Leben und Geschichten
Das wird ja noch richtig spannend hier.
@**re: "Ergo ist mein Senf in diesem Falle hier völlig deplaziert", schriebst du. Eben. Suche einfach einen anderen Thread, in dem dein "Senf" platzierter ist. Ich nehme deinen Rat, all das, was mich nicht interessiert, zu überlesen, gerne an, aber weißt du: bevor ich weiss, dass etwas mich nicht interessiert, und ich es deshalb überlesen kann, muss ich es ja zuerst gelesen haben .....
@ paarspass;
"Nach meiner Meinung ist der Film der "O" oder die Regeln einfach eine Entschuldigung oder auch Vorwand seine "O" auch ohne Grund oder einfach nur zur Freude des Herrn, zu schlagen."
Nun: wenn jemand den Film als Entschuldigung nimmt, "auch ohne Grund" seine "O" zu schlagen, dann mag das so sein. Viele Menschen nehmen vieles als "Entschuldigung", irgendeinen Blödsinn oder Unfug zu machen. Das ist nicht mein Problem. Wenn aber dieser Jemand auch noch behaupten wollte, er täte just dieses, weil er den Film
verstanden hätte, dann fühle ich mich doch bemüssigt, Einspruch zu erheben. Nirgendwo im Film wird gezeigt, dass "O" "ohne Grund" geschlagen wird. Jeder Peitschenschlag ist eingebettet in eine Sinnhaftigkeit, die der Film sehr deutlich klar macht.
".... ich sehe darin einfach eine Frau, die mit der Peitsche gefügig gemacht worden ist": Jeder kann einen Film so interpretieren, wie er will. Um die
Tiefe eines Films zu sehen, muss man selbst Tiefe haben. Ist man eher oberflächlich veranlagt, wird man nur die oberflächlichen Aspekte eines Films wahrnehmen. Figuren, die ein Film zeigt, lösen im Betrachter gewisse Resonanzen aus; die Tiefendimension dieser Resonanzen sind Spiegel eigener Erfahrungen, des eigenen Weltbildes.
Ich kenne genügend Paare, die ich so gut zu kennen glaube, dass ich wette, ein Betrachten des "O"-Films würde bei ihnen nur Entsetzen auslösen. Das sagt viel über diese Paare, aber
nichts über die Qualität des Films und des Drehbuchs aus.
Die Dimension zu erfassen, in der die souveräne und selbstbewusste Hingabe der Frau, die "O" genannt wird, geschieht, ist nicht einfach, Sie widerspricht allen gängigen, christlich geprägten, von der Menschenrechtsbewegung forcierten und von der Frauenbewegung auf die Spitze getriebenen Wertvorstellungen. Eure äussert oberflächliche Ansicht der "O", paarspass, kann ich deshalb gut verstehen.
@*********ndme: "Es ist eine sexuelle Fantasie - und wie es mit Fantasien so ist - einen guten Teil kann man davon leben und einen guten Teil kann man nicht leben, weil z.B. soziale Regeln dagegen sprechen." – Ja. Zunächst: Nirgendwo in der Geschichte der "O" wird behauptet, sie wolle Vorbild für das Sexualverhalten von uns allen sein. Ebensowenig wird behauptet, die Geschichte könne
nachlebbar sein. Wer wollte von sich behaupten, er könne Goethes "Faust" nachleben? Absurd.
Gleichwohl schien mir die Geschichte so stimmig, dass ich glaubte, sie
hätte sehr wohl so stattfinden können. Es gab nichts an ihr, was mir unwahrscheinlich schien. Das macht ihre Qualität aus. Das ist auch der Grund, warum wir hier überhaupt darüber diskutieren, ob sie "nachlebbar" sei. Ich sehe im Gegensatz zu dir, youwillfindme, nichts an der Geschichte, was gegen soziale Regeln verstösse. Nirgendwo sehe ich "O" zu Sex in der Öffentlichkeit gezwungen, nirgendwo sehe ich, dass Kinder miteinbezogen werden. Alle Handlungen finden in sehr privatem und kalkuliertem Rahmen statt. Das geht heute auch. Ich bin überzeugt, dass man auch heute "O" leben kann. Vorausgesetzt, die Voraussetzungen stimmen. Und die sind vielfältig.
Etwa Geld: Das scheint keine Rolle zu spielen, René und Sir Stephen haben so viel Geld, dass sie "O"
garantieren können, dass diese nicht nach missglücktem Submissiv-Sein zur HartzIV-Empfängerin wird. Oder Erfolg: Welche Frau, die zur "O" sich wandeln möchte, ist eine halbwegs erfolgreiche selbständige Modefotografin? Oder Werbeagentur-Inhaberin? Oder Firmenbesitzerin? Welche Frau ist so intelligent, sprachgewandt und gebildet wie "O"?
Aber letztlich bleibt die Frage,
warum man denn überhaupt eine Geschichte, einen Film "nachleben" will. Wir sind nicht auf der Erde, um "nachzuleben", sondern um zu leben. Wer wollte "Startrek" nachleben? - Offensichtlich deshalb, weil einige von uns, mich eingeschlossen, tief berührt von dieser Geschichte sind, die ihr Kopfkino anregt, weil es tiefe Sehnsüchte ihres eigenen Seins und ihrer Erotik anspricht. Weil sie eine Dimension von Sein und Sexualität anspricht, die lange in unserer Gesellschaft als "verboten" galt. Die Geschichte der "O" wird so zum Angelpunkt unserer heimlichen Sehnsüchte. Und kein Wunder, dass sie damit stilbildende Kraft ausübt. Auch ich trage den Ring der "O".
Menschliche Verhaltensweisen, menschliche Riten speisen sich immer aus Geschichten – denken wir nur an das Abendmahl der christlichen Kirchen, das einer Geschichte entnommen ist. So regt auch die Geschichte der "O" dazu an, in ihr gezeigte Riten für sich selbst zu übernehmen. Das ist ok.
Völliger Quatsch ist es natürlich, die Frage einer BDSM-Zugehörigkeit daran entscheiden zu wollen, ob man die "O" nun kopiert oder nicht. Eine Sub ist auch keine bessere Sub, weil sie sich "O"-iger verhält als andere Subs. All das hiesse, eine Geschichte zum Massstab unserer Realität zu machen. Und die Doms, die ihre Subs mit Hinweis auf die "O" zu subbigerem Verhalten zwingen wollen, sind meist nur lächerliche Abzugsbilder eines Sir Stephen.
@*******_36: "schreib doch Eure [...] Fragen, dann Antworte ich Euch gerne". Es geht nicht um die Regeln, trotz eures Insistierens. Es geht um die Wahrheit der menschlichen Wollust, es geht um Macht und Hingabe, es geht um Stolz und Souveränität. Es geht um die Entdeckung des eingenen "Ich".
Ja, ich antworte euch gerne, wenn ihr noch Fragen habt.
stephensson
art_of_pain