tun, was wir wirklich wollen. (Und bringen damit den Partner soweit aus der Fassung, daß er eher bereit wird, an SICH zu arbeiten, was letztlich dazu führt, daß auch er sich freier fühlt, das zu tun, was ER will)
Unsere Identität, unsere Intimität sind dann selbstbestätigt.
Und erst auf dieser Basis werden wir dem anderen seine Zuneigung und Liebe glauben - weil wir an uns selbst glauben.
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Soweit erst mal allgemein.
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Bei mir und meiner Liebsten war der Hauptkonfliktpunkt immer das ungleiche Verlangen nach Sex. Sie hat eigentlich sehr gerne (auch experimentierfreudigen
) Sex, hat aber, so kam es mir vor, nie von sich aus die Initiative ergriffen. Das hat auf Dauer den Druck im Beziehungskessel soweit erhöt, daß wir letztes Jahr (also erst nach 20 Jahren Beziehung!!) eine Paartherapie angefangen haben.
Wir haben viel jeder bei sich selbst geschaut, und beide viele Punkte in unseren Biographien gefunden, die erklären helfen, warum wir so reagieren, wie wir es taten - und manchmal noch tun.
Aus meiner Biographie erklärt sich ein großes Bedürfnis nach echter Verbundenheit und Nähe (und daraus resultierender Fremdbestätigung) (meine Eltern waren zwar da, aber aus verschiedenen Gründen irgendwie als liebende Persönlichkeiten nicht fassbar), aus ihrer ein sehr starkes Bedürfnis danach, so sein zu dürfen, wie sie nun mal ist. (Ihre Eltern wollten sie immer und immer anders haben, nie war sie so gut wie sie ist)
Du kannst Dir denken, wie gut und fruchtbar bei uns beiden der Nährboden für eine emotionale Verschmelzung war!
Ich wollte immer wieder Sex, um Verbundenheit und Nähe zu spüren die ich doch nicht genug kriegen konnte, weil sie sich stets gedrängt fühlte, und das Gefühl hatte, ich wollte sie anders haben, als sie nun mal ist.
Dennoch war sie in ihrer Identität gefestigt genug, um nicht alle meine Bedürfnisse einfach zu erfüllen (und sich so selbst aufzugeben) (übrigens genauso sehe ich Deinen Freund im Moment), sondern sie hat im Grunde in dem Moment mehr an sich selbst festgehalten als ich.
Obwohl ich in der scheinbar stärkeren, weil fordernden Position war, war es nun an mir, die ersten Schritte zu tun. Ich habe gelernt zu erkennen, daß hinter meinem stärken Drängen auf Verbundenheit und Nähe der Versuch nach Fremdbestätigung stand.
Ich habe letztlich meiner Liebsten gegenüber zu der Position gefunden:
„Ich will Dir nahe sein, aber dich nicht drängen.
Ja ich will Sex mit Dir haben. Aber ich will keinen Sex, den Du nicht willst, weil mich das Dir nicht näher bringt.
wenn Du Sex willst, wirst Du Dich also bewegen müssen, denn ich werde nicht mehr darum bitten und drängen.“
Das hat ihren inneren Druck dann wiederum erhöht, denn eigentlich mag sie Sex ja ganz gerne.
Trotzdem änderte sich erstmal nicht viel, weil sie nun das Gefühl hatte, ich sei nun in der Erwartungshaltung, daß sie sich ändert, weil ich nun wohl darauf warte, daß sie die Initiative ergreift. (Und sie wollte so sein dürfen, wie sie nun mal ist!)
Neulich habe ich darum zu ihr gesagt:
„Ja sicher warte ich. Ich will gerne Sex mit Dir.
Ich will Dir aber nahe sein ohne Dich zu drängen. Also warte ich, was anderes kann ich gar nicht tun. Wenn Du nicht damit klarkommst, daß ich warte, ohne Dich dabei zu drängen, mußt Du dich eben trennen.“
Erst da hat es bei ihr Klick gemacht. Sie hat plötzlich verstanden, daß ich sie nicht mehr ändern will, sondern, daß sie nun frei entscheiden kann, aus dem heraus, was sie nun einmal ist.
Tja, und da sie im Grunde Sex ganz gerne hat, entscheidet sie sich nun nach und nach immer mehr dafür, auch die Initative zu ergreifen
Bis dahin war es ein ganz schön weiter Weg - wir beide hatten unsere Entwicklungsaufgaben zu erledigen, und das wird auch weitergehen.
Aber alles hat seine Zeit und braucht seine Zeit. Prächtige Bäume wachsen auch nicht in zwei Tagen.
und nun gute N8
lg erwil