@******ass
Ich musste schon nach den ersten Zeilen mit den Kopf schütteln. Laut meinen historischen Kenntnissen ist die sogenannte traditionelle 'Männlichkeit', also der Mann als Beschützer, Ernährer, Erzeuger und Verteidiger keineswegs ein Selbstverständnis der steinzeitlichen oder mittelalterlichen Gesellschaft gewesen, sondern ist ein genuin moderne Kopfgeburt. Es war gerade die moderne Aufklärung des 18. und 19. Jahrhunderts, welche diese Mannes-Ideologie schuf, mit der entsprechenden Geschichtsverklärung, wie sie auch heute noch ständig populär wiedergekäut wird. Erst die moderne, kapitalistische Gesellschaft ermöglichte überhaupt die Geschlechterteilung, in der nur der Mann arbeiten sollte und für's harte Business und die kriegerische Politik zuständig war, während die Frau aus dem Erwerbsleben verdrängt und nur noch für das Nicht-Produktive, Nicht-Öffentliche und Emotionale zuständig sein sollte. Vor der modernen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts konnte der Mann es sich gar nicht erlauben, als alleiniger Erzeuger die Familie satt zu kriegen. Die Frau sowie die Kinder mussten mit auf's Feld. Selbst noch bis in das Spätmittelalter hinein gab es auch Frauen in den Handwerker-Zünften, was aber im Zuge der Patriarchalisierung während der Frühen Neuzeit zunehmend verboten wurden. Die Handwerks-Zünfte wurden zu reinen Männervereinen.
Selbst noch während des Wirtschaftswunders wurde dieses moderne, angeblich natürliche Rollenverständnis beibehalten. Die Frau war Hausfrau, der Mann ging seiner 40-Stunden-Woche nach und kam abends mit seinem Auto nach Hause, während sie schon das Essen gekocht hatte.
Dieses spezifisch moderne Selbstverständnis von Männern und Frauen kippt jedoch seit einigen Jahrzehnten infolge ökonomischer Krisen und Prekarisierung der Arbeit. Haufenweise Männer haben seitdem einen Kern ihres Selbstverständnisses verloren: einen sicheren Arbeitsplatz, welcher ihnen stets die moderne, würdevolle Bezeichnung des 'Ernährers' erlaubte.
Damit einher geht dann auch die Gleichstellung der Geschlechter. Wobei man hier teilweise im negativen Sinne von einer Gleichstellung sprechen muss. Frauen haben im 20. Jahrhundert zunehmend die gleichen Rechte wie die Männer bekommen, wobei es sich hier aber genau genommen in vielen Dingen um eine 1:1-Kopie der Männerwelt handelt: Frauen dürfen nun auch gefühllos dem harten Business nachgehen, gewalttätig werden und zur Armee oder Polizei gehen und dort das Tötungshandwerk erlernen. Und dazu noch die Frauenquote, welche uns erst recht daran erinnern soll, dass Männer und Frauen unterschiedlicher Behandlung bedürfen, weil sie ja angeblich so unterschiedlich sind. Eine sehr zweifelhafte Emanzipation. Aber das nur kurz.
Hier geht es ja schließlich um den Mann und das Männlichkeits-Bild. Paradoxerweise war die Emanzipationsbestrebung der letzten Jahrzehnte stets einseitig: Es gab zwar Ansätze einer Männer-Emanzipation (z.B. Männervereine), die eine Aufweichung des patriarchalen und heteronormativen Selbstverständnisses erlaubte. Aber ich habe den Eindruck, dass diese Entwicklung in den letzten Jahren wieder einen Rückschlag erlitten hat. Quer durch alle Medien und Gesellschaftsschichten gilt weiterhin das normative Bild vom heterosexuellen, selbstbewussten, durchtrainierten und in jeder Hinsicht erfolgreichen Frauenliebhabers.
Die Emanzipation verläuft hier aus meiner Sicht vollkommen einseitig. Das zeigt sich für mich auch in dem Artikel. Der Autor schreibt z.B., die Männer seien nach Frauen süchtig. Auch das halte ich insofern für richtig, als dass diese "Sucht" dem Mann anerzogen ist bzw. es sich hierbei um eine gesellschaftliche Erwartungshaltung handelt. Besonders bei beruflich erfolglosen Männern gilt der Erfolg bei Frauen als letzter Strohhalm, an den Mann sich noch klammern kann, wenn er nicht vollends zur Witzfigur abgestempelt werden will. Homophobie ist aus meiner Sicht immer noch ein großes Problem bei Männern. Sobald manch ein Mann seine Ehrenloge der Arbeit verloren hat, sieht er seine einzige Chance, in dieser Gesellschaft noch etwas zu gelten, darin, möglichst viele Frauen abzubekommen und nebenher noch möglichst aggressiv und emotionslos aufzutreten.
Und an dieser Geschlechter-Ungleichheit wird nicht nur seitens vieler Männer festgehalten, sondern auch viele Frauen reproduzieren dieses Männlichkeitsbild. Viele Frauen wollen trotz Frauen-Emanzipation keinen emanzipierten Hausmann haben, sondern - und das durfte ich auch schon hier im JC lesen - einen starken, großen, selbstbewussten Ernährer, also weiterhin den bisherigen 40-Stunden-Jobber, der - in Ansätzen - zusätzlich noch familiäre und emotionale Eigenschaften zeigen soll. Ich würde sagen, dass es hier parallel zur Doppelbelastung der Frau, Familie und Beruf unter einen Hut zu kriegen, ebenso eine Doppelbelastung der Männer gibt: einerseits einen Vollzeitjob haben, selbstbewusst und stark sein, andererseits aber auch emotional agierend, liebevoll, witzig und charmant sein. Die eierlegende Wollmilchsau sozusagen. Denn genausowenig wie viele Frauen es schaffen Beruf und Familie miteinander zu vereinbaren, genausowenig schaffen die Männer dies.
Nichtsdestotrotz wird weiterhin an Rollenklischees festgehalten, gerade auch hinsichtlich der Paarbeziehungen. Heute ist der Frauenversteher gefragt, morgen wieder fahren die Damen auf den Macho ab. Die eine Studie erzählt uns, was Frauen wollen, die andere Studie ebenso, nur mit dem gegenteiligen Ergebnis.
Mal ehrlich, von sowas muss Mann doch bekloppt werden.
Ich persönlich versuche, mein Selbstbild zunehmend von diesen Rollenklischees abzukoppeln, was nicht immer gelingt. Meiner Ansicht nach ist eine Emanzipation von Unmündigen nur möglich mit der Emanzipation der "Dominanten". Eine Emanzipation des Mann ist daher ebenso nötig wie die der Frau, damit beides gelingt. Und das ständige Gerede von der Ungleichheit der Geschlechter ist nicht nur hanebüchen, sondern auch zutiefst anti-emanzipatorisch. Entweder ich sage, dass Männer und Frauen gleich sind und das Geschlecht keine Rolle bei der Bewertung des Charakters spielt, so dass jeder sich frei entwickeln kann, wie er es für richtig hält; oder ich spalte die Menschen in Männlein und Weiblein auf und proklamiere, dass beide unterschiedlich ticken, beide einer geschlechtsspezifischen Sonderbehandlung bedürfen und überhaupt von verschiedenen Planeten abstammen, so dass man sich fragen muss, wie die Menschheit überhaupt bis heute überleben konnte bei so viel Inkompatibilität. Beides zusammen geht nicht.
Und mich kotzen mittlerweile die ganzen medialen Geschlechterpossen an, in denen der Mann als ultimativer Dorftrottel hingestellt wird, der nix gebacken kriegt und ständig sexgeil sabbernd durch die Gegend läuft, während die Frau das erwachsende, intelligente und evolutionär weiterentwickelte Menschlein darstellt. Ich durfte schon beides bei beiden Geschlechtern erleben.
Ich halte es mitterweile so, dass ich, auch auf die Gefahr hin, ewig Single zu bleiben, mich sowohl von diesen Klischees als auch von einem elenden, zwiegespaltenen Mannsbild fernzuhalten und meine eigene Identität zu suchen. Ich habe für mich festgestellt, dass das ständige Verbiegen auf Frau komm raus mich unnütze und wertvolle Lebenszeit kostet. Die Erfahrung, unterschiedliche Frauen kennen gelernt zu haben, hat mich gelehrt, dass es relativ egal ist, ob ich mich als Macho oder als Softie zeige. Was die eine Frau mag, kann die andere wiederum abstoßen.
Ebenso versuche ich auch hinsichtlich der Partnersuche, einen Mittelweg zwischen Handeln und Abwarten zu finden. Ich mag es mittlerweile, wenn Frau den ersten Schritt macht, bin aber auch gerne selbst aktiv, aber eben in Maßen.
Und der Sex gefällt mir mittlerweile auch, wenn ich keinen Orgasmus hatte. Ich persönlich versuche auch ab und zu mal, eine Frau zappeln zu lassen, aber ebenso kann ich bei ihr auch mit der Tür ins Haus fallen, wenn ich das Gefühl habe, dass sie die Richtige ist. Und ebenso kann ich bewusst 'nein' zu einer Frau sagen, ohne dass ich mich gleich als Idiot bezeichnen muss, weil mir - angeblich - eine Bettgeschichte mit dieser Frau entgeht.
Ich bezweifle aber, dass meine Lebensversuche Schule machen werden. Dazu entspricht das Klischee vom notgeilen Mann leider zu oft der Realität.