Wer kommt denn bloß auf die seltsame Idee, dass das Rollenmodell der Fünfziger as "natürliche" Modell ist? Wenn man mal ein bisschen durch die Jahrhunderte läuft, dann stellt man fest, dass dieses Modell nur in der Ausprägung "schwache Frau, starker Mann" entstehen konnte, weil die Industrialisierung stattfand.
Die Logik dahinter läuft so: Industrialisierung - der arme Mann muss den ganzen Tag weg von Zuhause sein und malochen, statt wie zu früheren Zeiten im Kreis seiner Familie zu leben. Das ist erst mal total scheiße und unnatürlich für uns Menschen, auch wenn es uns aufgrund unserer Sozialisation "normal" erscheint, weil man es uns dank des Schulsystemes schon als kleine Kinder beibringt. Warum wurde denn bitte im 19. Jahrhundert die allgemeine Schulpflicht eingeführt? Weil die erwachsenen Menschen, denen es nicht von klein auf eingetrichtert wurde, einfach nicht verstehen konnten, warum man jeden Tag um die gleiche Zeit für die gleiche Zeit die gleiche ARbeit machen sollen, weil die Industriearbeiter unzuverlässig waren! Da hat man es ihren Kindern eben gleich von Anfang an beigebracht. Pünktlichkeit, Ordnung und Zuverlässigkeit.
Die Männer gingen also raus, aber innen drin waren sie unglücklich, denn sie wollten ja eigentlich Zeit mit ihren Lieben, ihren Kindern und ihren Frauen verbringen und ihren Kindern auch ein Vater sein. Aber das gab man nicht zu, denn dass man keine Schwäche zeigte, ist eine Sitte, die viel älter ist als die Industrialisierung. Nur, dass es vor der Industrialisierung für Männer und Frauen gleichermaßen galt: Man beherrschte sich, man war stark, man erfüllte seine Pflichten. Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau, ja, das schon - aber beide arbeiteten gleichermaßen hart, und das war auch akzeptiert und brachte gleichermaßen Anerkennung. Hausfrau im achtzehnten Jahrhunder zu sein war ein körperlich und geistig fordernder Knüppeljob und nicht zu vergleichen mit der Hausfrauentätigkeit in den Fünfzigern - oder heute.
In der Industrialisierung wurde es also nötig, unmenschliche Arbeit zu leiten, um die Familie zu ernähren, nämlich Maschinenarbeit. Und es wurde nötig, so zu tun und sich vielleicht sogar einzureden, dass man glücklich dabei war.
Gleichzeitig spürten die Menschen in diesen Jobs aber, dass ihnen etwas fehlte, nämlich Emotionalität, Sensibilität, Soziale Bindungen, Wärme, Nähe und Gefühlhaftigkeit. --> In einem Verdrängungsprozess projizierten die Männer also all diese Dinge, die sie selbst nicht mehr besitzen durften, um ihre Arbeit zu schaffen, in ihre Frauen.
Die Frauen, die ihre Männer natürlich liebten und die sahen, dass den Männern etwas verloren ging, bemühten sich besonders stark darum, ihnen eben all diese Dinge zu geben, wenn sie bei ihnen waren. Nie zuvor in der Geschichte der Menschheit unterschieden sich Männer- und Frauenbild so dermaßen stark voneinander wie nach dem Beginn der Industrialisierung. Erst da entstand die Vorstellung und das Ideal, dass die Frau ein grundverschiedenes, zartes Wesen sei, zu schwach für die harte Welt da draußen, dass der Mann draußen kämpfte und alle Härte eines Paares für sich behielt, während die Frau alle Emotionalität und Schwäche besitzen sollte. Auf diese Weise wurden Mann und Frau in der Theorie als Paar eben wieder vollständig.
Und erst in dieser Zeit konnte überhaupt eine Frauenbewegung entstehen, die sich dagegen sträubte, dass den Frauen auf einmal jede Stärke abgesprochen wurde, damit die Männer sich überlegen fühlen konnten, weil sie es nun mal waren an denen die Scheißarbeit draußen in der Welt hängen blieb. In der gleichen Zeit entstand in der Kunst auch die Bewegung der Romantik, die die verdrängte Emotionalität der Männer in der Kunst wieder aufleben ließ.
Es ist also eine vergleichsweise junge Idee, dass Frauen "schwach" sind und zu einem Mann aufsehen wollen. Klar, eine Dreizehnjährige, die mit einem Dreißigjährigen verheiratet wurde, musste früher zu ihm aufsehen - aber das war dann eher eine Frage des Erfahrungs- und Altersunterschiedes und es galt durchaus als Ideal, dass sie eben in die Rolle der "Haus-Frau" hineinwuchs und sie stark und kompetent ausfüllte und ihren Beruf mit Bravour, Eleganz und Erfolg ausfüllte.
Und jetzt werde ich mal ein bisschen spöttisch ;).
Denn ehrlich gesagt ist die Arbeit als Hausfrau in Zeiten der Automatisierung tatsächlich deutlich leichter als die Arbeit da draußen. Freie Zeiteinteilung, man ist sein eigener Chef, man wird für geistig und körperlich vergleichsweise leichte Arbeiten vergleichsweise gut entlohnt ...
Wenn ein Mann in der Situation wäre, dass er körperlich nur leicht arbeiten muss, seine Zeit frei einteilen kann, selbst bestimmt, was er wann und wo macht - dann wäre er doch schön blöd, das gegen einen stressigen Bürojob oder Bergbaujob mit einem anstrengenden Chef, ständigen Überstunden und der Entfremdung von seinen eigenen Kindern einzutauschen, oder? Und da Frauen nicht blöder sind als Männer, war ihnen auf irgendeinem unbewussten Level oft klar, dass das Hausfrauendasein einem Dasein als Berufstätige oft vorzuziehen war.
Aber dieses vergleichsweise luxuriöse Leben bezahlt einem eigentlich niemand ...
Oder doch? Wenn ich diesem Mann da klar machen kann, dass ich viel zu zart, sanft und zerbrechlich bin, dass ich zu ihm aufsehe und ihn bewundere, weil er stark genug ist, die böse, böse Welt da draußen zu managen, wenn ich ihn dafür anhimmele und er kapiert, dass ich schützenswert und zart wie ein kleines Kind bin ... Vielleicht ist er ja dann so nett, mir das alles zu bezahlen, so dass ich mir den ganzen Stress nicht selbst antun muss. Dafür schlafe ich dann auch regelmäßig mit ihm. Und wenn ich erst mal ein paar Kinder von ihm habe, dann sieht er auch so ein, dass ich neben der ganzen Arbeit damit nicht auch noch nach draußen gehen und "richtig" arbeiten kann ...
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Ganz ehrlich, die Emanzipation musste kommen. Wenn sie nicht von den Frauen gekommen wäre, dann irgendwann von den Männern, die diese Ungerechtigkeit nicht mehr ertragen hätten. Aber die Emanzipation kam glücklicherweise. Sie brachte uns Frauen, die in Männern Partner sehen können und nicht mehr nur Versorger.
Und damit kehren wir lustigerweise in die Zeit vor dem 19. Jahrhundert zurück: Damals war eine Ehe eine Zweck- und Interessengemeinschaft zweier ebenbürtiger Partner, die zwar mit Liebe nichts zu tun hatte, aber eben zwei starke Menschen erforderte, die sich gemeinsam den Rücken stärkten. Denn damals wäre für Frauen, die zu "schwach" für die Welt da draußen wären und ihren Weg nicht alleine gehen wollten, und jemanden brauchten, der ihnen alles schwere abnahm, gar kein Platz gewesen.
Die angebliche "Schwäche" der Frauen, das "Aufsehen wollen", sind in meinen Augen daher erlernte Angewohnheiten, die Frauen einige Generationen lang entwickelt haben, um sich ein bequemeres Leben zu sichern. Dagegen ist auch an und für sich nichts einzuwenden.
Ich mag es nur nicht, wenn das als "natürlich" beschrieben wird. Das ist es nämlich nicht mehr und nicht weniger als die entgegengesetzte Variante "Starke Frau geht ihren Weg und erhält von ihrem etwas devoteren Partner Rückendeckung und Unterstützung". Die zweite Variante ist nur sozial geächtet worden von den Frauen, die eben einen Beschützer für ihre Schwäche wollten. Dieses Arrangement wäre nämlich möglicherweise in Gefahr geraten, wenn der Beschützer und Ernährer gerafft hätte, dass Frauen gar nicht so zart und zerbrechlich und fragil und beschützenswert sind, wie sein Weibchen daheim es ihm immer vorlügt.
Daher wurden solche Frauen und solche Männer einige Generationen lang als "keine richtigen Frauen" oder "keine richtigen Männer" deklassiert, was dazu führte, dass jeder einzelne von ihnen das Gefühl hatte, mit seiner Art alleine und eine Ausnahme von der Normalität zu sein. Dabei stimmt das gar nicht :).
Aber wir sind halt alle ein Produkt der Kultur und der in den letzten Generationen entwickelten Verhaltensweisen. Nicht nur ein Produkt der Natur.