Ich wundere mich schon sehr darüber,
daß ungleiches Verlangen in Partnerschaften als so unnormal angesehen wird.
Ich halte ungleiches Verlangen, ob nun sexuelles oder anderes, für ein unausweichliches Element im "System Partnerschaft".
Das muss im Grunde nicht schlimm sein, wenn man einen Umgang damit findet.
Ich erinnere mich, daß ich an anderer Stelle schon mal recht ausführlich zum Thema ungleiches Verlangen geschrieben hatte. Ganz frech, und weil ich es immer noch richtig finde, kopier ich das jetzt hier hin:
Das Dilemma unterschiedlichen Verlangens kenne ich aus der inzwischen 21 Jährigen Beziehung zu meiner Liebsten ziemlich gut. Obwohl sie Sex eigentlich ganz gerne hat, fiel es ihr bis vor etwa einem halben Jahr immer wieder schwer, vom Alltag den Übergang in die erotischen Momente zu schaffen. Dahinter standen ihrerseits Projektionen, in denen ich z.T. Elternfunktion übernehmen sollte, sprich sie so lieben sollte, wie sie ist, notfalls auch ohne Sex. Dies wiederum paßte wunderbar in meine Projektionen, nach denen sie mich (auch durchs Mich-begehren) in meiner Person bestätigen sollte.
Jahre um Jahre haben wir uns an unseren gegenseitigen Projektionen abgearbeitet und uns auch gequält.
Ich hatte mich in Geduld geübt, Verständnis gehabt, wir haben miteinander geredet, dann habe ich sie wieder bedrängt und bebettelt, habe die Option einer Trennung erwogen, sie wieder verworfen, meine Bedürfnisse als egoistisch und unethisch gebrandmarkt, dann wieder erkannt, daß auch das nicht wirklich stimmig ist.
Manchmal war es die Hölle, in diesem Dilemma festzustecken.
Drei, vier Mal hatte ich heimliche Begegnungen mit Prostituierten, um jedesmal zu erkennen, daß es das auch nicht sein kann. (Inzwischen weiß meine Liebste auch davon, irgendwann war es einfach an der Zeit, sich gerade zu machen, und sich ALLES voneinander zu erzählen, einfach damit jeder weiß, was in dem anderen vorgeht, was ihn bewegt hat)
Wir haben, geheiratet, zwei Kinder bekommen, sind nun beide über vierzig, und auch ich habe mich zwischendurch gefragt, soll es so bis an unser Ende weitergehen? Muß ich mich und meine Bedürfnisse zumindest z.T. aufgeben, wenn ich mit der Frau, die ich all die Jahre geliebt habe und immer noch liebe, zusammen bleiben will?
Nur eines war mir irgenwie immer klar. In allerletzter Konsequenz war Trennung einfach keine Option für mich, dazu ist zuviel da, was uns verbindet. Zuviel, wofür ich dankbar bin, zuviel was ich an ihr liebe und schätze. Ja - es gibt auch noch anderes als Sex.
Trotzdem ist sich aufzugeben ebensowenig Option gewesen.
Nun, nach inzwischen über 20 Jahren Arbeit, und manchmal harter Arbeit an unserer Beziehung und jeder an seiner eigenen Persönlichkeitsentwicklung, nach vielen offenen Gesprächen und einer Paartherapie haben wir es inzwischen ganz gut geschafft, einen Großteil der gegenseitigen Projektionen zu überwinden.
Fortzukommen von einer durch den anderen - also fremd- bestätigten Identität und Intimtität hin zu einer selbstbestätigten Intimität/Identität.
Je mehr uns das gelungen ist, umso offener, rückhaltloser und im positiven Sinne sogar schonungsloser können wir nun miteinander reden.
Zunehmend erkennen wir, was wir wirklich wollen und können immer besser dazu stehen, weil wir weniger auf die Bestätigung des anderen angewiesen sind.
Dadurch wird auch unser beider Sexualität zunehmend freier, experimentierfreudiger und unser gegenseitigen Verlangen kommt immer mehr ins Gleichgewicht.
Aus heutiger Sicht kann ich nur sagen: Eine freie ehrliche und aufrichtige Sexualität miteinander zu leben, erfordert viel Reife und entsteht aus einem Prozeß der Persönlichkeitsentwicklung heraus, der einfach viel Zeit braucht.
Wenn man also einen Partner gefunden hat, der einem so wichtig wird. daß man sich insgesamt vorstellen kann, mit ihm /mit ihr alt zu werden, bei dem (eigentlich alles stimmt, dann kann es sich durchaus lohnen, sich trotz der Widerstände gemeinsam auf den Weg zu machen.
(Eigenzitat Ende)
lg erwil