Zum Unterschied "Experiment" <=> "sich verbiegen"
Um die Diskussion auf eine etwas allgemeinere Ebene zu heben:
Ich habe mich gefragt: Gibt es einen Unterschied zwischen "experimentieren" und "sich verbiegen (lassen)"? Niemand will gerne von sich sagen lassen, dass er/sie sich hat verbiegen lassen. Aber wann greift dieser Vorwurf und wann nicht?
Das ist das, was ich dazu denke:
Wer jung ist und den größten Teil seines Sexlebens vielleicht noch vor sich hat, der wird durch Experimentieren und Ausprobieren wahrscheinlich leichter zu seiner eigenen Sexualität finden.
Auch ich habe mit meiner letzten Partnerin so manches ausprobiert, was sich im Nachhinein als "doof" herausstellte - aber wie hätten wir jemals wissen sollen,
dass wir es "doof" finden, wenn wir es nicht wenigstens einmal getan hätten? Man amüsiert sich gemeinsam, lächelt müde drüber, lässt es bleiben, wiederholt es nicht und die Sache hat sich, ohne dass jemand einen Schaden davon trägt.
Der Ratschlag, sich nicht verbiegen zu lassen, ist für reifere Menschen sicher angebracht, aber ich denke, man kann ihn nicht so einfach auf jüngere Paare übertragen: Sich nicht verbiegen zu lassen setzt voraus, dass man sich selber kennt. So banal das klingt, aber sich selber zu kennen ist keine Selbstverständlichkeit. Es setzt voraus, dass man sich selber kennen gelernt hat, und dieses sich-selber-kennen-lernen geschieht durch Ausprobieren, am besten in einem "geschützten Raum" mit Partnern, von denen man keinen Spott oder keine Schuldzuweisungen zu befürchten hat.
Den Rat, sich nicht verbiegen zu lassen, kann man Menschen geben, die auf ihrer "Entdeckungsreise zu sich selbst" (ich weiß, klingt arg pathetisch) schon weit fortgeschritten sind, er taugt aber weniger für solche, die noch eher am Anfang dieser Reise stehen.
Die eigene Sexualität stellt eine "Form" dar, von der ältere/reifere Menschen wissen, dass sie sie nicht mehr "verbiegen" werden. Was aber ist mit Menschen, die das Gefühl haben, die eigene "Form" noch gar nicht richtig "herausgeschält" zu haben? Soll man ihnen raten, das "schälen" sein zu lassen? Klar fällt beim "Schälen" etwas überflüssiger Müll ab (= die Sachen, von denen man sich im höheren Alter sicher ist, dass man sie nicht mehr weiter ausprobieren muss), aber wie sonst soll sich denn überhaupt eine "Form" herausbilden?
An welchem Punkt der Freund der TE steht, ob er das mit dem Sich-gehen-lassen bereits ausprobiert und für "doof" befunden hat oder ob er es insgeheim gerne mal tun würde, aber auf etwas mehr "Ermunterung" hofft, wissen wir einfach nicht. Deswegen ist es meines Erachtens kein schlechter Rat an die TE, es mal mit dieser "Ermunterung" zu probieren (aber auch, sobald sie merkt, dass es nichts bewirkt, dieses Experiment wieder zu beenden).
Auch meine erste Freundin entdeckte ihren eigenen Spaß am ungehemmten Stöhnen (und "dirty talk") erst im Lauf der Zeit. Mir persönlich war es ziemlich egal, ob sie eher leise bleibt oder stöhnt, der Punkt ist einfach der, dass ich es noch für
denkbar (
nicht etwa für
zwingend oder
sonnenklar)halte, dass der Freund der TE sich selber diesbezüglich noch nicht ganz kennt.
Was ein guter Rat an 55-jährige sein kann, muss kein guter Rat an 25-jährige sein, und umgekehrt - sie stehen schlichtweg an unterschiedlichen Punkten ihrer sexuellen Entwicklung.
Grüße,
EL