Nurse Clara ausprobieren?
Kunst am Körper
Die Performance-Künstlerin Nilli Blumberg
Nurse Clara, alias Nilli Blumberg, betreibt in Berlin einen Back-Scratching-Shop: Sie kratzt ihren Kunden den Rücken. Das aber ist nach Auffassung der Performance-Künstlerin keine banal Dienstleistung oder ein Partygag, sondern hinter dem simplen Rückenkratzen verbirgt sich für die gebürtige Israelin eine ganz eigene Auffassung von Kunst.
Die Kastanienallee im Berliner Szeneviertel Prenzlauer Berg: Punker schnorren vor Sushiläden, während modebewusste Jungeltern den Nachwuchs ausführen. Doch selbst hier lassen sich die Passanten noch verwirren: denn im Schaufenster eines Ladens sitzt eine Krankenschwester in Uniform und wartet auf Kundschaft. Amsterdamer Verhältnisse mitten in Berlin?
Mitnichten, denn Nurse Clara alias Nilli Blumberg geht es keineswegs um sexuelle Dienste. Nein, ihr geht es schlicht darum, Rücken zu kratzen. Willkommen im "Back-scratching-shop", dem Laden für die bisher unerreichten Körperregionen.
Runde Rücken, krumme Rücken, gerade Rücken, Nurse Clara kennt sie alle, und betont doch, dass jeder Rücken unterschiedlich sei. Wichtig ist auch die immer gleiche Prozedur:
"Jeder Kunde muss einfach vorher bestätigen, dass er gekratzt werden will. Denn man sollte nur dann kommen, wenn man bereit dazu ist, wenn man vollständig empfänglich für das Kratzen ist, also man darf sich nicht dazu gezwungen fühlen, oder schauspielern. Man muss es einfach wirklich innerlich wollen."
Einfach hinsetzen und dann geht es los: Nurse Clara kratzt mit ihren spitzen Fingernägeln über den Rücken der Kunden. Nicht zärtlich, aber auch nicht grob - eher wie eine professionelle Dienstleistung, bei der eine gewisse Distanz immer gewahrt bleibt: Schließlich behalten die Besucher ihre T-Shirts an und zahlen erst am Ende genau so viel wie sie für angemessen halten
Ironie und Ernst liegen bei Nurse Clara, der Figur, in die sich Nilli Blumberg für ihre Performance verwandelt, eng beieinander. Ironie, weil Nurse Clara mit dem Klischee der Porno-Krankenschwester spielt. Und Ernst, weil sie dieses Stereotyp in etwas anderes verwandelt: Ihre Uniform ist altmodisch, hochaufgeschlossen und erinnert wegen der grünen Farbe eher an Intensivstation als an Prostitution. Die gescheitelten schwarzen Haare und die dunklen Augen hinter der großen Brille vermitteln Seriosität und Selbstbewusstsein.
"Wenn man über diese Frau nachdenkt, die im Schaufenster mit den blinkenden Lichtern sitzt, dann denkt man unmittelbar an Prostituierte. Und dann wenn man hier ist, ist es etwas komplett anderes. Hier erfährt man etwas was vollkommen heilig ist. Das ist einfach der pure Gegensatz. Zwischen dem Heiligen und dem Schmutzigen."
Die Idee, hinter dem was zunächst so skurril wirkt, ist denkbar einfach: Berührung tut gut. Für Nilli Blumberg hat das aber auch eine gesamtgesellschaftliche Bedeutung: Denn häufig verschreiben Ärzte lieber Antidepressiva, als sich wirklich um die Einsamkeit der Menschen zu kümmern.
"Dieses Eine-menschliche-Berührung-haben-wollen, dass ist etwas sehr unschuldiges. Aber leider haben wir im Alltag nicht so viele Möglichkeiten, diesen Körperkontakt zu bekommen, besonders nicht in großen Städten, aber auch in der gesamten westlichen Welt. Wir sind sehr isoliert, selbst unter Freunden sagt man nicht einfach: Hey kannst Du mir mal den Rücken kratzen?"
Rückenkratzen für eine bessere Welt? Das auch, aber nicht nur, denn für Nilli Blumberg ist der ironisch inszenierte Dienst am Nächsten vor allem ein Kunstprojekt. Denn Kunst sollte wieder mehr gefühlt und nicht nur verstanden werden.
"Es steckt keine bestimmte Absicht dahinter, es geht vor allem darum Leute zu inspirieren. Ich mein, die Leute kommen zu mir und fragen mich: 'Ist das Kunst? Warum ist das Kunst?' Und das ist eine wichtige Sache, diese ganze Diskussion über Kunst voranzubringen, denn ich glaube, dass bedauerlicherweise viel von der Kunst, die in der Welt gemacht wird, sehr elitär ist. Ich weiß auch nicht, wer solche Kunst verstehen kann. Aber wenn man sie nur vom Intellekt her versteht, für mich ist das nicht genug!"
Nilli Blumberg kommt aus Israel, dort hat sie eine Ausbildung in practical metaphyscics gemacht. Was sich direkt ins Deutsche übersetzt nach "praktischer Metaphysik" anhört, beschreibt Blumberg als eine solide Heilpraktiker-Ausbildung. Einen Beruf, den die 33-jährige nicht mehr direkt ausübt, aber der ihre Projekte immer wieder beeinflusst. Nilli Blumberg hatte schon viele Jobs: Sie war Fotografin, Versicherungsdetektivin und Babysitterin. Als Blumberg in den 90ern nach Europa kam, sang sie Jazzsongs auf der Straße. Heute lebt sie eher von ihren Projekten und vertreibt Fotokalender mit Nurse Clara im Internet. Obwohl es nicht immer einfach ist, geht es ihr vor allem um die innere Einstellung, denn so kann auch jobben ein Teil des Gesamtkunstwerks Nilli Blumberg sein.
"Man kann Doktor sein oder auch Politiker. Man kann alles mögliche machen, aber das Wichtigste ist, dass man nicht in einer einzigen Sache stecken bleibt, dass heißt, dass man sich bewegt und das tut, was gerade das Neue für die eigene Entwicklung ist. Ich hab mal auf Babies aufgepasst - ich war wirklich sehr glücklich dabei. Aber als ich nichts mehr davon lernen konnte, ließ ich es sein. Wenn man nur noch dabei bleibt, weil man bezahlt wird, dann passiert es sehr schnell, dass man sich dabei fühlt als sei man tot."
Diesen Oktober sitzt Nilli Blumberg noch in der Kastanienallee, im Dezember wird sie dann wieder als Nurse Clara durch die Cafés und Clubs in Berlin ziehen. Eigentlich aber lebt Nili Blumberg in Schweden, wo sie mit dem Projekt "Luftanza" von sich Reden macht. Luftanza ist der Name eines tanzenden Schafes, in das sich Nilli Blumberg verwandelt: Von hinten sieht sie aus wie eine normale Passantin mit Handtasche, rotem Mantel und Hut - aber von vorn ist es doch Nilli Blumberg im Ganzkörper-Frottee-Schaffell. Die Idee hatte Blumberg ganz zufällig und noch heute erzählt sie mit leuchtenden Augen von dieser spontanen Inspiration:
"Ich lebte zu der Zeit in London. Es war November und es war wirklich kalt. Und die einzige Arbeit, die ich finden konnte, war Flyer zu verteilen. Und dann war es nur ein einziger Moment - genauso wie in Filmen, wenn plötzlich die Welt still steht und überall leuchten Blitze auf - es war genau so! Die Idee mit dem tanzenden Schaf war da und ich begriff, dass ich auf der Straße nicht nur singen kann, sondern dass ich alles auf der Straße machen kann und dass die Straße immer für mich da ist."
von Daniel Stender Quelle Deutschland Radio Kultur vom 16.10.2006