Das Furchtbare am SM
Ich konnte hier vieles über SM Aufklärende, aber nur weniges zu Waldfees Eingangfrage lesen. Hätte mich auch gewundert, wenn die zahlreichen Menschen, die SM abstossend finden, hier erklären würden, warum sie das tun. Sie hätten anfangen müssen zu denken.
Ich halte ja auch den Atem an, wenn ich in einem Profil unter "was ich nicht mag" lese: "alles, was ins Klo gehört, Sex mit Tieren und Kindern, alles, was die Staatsanwaltschaft beschäftigt, BDSM, ....". Da fühl' ich mich als SMler doch gleich in netter Nachbarschaft zu psychotischen Massenmördern.
Aber im Ernst: woher können solche reflexhaften Zurückweisungen kommen? Ich vermute, dass man da schon ein wenig in der Geschichte unserer christlichen Moral graben muss. Prinzipiell ist es eine Kulturleistung, dass wir Gewalt
tabuisiert haben. Seit der Aufklärung streben wir einem Menschenbild nach, das sein gesellschaftliches Zusammenleben ohne Gewalt regeln kann. Diejenigen, die Gewalt anwenden, sind "primitiv". Sie haben kein Rechtsverständnis. Und nun gibt es Menschen, die Gewalt zur Steigerung sexueller Lust anwenden – empörend. Sie handeln dadurch subversiv, also gesellschaftsfeindlich, indem sie die kulturelle Errungenschaft der Gewalttabuisierung negieren.
Das ist das eine. Das andere ist, dass Sex gesellschaftlich nur in sanktionierten Beziehungen erlaubt ist. Die Form der gesellschaftlich sanktionierten Beziehung ist die Ehe. Seit ca. 200 Jahren wird Ehe und Liebe gleichgestellt (früher war Ehe nicht notwendig mit Liebe verbunden, sondern eher eine Sache der Erbfolgeregelung). Und Liebe ist mindestens seit der Lehre Jesu gegen jegliche Art von Gewalt gerichtet. Durch diesen historisch hergestellten Zusammenhang von Ehe (oder heute: eheähnliche Gemeinschaft), Sex und Liebe hat der Gedanke der Gewalt etwas Archaisches, das mit diesem genannten Zusammenhang überwunden wurde. Früher hatte der verheiratete Mann das
Recht, seine Frau zu bumsen, wann immer ihm es beliebte, d.h. er konnte auch Gewalt gegen sie anwenden. Seit der Forderung, zwei Eheleute müssten sich
lieben, wird Sex als
Vollzug der Liebe gesehen; der Gedanke, dass ein Mann mit Gewalt seine Frau zum Beischlaf zwingt, ist nun obsolet. Die
Verbannung der Gewalt aus der liebesgetränkten sexuellen Vereinigung ist eine mühsam errungene (und mitnichten überall und immer Realität gewordene) ethische Forderung. Vergewaltigung in der Ehe ist erst seit wenigen Jahren ein Straftatbestand.
Und nun kommen wir SMler daher und führen durch die Hintertüre wieder Gewalt in die liebesgeprägte Sexualität ein. Klar, dass sich da die Nackenhaare sträuben. SM wirkt wie ein Rückfall in überwunden geglaubte Zeiten der Barbarei. Und die Sprache tut das Ihrige, diesen Ablehungsreflex zu verstärken: da ist im SM plötzlich von Sklaven und Sklavinnen die Rede ... wo wir doch den Export von Schwarzafrikanern als Sklaven für die Baumwollfelder der Südstaaten der USA für etwas sehr Barbarisches halten.
Deshalb glaube ich, dass viele Menschen von SM total verunsichert sind. Und das mündet in ihren vorurteilsbehafteten Abwehrreflex. Die Verunsicherung vergrössert sich, weil das Thema Gewalt eben
nicht durchgearbeitet ist, sondern latent in uns schlummert. Es ist gerade mal zugedeckelt und bricht täglich doch wieder hervor.
Gewalt – Süd-Libanon! –ist eine sehr ernste und schlimme Sache. Und da kommen wir SMler daher und
spielen auch noch mit dieser! Mit etwas zu spielen heisst für die über SM Unaufgeklärten: Wir machen uns über den Ernst der Gewaltproblematik lustig und ergötzen uns auch noch an Gewalt, weil wir sie für unsere sexuellen Lüste einsetzen. Das ist natürlich nicht tolerierbar.
Aber der Abwehrreflex kann sicher auch sehr persönliche, in der Biografie verankerte Gründe haben: wenn ein Mensch als Kind hilflos zusehen musste, wie der besoffene Vater die Mutter schlug, wird dieser Mensch kaum Verständnis haben, dass Schlagen nun plötzlich als Lustmachender Faktor im Sex eingesetzt wird. Vater hatte Mutter ja gerade deshalb geschlagen, weil sie nicht mit ihm bumsen wollte.
Das Furchtbare am SM ist das Furchterregende. Furcht erregt SM, weil er mit den kulturell mühsam errungenen Tabus der Gewaltfreiheit bricht. Das Brechen von Tabus ist immer ein subversives Tun, d.h. es kratzt an den Grundfesten der Gesellschaft. Damit wird SM das Bedrohliche. Und die unaufgeklärte Mehrheit wehrt sich gegen diese Bedrohung durch unfundierte Abwehrreflexe. SM und alles, was ins Klo gehört. Zu entsorgen durch die Betätigung der Klospülung.
Ich fürchte also, dass wir SMler noch einen steinigen Aufklärungsweg vor uns haben, bis unsere Art, Lust zu leben, als eine Variante von vielen von der Mehrheit der Menschen unserer Gesellschaft akzeptiert wird.
stephensson
art_of_pain