Also ich finde den Beitrag sehr gut, weil er denke ich einige grundlegende Mechanismen trifft, die dazu führen, dass Seitensprünge stattfinden. Diese ganzen Verurteilungen und dieses Geschrei von wegen darf nicht sein, böse, böse, führt glaube ich zu nichts - da kann man sich sonstwie die Seele aus dem Leib schreien, das ändert nichts an der Tatsache, dass es das eben aufgrund bestimmter menschlicher Eigenschaften einfach gibt.
Erst, wenn man das einmal festgestellt hat, hat man überhaupt die Chance, konstruktiv mit dem Thema umzugehen. Aus meiner Sicht hat es keinen Sinn, sich immer nur darauf zu konzentrieren, wie die Menschen sein sollen (treu, ehrlich, selbstlos usw.) und dabei zu vergessen, wie die Menschen (zumindest einige) wirklich sind.
Zum Thema selbst habe ich eine ambivalente Haltung. Im Vordergrund steht in der Argumentation der Gegner ja meistens der Ehrlichkeitsaspekt. Dazu habe ich wahrscheinlich eine andere Meinung als die große Mehrheit hier. Ich halte Ehrlichkeit an sich weder für einen Selbstzweck, noch für eine Tugend, sondern für ein Mittel zum Zweck. Ehrlichkeit ist gut, wenn sie zu neuen Erkenntnissen führt, an denen man sich entwickeln kann oder man sonst irgendwie davon profitiert. Aber Ehrlichkeit nur um der Ehrlichkeit willen? Aus meiner Sicht: Nein.
Man muss sich als Paar nicht laufend in den Kopf schauen und jeden unzüchtigen Gedanken, der darin auftaucht, bis ins letzte ausdiskutieren. Kann man natürlich machen, wenn beide das wollen - aber eine allgemeinverbindliche Verpflichtung dazu gibt es meiner Auffassung nach nicht. Und es gibt auch keine allgemeinverbindliche Verpflichtung, dem Partner die Kontrolle über die eigene Sexualität zu übertragen und sich nur die Bedürfnisse zuzugestehen, die der andere einem auch "erlaubt". Auch hier würde ich sagen: Kann man machen, muss man aber nicht.
Wer den anderen liebt, wird automatisch Vorbehalte haben, ihn zu verletzen. Das kann sich so äußern, dass er sich dem anderen zuliebe Bedürfnisse versagt. Das kann sich so äußern, dass man versucht, sich vom Partner die Zustimmung zu den eigenen Bedürfnissen zu erdiskutieren, um ihm das Gefühl des Betrogenseins zu ersparen. Das kann sich aber auch so äußern, dass man dem Partner die Konfrontation mit eigenen Bedürfnissen, von denen man weiß, dass er sie ablehnt und weder versteht noch teilt, erspart.
Etwas seltsam erscheint mir immer wieder die Vehemenz, mit der Leute, die sich für Variante zwei entschieden haben, von allen anderen verlangen, das auch so zu handhaben. Mich beschleicht machmal das Gefühl, dass diese Methode kein Zuckerschlecken ist und hier nach dem Motto verfahren wird, wenn ich mir den Stress schon antue, dann sollen das aber alle anderen gefälligst auch machen.
Naja, ich praktiziere eher Variante eins (vielleicht zum Trost für alle anderen, auch das ist nicht immer ein Zuckerschlecken
). Aber ich halte wenig davon, eine Beziehung wie einen formalen Vertrag zu gestalten und Gefühle und Bedürfnisse quasi per Vereinbarung auszuschließen - das funktioniert in der Realität einfach nicht, sie lassen sich bestenfalls unterdrücken, aber nur selten eliminieren. Hundertprozentig ausschließen würde ich einen (evtl. sogar heimlichen) Seitensprung für mich daher nicht.