Natürlich spielen wir alle immer eine Rolle. Es ist meines Erachtens aber eine gewisse Selbstverleugnung, wenn man sich nach außen hin ganz anders gibt, als man es wirklich ist, egal, ob das in Richtung "Heilige" oder in Richtung "Hure" geht.
Ich erzähle Dir mal ein Beispiel. Mein Partner und ich sind nach der Arbeit, also in unserer sehr seriösen, spießigen Arbeitskleidung, zu einem Schmied gefahren und haben mit ihm ganz sachlich unseren Entwurf eines Bettes besprochen, und ein Foto eines spießigen Hotelzimmers, in dem wir ein ähnliches Bett mal gesehen hatten. Alles lief ganz seriös und sachlich ab. Als wir uns einige Zeit später das fertige Bett ansehen gingen - wieder in Kostüm und Anzug -, lachte mir der Schmid provozierend ins Gesicht und sagte: "Jetzt kann Ihr Mann Sie ordentlich ans Bett fesseln, da kommen Sie nicht mehr los!" Ich hab ihm in die Augen gesehen und nur "Ja, klar," gesagt. Ihm hat es daraufhin die Sprache verschlagen; er hat mich nur groß angesehen.
Klar, ladylike war das nicht. Aber, mal ehrlich, ein Gentleman gibt auch nicht solche Kommentare von sich. Und dann soll ich so tun, als würde ich mich für meine Lust schämen, nur weil es gesellschaftlich immer noch nicht opportun ist, dass auch ganz normale, spießige Frauen Lust haben? Ich denke ja gar nicht daran. Es wird höchste Zeit, dass sich da was ändert. Jede(r), die/der das "Heiligen"-Spielchen mitspielt, zementiert ein Frauenbild, das meiner Ansicht nach längst überholt ist.
Nur, weil man weiß, wie "man" sich benimmt, muss man es noch lange nicht immer tun, auch wenn dieses "Heilige"/"Huren"-Spielchen vielen Männern unheimlich schmeichelt, weil sie dann ganz leicht der Illusion erliegen können, dass sie ganz allein der Grund dafür sind, dass ihre Partnerin derart wild, hemmungslos und was-weiß-ich-nicht-noch ist.
Viele Grüße
Mary