@jonnyandjune
weil ihr doch scheinbar eisenbahnfans seid mit diesem lokomotivposter im hintergrund und bahnfahren das grauen schlechthin ist, kommt hier mein erlebnisbericht. so und nicht anders trug es sich zu, ich schwör alder.
stand doch also neulich das argusauge des gesetzes am straßenrand und nörgelte kleinlich an meiner wahl der geschwindigkeit herum.
da es auch fahrbare argusaugen gibt, die das gleiche ein halbes jahr zuvorgetan hatten und ich mich bei der wahl meiner anwältin ziemlich vertan hatte, war es der judikative ein großes vergnügen, mir 2x 4 wochen fahrverbot aufzubrummen, nicht ohne noch ein kleines salär für die staatskasse einzutreiben.
irgendwann werde ich beweisen können, dass die mit der mafia der öffentlichen verkehrsmittelträger unter einer decke stecken.
da ich in dieser zeit viel unterwegs war, ryanair sogar schon auf bundesstraßen, nicht aber an meiner landet, musste ich notwendigerweise auf mehdorns gurkentruppe umsatteln.
die bahn kommt.
sicher in einer schicken werbeagentur ausgedacht, von leuten, die ansonsten nur first class fliegen, hat dieser spruch doch etwas wahres.
bei der bahn liegt alles in der zukunft. die bahn „wird kommen“.
es fing schon damit an, dass ich mich an diesem fahrkarten automat redlich abmühte, fahrziel, reiseroute, reservierungswunsch und alle möglichen alternativen einzugeben.
nach 10! minuten waren mein blecherner freund und ich einig, und es ging ans bezahlen.
ich weiß nicht, wie oft ich alle möglichen ec- und kreditkarten reingeschoben habe. jedes mal mit dem ergebniss, dass er plötzlich keinen bock mehr hatte und nach einiger zeit den „vorgang“ gänzlich abbrach.
20 minuten waren dahin und ich hatte keine fahrkarte, vor allem aber auch keine zeit mehr.
mit fliegenden taschen bin ich also zum zug gehetzt, habe die fällige nachlösegebühr entrichtet und mich in den völlig überfüllten vorortzug gedrängelt.
alles, was ich noch wusste, war, dass ich noch 3 mal umzusteigen hatte, allein deshalb kam schon vorfreude auf.
die erste station war leipzig. der hauptbahnhof, früher ein stolzes bauwerk, auf dem noch richtig leben war, so mit undichten dächern und dampfenden lokomotiven, der größte seiner art, ist heute zwar hübsch renoviert, aber ansonsten nur ein riesiges einkaufszentrum mit gleisanschluss. man glaubt es kaum, aber zu ddr- zeiten fuhren dort fast doppelt so viele züge wie heute.
gottlob war wenigstens einer der 50 fahrkartenschalter besetzt und es geht doch nichts über einen richtigen menschen auf der anderen seite der macht.
auf dem bahnsteig habe ich mich dann gefragt, was wohl noch schlimmer als bahnfahren sein muss, angesichts der massen, die da der kommenden dinge harrten.
alles abgehärtete leute, die die plastikstimme aus dem lautsprecher, uns über die ca. 14-tägige verspätung informierend, gleimütig zur kenntnis nahmen.
na ja, irgendwann kam er dann doch, dieser schmucke flitzer, der auf den schönen namen „clara schumann“ hörte.
die keilerei um den sitzplatz hatte ich schnell hinter mich gebracht und dann sitzt man ja eigentlich recht ordentlich in den dingern, wenn da nicht die mitmenschen wären.
die grundlegenden handlungen sind ja wohl: rein, setzten, wieder aufstehen, laptop auspacken, aufklappen, online gehen, telefonisch standortmeldung durchgeben, wichtig sein.
zwischen leipzig und ich weiß nicht wo, werden aktienkurse abgefragt und damit gehandelt, komplette telefonkonferenzen durchgeführt und, wegen der obligatorischen verspätung, am laufenden band termine abgesagt. kann ja jeder machen, aber weshalb so laut?
sie lassen ihre umwelt wissen, wer sie sind und wie unersetzlich sie sind.
bei manchen wusste ich am ende der fahrt über so ziemlich alles bescheid und hätte fortan in ihre lebensrolle schlüpfen können.
warum können die nicht einfach dasitzen, die beine baumeln lassen und die vorbeifahrende landschaft genießen, immerhin ist das ja schon mal was, wenn der zug überhaupt fährt.
und dann diese verächtlichkeit: die sind natürlich alle voll digitalisiert. ich hingegen habe dann verstohlen meinen walkman herausgeholt, ihr wisst schon, diese 50 kilo- dinger,mit dem know how der achziger, die noch mit dampf betrieben werden.
allein das verräterische geräusch, wenn man die kasette wendet, ließ dutzende mitleidige blicke auf mir ruhen.
ach ja, und es gibt sie noch: die karaokeheinis. sitzen feist unter der örtlichen beschallung und singen, abkekoppelt vom übrigen geschehen, laut und falsch mit. unglaublich. ich habe jedes mal die versteckte kamera gesucht.
nun ja, ich hatte mich im lauf der zeit an einiges gewöhnt. an ältere frauen, die sich um einen sitzplatz raufen(die grauen panther/kommando „trude unruh“ lassen grüssen), an kaffepreise, bei denen man das gefühl hat, die plantage gleich mit gekauft zu haben, an waldorfkinder, die den mittelgang zur sprintstrecke ummodifizierten; sich furchtbar die birne eingerannt haben, und dann den ganzen wagen zusammenschrien, alles unter der wohlwollenden duldung der jeweiligen waldorfmutti.
an eingeseifte hände, die nur nicht mehr vom wasser abgespült werden konnten, weil keins da war. an hessische mundartschaffner, die mit sicherheit auf die bühne gehört hätten:
„ei gude mosche, jez halle mer ma all de bahnkad hoch, damit isch se ach se’e ka. ja des da af demm foddo das sin doch awer net sie, oder awer sie vor zwazisch jarre“. Und das laut und unüberhörbar.
und dennoch habe ich meinen lappen mit einem freudenzeremoniell wieder in empfang genommen und sitze dann doch lieber im autostau, höre meine musik, singe laut und falsch mit, rufe ständig zwecks standortdurchgaben an und gehe aber ansonsten niemandem meiner zeitgenossen mit meiner anwesenheit auf den sack.
die bahn kommt.
einen orgasmus hatten die werbefuzzis dabei jedenfalls nicht im kopf.