@tommy
Prinzipiell gibt es keine Regel, wie lange die Trauerphase zu dauern hat oder darf
(btw: die nachstehenden Ausführungen sollen lediglich Tendenzen und Strukturen aufzeigen. Es bedeutet weder, dass es generell so laufen muss, noch, dass ich Personen mit anderen Erfahrungen etwas vorwerfen oder absprechen will)
Der Verlassen werden ruft zunächst so etwas wie Schockstarre hervor. Man steht da und weiß eigentlich nicht so genau, was eigentlich los ist. Da der andere einem mit dem Verlassen den Handlungsspielraum genommen hat, ist eine häufige Reaktion, demjenigen erst mal alle Schuld am Dilemma zuzuweisen ("Wir hätten doch drüber reden können. Warum hast Du nicht rechtzeitig insistiert?"). Das ruft einen relativ zügigen Abnabelungsprozess hervor, birgt aber die Gefahr, den eigenen Anteil am Scheitern auszublenden: beste Voraussetzungen um zügig mit einem neuen Partner in das selbe Dramadreieck zu purzeln.
Variante zwei besteht darin, alle Schuld bei sich selbst zu suchen ("Ich war schon immer ein Arsch. Ich hatte Dich nie verdient"). Das kann zu nachhaltigem Hadern mit sich selbst führen und birgt die Gefahr, den ehemaligen Partner zu glorifizieren und/ oder die eigene Beziehungsfähigkeit in Frage zu stellen und sich nicht wieder für eine neue Beziehung zu öffnen.
Nach meinen Beobachtungen (meiner selbst und meines Umfeldes) gibt es zwischen diesen beiden Varianten einen Pingpong-Effekt. Das Verlassen der Schockstarre und der Übergang in die Trauerphase ist bestimmt durch das gedankliche Einnehmen mal der einen, mal der anderen Position. Die aktive Trauerphase ist dann beendet, wenn man für sich selbst eine Erklärung gefunden hat, warum das Ende so sein musste, wie es war, und warum es nicht anders kommen konnte. Oder anders ausgedrückt, man hat die Schuldfrage für sich geklärt und akzeptiert das Ende der Beziehung.
Darauf folgt eine passive Trauerphase. Die ist eigentlich am unangenehmsten: Prinzipiell habe ich mit mir alles geklärt, aber irgendwie bin ich noch nicht offen für was Neues. Häufig zu beobachten auch hier im Forum. Man stellt die eigene Attraktivität in Frage, weil es nicht klappt mit dem Date, nimmt aber die versteckten Widerstände und Blockaden in sich selbst nicht wahr. Diese Phase ist dann beendet, wenn man sich entweder diesen Widerständen und Blockaden bewusst gestellt hat und sie bearbeitet hat. Oder wenn man plötzlich vor jemanden steht, der so unwiderstehlich ist, dass das alles ist weg gespült ist und man sich fragt "wie konnte ich nur so lange ohne..."
So weit, so normal, lieber Tommy. Ich lese aus Deinem Posting allerdings heraus, dass Dich der Status quo annervt. Sonst würdest Du ja nicht jammern, sondern Deiner Ex einen "Liebe meines Lebens"-Altar bauen und unverdrossen die Vergangenheit anbeten.
Dir ist aber schon irgendwie klar, dass Du nicht den Rest Deines Lebens allein verbringen willst. Und darum suchst Du mit dem Verstand nach einer Lösung für "Wie kann ich die Neue lieben, ohne den Altar einreissen zu müssen?"
Und nun kommt die schlechte Nachricht: gar nicht! Solange Du die Vergangenheit/ die Person aus der Vergangenheit glorifizierst, hat niemand eine Chance.
Es ist wie Woody geschrieben hat: es sind immer zwei am Spiel beteiligt. Und keiner ist nur Superstar oder nur Arschloch. Das hat wenig damit zu tun, den anderen abzuqualifizieren. Es hat was mit dem Durchschauen der eigenen Strukturen zu tun. Zum Beispiel zu realisieren: im Konfliktfall habe ich immer dicht gemacht und versucht, das Problem auszusitzen. Oder: im Konfliktfall neige ich dazu, mir Versagen vorzuwerfen und dann am Rad zu drehen, um "es" wieder gut zu machen. Oder: ich hatte immer Angst, sie zu verlieren, deshalb war ich aus den nichtigsten Gründen eifersüchtig, selbst auf ihre Lieblingstante. Das alles hat nichts mit "falsch" oder "richtig" zu tun, es sind konditionierte Muster, die man im Laufe seines Lebens verinnerlicht hat. Diese Muster deckeln gewisse, ich nenne es mal "Urängste".
Lange Rede, kurzer Sinn: stell Dich Deinen eigenen Strukturen. Das ist die Grundvoraussetzung dafür, dass Du die Beziehung irgendwann abschließen kannst. Das Gleichgewicht zwischen liebevoller Erinnerung und Offenheit für Neues kommt dann von ganz alleine.
Liebe Grüße
Sylvie