An W.: Kein Platz für Trauer!
Mittlerweile bist du seit 5 Jahren tot. Bezeichnend,dass ich mir nicht mal das genaue Todesdatum von
dir merken kann. Irgendwann Anfang August 2001
muss es wohl gewesen sein, als K. mich in Hessen
anrief, um mir die Nachricht zu übermitteln.
Keine Spur von Trauer.
So unterbrach ich meinen Kuraufenthalt, fuhr Freitag
nach Hause, da am Samstag die Beerdigung war.
Es war die emotionsloseste Bestattung, die ich je erlebte.
So passte es auch wunderbar ins Bild, dass der Priester,
vor deinem Grab stehend, erstmal die Todesanzeige der
Tageszeitung hervorkramen musste, um zu lesen, wen
er da überhaupt unter die Erde bringt.
Keine Spur von Trauer.
Auch wenn ich bis Dienstag hätte bleiben können, so bin ich
doch am selben Tag wieder zu meinem Kurort gefahren, da
ich deine Frau in guter Gesellschaft wusste.
Heute geht es ihr soooo gut wie noch nie. Genauer betrachtet
ging es ihr bis einschließlich vorgestern so gut wie ewig nicht.
In der Wohnung über ihr gab es einen RIESENSTREIT. Die Türen
wurden zugeknallt, er tobte wild herum, schrie sie fürchterlich an,
Türen wurden beinahe eingetreten usw.....
Na das volle Programm halt!!!
Und deine Frau, was meine Mutter ist, lag zitternd und schwitzend
in ihrem Bett, da durch obiges Szenario alte Erinnerungen wieder in
ihr aufgewärmt wurden, die sie doch meinte gut bewältigt zu haben.
Vor einiger Zeit hatte sie beschlossen, dass mein Bruder Dieter von
seinem Friedhof, der quasi wegen Überfüllung keine Neuafnahmen
mehr durchführen konnte, zu dir ins Grab "umzieht". Herrschte bis
zu dem Umzugstag noch reger Besucherandrang vor der Ruhestätte
von Dieter, so besuchen ihn heute kaum mehr welche. Und ich muss
hier gestehen, dass ich auch zu dieser Gruppe gehöre. Es ist nicht
mehr der schöne Ort, an dem er vorher war. Er ist zu seinem Vater
gezogen, der doch ein Musterbeispiel für Verantwortungslosigkeit,
für Egoismus, Ignoranz, Tyrannei, Cholerik, Sturheit, grundlosester
Eifersucht war, um hier nur einige deiner negativen Eigenschaften
zu nennen.
Über Tote spricht man nicht schlecht? Naja, man sollte vielleicht nicht
schlechter über jemanden reden als er war. Und daran halte ich mich!
Verzeihen? Es gibt, und das gilt nicht nur für mich, Dinge die sind
schlicht unverzeihlich. Du hast deine Frau auch nach deinem ersten
Schlaganfall, als du dich nicht mehr artikulieren konntest und im
Rollstuhl saßt, noch tyrannisiert. Die Frau, die auch deinen Sohn
30 Jahre lang gepflegt hat, die nach deinem Schlaganfall sich noch
immer für dich entschieden hat, die dich über 7 Jahre hinweg pflegte,
um dir einen Heimaufenthalt zu ersparen!
Nein! Keine Spur von Trauer! Als ich vorhin mit Mutter telefonierte
und sie mir die Story der Nachbarn und ihre damit verbundenen
Gefühle schilderte, kam in mir die Wut hoch!
Nein! Ich ehre nicht Vater und Mutter!
Dad! Bei soviel Wut ist in mir (noch?) kein Platz für Trauer!
T.