Spielfeld
Ich will mal eine Katze aus dem Sack lassen - das Thema "Waldesruh" interessiert mich vor allem deshalb, weil es eine schöne Verwirklichung jener Prinzipien des Spiels darstellt, die der holländische Kulturwissenschaftler Johan Huizinga in seinem "homo ludens - Über den Ursprung der Kultur im Spiel" herauspräpariert hat. Hierrüber zur referieren wäre wohl etwas unpassend - wenn es interessiert, kann mal bei wiki nachschlagen.
Was ich hier unterstreichen möchte: ein Ort wie dieser ist kein Hotel im üblichen Sinne des Wortes - es ist ein Spielfeld. Das Spielfeld - Huizinga folgend - grenzt einen bestimmten Teil des Raumes ab vom Rest der Welt vom "Ernst des Lebens". Die Grenze des Spielfeldes ist sakrosankt - nur Spieler dürfen das Spielfeld betreten, und häufig ist auch den Spieler verwehrt, das Spielfeld während des Spieles zu verlassen (was im "Waldesruh" wohl nicht der Fall sein dürfte). Innerhalb dieses Spielfeldes gelten exakt definierte Regeln. Das kann ein ungeheuer komplexes Regelwerk sein - aber auch ein sehr einfaches. Wesentlich ist, daß sich diese Regeln sehr deutlich von dem ansonsten, da draussen, im "Ernst des Lebens" geltenden Regeln abheben. Das Spiel ist eben anders als der Ernst - es hat seine eigenen Regeln, ist eine eigene Welt für sich. Daß man einen Ball nicht mit der Hand berühren dürfe, ist eine Regel, die im Alltag ebenso absurd ist wie diejenige, zum Abendessen unbedingt "erotische Abendbekleidung" zu tragen - was im "Waldesruh" ausdrücklich erwünscht wird und trotz formaler Unverbindlichkeit doch in der Sache als eine verbindliche Regel anzusehen sein wird.
Gewiss - ein erotisches Wochenende kann man auch anderweitig verbringen. Es gibt jede Menge charmanter Hotels - auch große Häuser können insofern ebenso ihren Reiz haben, und mein persönliches Faible gilt eigentlich den etwas alternativen Schuppen wie etwa den "Sarotti-Höfen" am Mehringdamm in Berlin, wo man ein Flair aus Multikulti, Kiez, Postmoderne und schwul-lesbischer Lebenskultur atmet und um die Ecke zehntausend verschiedener schnuckeliger Kneipen, Cafés und Restaurants aus allen Kulturen der Welt vorfindet.
Aber das ist etwas anders - man bleibt doch im Rahmen des Alltäglichen und Normalen; man grenzt sich nicht ab, bis man die Zimmertür hinter sich schließt. Diese Abgrenzung indessen findet im "Waldesruh" wohl spätestens an der Rezeption statt: man betritt das Spielfeld - und ist von nun ab: Spieler unter Spielern. Der Ernst des Lebens bleibt auf dem Parkplatz zurück. Die Stimmungslage, in der ein Paar den Eingang zu einem solchen Ort durchschreitet, dürfte keine andere sein als die einer Mannschaft, die "aufm Betze" oder "auf Schalke" einläuft. Man spielt fortan ein erotisches Schau-Spiel - Paare unter sich, Paare untereinander. Insofern unterscheidet sich diese location nicht von Clubs oder Kinos - wenngleich dort die Regeln wiederum sehr anders aussehen. Das ist eben ein anders Spiel - beim Tennis darf man ja auch den Ball mit den Händen anfassen, aber eben nicht mit dem Fuß wegkicken.
Die "Mittelalter-Suite", das "candlelight-diner" mit "Herzfondue", der "Gold-Sekt" - das alles sind keine mehr oder weniger originellen Elemente eines "Ambientes" - es sind Elemente eben dieses Spiels, Teile des Spielfeldes, die zum Spielen benutzt werden wollen. Nur als Spielzeuge haben sie einen Sinn. Vom "Ernst des Lebens" her betrachtet ist ein an Ketten aufgehängtes Bett eine Unmöglichkeit zum erholsamen Schlafen, ein Fett-Fondue eine kulinarische wie ernährungsphysiologische Katastrophe auf dem Niveau von Currywurst mit Pommes rot-weiss und Sekt mit Blattgoldschnipseln Kitsch-as-Kitsch-can. Aber als Spielzeuge sind sie hervorragend geeignet. Sekt mit Goldschnipseln fordert es geradezu heraus, daß man ihn nicht nur trinkt, sondern zelebriert. Selbst jemand wie ich hätte allenfalls durch eine ironische Zelebrierung die Chance, diesen geradezu obszönen Kitsch zu einem angenehmen Erlebnis zu machen - und genau das ist der Sinn von diesem Blubberwasser mit Lametta-Bröckchen. Ein Fondue bietet zahllose Möglichkeiten, sich gegenseitig Schalen und Platten anzureichen, mit Spießen und Fleischstückchen ... ja: zu spielen. Und was man mit einem an Ketten aufgehängten Bett so alles paarweise anstellen kann - das überlassen wir mal aus Jugendschutzgründen besser unserer Phantasie !