• Donnerstag, 03. Februar 2011, 22.00 - 22.30 Uhr .
* WiederholungsterminMontag, 07. Februar 2011, 11.30 - 12.00 Uhr (Wdh.) (WDR Fernsehen)
Welche Hürden müssen Frauen überwinden, um guten Sex zu haben?
Renate Bauer ist Sexualtherapeutin.
Renate Bauer: „Also, erst mal möchte ich sagen, dass es weniger Hürden gibt, als noch vor 30 oder 40 Jahren. Ich denke, dass sich die Gesellschaft weiter entwickelt hat: Stichwort Frauenbewegung und auch die sexuelle Revolution. Heute ist viel Freizügigkeit da. Man sieht Sexualität überall: im Fernsehen, Literatur und Zeitschriften und ich glaube ein Punkt, der beim Individuum zur Hürde werden kann, weil das alles kann ja ganz schön Druck machen und die Frau ist gefordert aus all dem herauszufinden, was will sie selbst? Das ist so, dass in diesen Prozess auch die Kirche mit einfließt, wenn ich das so sagen darf, als Ober oder Überbegriff. Die Moral, die in dem Elternhaus vorgelebt wurde, wo die Kirche sicherlich auch Einfluss nimmt, die Frage, ob eine Frau groß geworden ist mit der Frage: Darf ich Lust haben, ist das Okay? Oder groß geworden ist, mit der Vorstellung, nein! Das ist nicht okay, das ist schmutzig, nuttig. Wenn so etwas in einer Frau lebt, dann wird sie es schwer haben, zur eigenen Lust zu finden, den Körper als Bühne zu entdecken, auf dem sie Lust haben kann. Letztendlich sind es auch Sachen, ob die Frau den eigenen Körper akzeptiert, ob sie ihn annimmt, ob sie zu ihrem Körper steht, ob sie während der sexuellen Annäherung mit dem Partner an die Bauchfalte denkt oder die Oberschenkel, oder ob sie bei sich sein kann und darauf achtet, welche Berührung für sie angenehm sein kann, welche nicht.“
Welche Probleme haben Frauen mit der eigenen Lust?
Renate. Bauer: „Unterschiedliche, vielfache Probleme. Es ist immer individuell, wenn eine Frau Probleme mit eigenen Lust hat. Aber sie ist nicht allein, weil es vielen Frauen so geht. Auch wenn die Frau denkt, ich bin alleine damit und nicht normal. Was hinderlich sein kann, sind die verinnerlichten Hürden über die wir gerade gesprochen haben. Es kann ein ungutes Gefühl sein zum eigenen Körper. Es kann die Beziehungsdynamik sein, wo sie Angst hat, sich dem Mann – wenn es eine heterosexuelle Beziehung ist- zu öffnen, wo sie denkt: Was denkt der von mir? Findet er mich nuttig? Aus meiner Sicht greift da immer noch die Aufteilung Heilige und Hure – immer noch. Auch wenn wir alle freier geworden sind, merke ich oft, dass das noch in der Tiefe der Frauen wirkt und wenn sie den Mut hätten, herauszufinden, was ihr Körper braucht, dann ist da noch die Angst davor, abgelehnt zu werden. Nun gibt es bei der Sexualität auch den Mythos, dass das viel mit Kontrollverlust zu tun hat. Wenn sie in die Presse gucken, der weibliche Orgasmus, wir sehen Frauen, die sich in Laken rekeln. Oder in der Literatur, wie da der Orgasmus beschrieben wird. Da baut sich eine enorme Erwartung auf, wie ein Orgasmus auszusehen hat und es baut sich die Angst auf, dass ein Orgasmus bedeutet, die Frau verlöre die Kontrolle. Das vermitteln auch Worte wie Hingabe. Das macht vielen Frauen Angst.“
Wie äußert sich das in Partnerschaften?
Renate Bauer: „Wenn das so ist, dass die Partnerschaft eine eigene Kultur hat und man eine Art und Weise hat, miteinander umzugehen und das Thema Sexualität auch bespricht, dann kann das Paar einen Weg finden. Oft ist es aber so, dass das Thema auch in der Partnerschaft tabuisiert ist, dass es sprachlos ist, weil die Frau nicht weiß, wie sie darüber sprechen soll. Dann kann es sein, dass die Frau, die Probleme damit hat, anfängt die Sexualität zu vermeiden. Dass sie Angst hat, wenn der Partner nach Hause kommt und sie auf ne gewisse Art anschaut. Sie denkt: Oha, jetzt könnte es sein, dass er mehr will. Dann beginnt sie aus Angst diese Situation zu verändern, wieder neutraler zu machen. Aus dem Raum rauszugehen und Sexualität zu vermeiden und das kann zu einem Leidensdruck führen. Es gibt also Paare, die sehr unglücklich darüber sind, weil sie sich kaum noch körperlich berühren können, weil da ursprünglich diese Angst war. Die sich dann verselbstständigt hat und ein großer Vermeidungsradius aufgebaut ist. Das sind dann die Frauen, die eine Sexualberatung aufsuchen oder eine Sexualtherapie machen.“
Haben Frauen Schwierigkeiten über Sex zu reden?
Renate Bauer: „Aus meiner Sicht kann ich das bejahen. Natürlich kann ich nicht sagen, dass jede Frau Schwierigkeiten hat, über Sexualität zu reden, gerade wenn man einen Blick in die Zeitschriften wirft: Da sieht man überall Frauen, die über Sex sprechen können. Aber individuell denke ich, dass es viele Frauen gibt, die nicht offen über Sexualität reden können. Es ist immer noch Schuld und Scham besetzt, sich in den tiefsten Wünschen zu offenbaren: Die Angst wie reagiert mein Gegenüber? Akzeptiert er mich, oder werde ich abgelehnt- die Angst ist riesengroß. Die Hürde ist dann oft in den Frauen selbst, weil sie Scham haben, sich mit dem eigenen Körper zu beschäftigen, um herauszufinden, was sie oder der Körper eigentlich will, was Spaß macht und was nicht Spaß macht und das dann in der Partnerschaft zu offenbaren, ist ein großes Problem, viele Frauen haben ja auch mit der Sexualität in ihrer eigenen Biografie negative Erfahrungen gemacht. Es gibt das Thema der sexuellen Übergriffe. Nicht alle Frauen, die das erlebt haben, haben Probleme, aber viele. Dann gibt es noch andere Erfahrungen, verletzende, beschämende in der Geschichte einer Frau, die dazu führen, dass sie Angst hat, sich ihrer Lust zu nähern und sich dann auch noch dem Partner zu offenbaren.“
Wie sollten Frauen beginnen, sich mit ihrem Körper zu beschäftigen?
Renate Bauer: „Es gibt ja jetzt ganz viele Läden: in Hamburg – ich komme ursprünglich daher- die Große Freiheit, in Köln gibt es auch einen Sextoy Laden – aber ich denke, die Frau, die in so einen Laden geht, dass die sich schon einen Raum an Freiheit erobert hat. Zu mir kommen Frauen, wo es ein Ziel ist, zu erreichen solche Sextoys anzugucken. Bei vielen ist es so, dass es erst mal damit beginnt, den Druck herauszunehmen. Den Druck, Sex machen zu müssen, funktionieren zu müssen und erst mal bei sich anzukommen. Eine ruhige Beschäftigung mit dem eigenen Körper. Dann kann Sexualtherapie einiges an Hilfestellungen anbieten, die die Klientinnen, zuhause alleine machen und in der Therapiesitzung besprechen. Ziel ist es, dass die Frau sich mit dem eigenen Körper beschäftigt, um zu ihm zu stehen, ihn lieb zu haben, auch wenn er nicht perfekte Modellmaße hat. Und herauszufinden, was Spaß macht, was angenehm ist, was erregend ist und dabei auch lernt Stopp! zu sagen, wenn irgendetwas nicht gefällt. Das geht auch in der Partnerschaft, dass sie angehalten ist, mehr auf sich zu achten, nicht so viele Dinge zu machen, um den anderen zu befriedigen und Erwartungen zu erfüllen, sondern bei sich zu bleiben und dann auch den Mut zu haben und das Risiko einzugehen und Stopp! zu sagen.“
Ist es denn so, dass Frauen eher die Erwartungen des Partners erfüllen wollen oder denken diese erfüllen zu müssen?
Renate Bauer: „Ich kann schon sagen, dass die Frauen, die ich kenne, Patientinnen, Klientinnen, dass das schon der Fall ist. Nicht nur im Bereich der Sexualität, da ist es am „Haut nahesten“, sondern auch in anderen Bereichen der Beziehung darauf gepolt sind, sich selber zurückzunehmen und die Erwartungen des anderen zu erfüllen. Wobei oft nicht über die Erwartungen gesprochen wird. Es kann also sein, dass eine Frau- das ist ein altes Beispiel- 30 Jahre lang beim Frühstück immer die obere Hälfte des Brötchens nimmt, obwohl sie lieber die untere hätte, weil sei denkt, sie erfüllt damit die Erwartungen des Ehemannes. Und erst nach 30 Jahren in einem offenen Gespräch kommt raus, dass es genau umgekehrt ist. Dass der Partner immer die untere Hälfte nimmt, weil er die Erwartungen seiner Frau erfüllen wollte.“
Was sollte man machen, um nicht in die Sexfalle zu tappen?
Renate Bauer: „Da sollte man den Mut haben, von dem symbiotischen Gedanken abzurücken, mehr bei sich zu bleiben, Sexualität hat auch mit gesundem Egoismus zu tun.. Letztendlich, ist die Frau aufgerufen beim Sex auf ihren eigenen Körper zu achten und Wünsche zu äußern und nur das zu machen, was sie machen möchte. Dafür ist es wichtig, dass sie ihren Körper kennenlernen und sich mit dem beschäftigen. Die eigene Erregung kennenlernt, auch ihren Orgasmus, vielleicht in Eigenregie. Dass sie den Mut haben, mehr bei sich zu sein und Stopp zu sagen, wenn irgendetwas nicht gefällt. Dass die Frau lernt, so eine gesunde Sexualität zu leben, in der sie Bedürfnisse äußert und Grenzen setzt und nicht für den anderen funktioniert.“