Naja, ich denke, dass das Bild der wilden, ungehemmten Studentenorgien ein ebenso fest eingeprägtes Klischee ist, wie der immergeile Handwerker.
Ich habe von 2004 bis 2009 studiert, deshalb kann ich keine Wertung über die Zeiten davor abgeben.
Was aber meine persönlichen Erfahrungen betrifft: Bis auf zwei Ausnahmen waren alle meine Freunde an der Uni weiblich - was an der Philosophischen Fakultät nicht wirklich überraschend ist. Mit keiner einzigen von diesen ist irgendwas gelaufen (was ich auch gar nicht wollte), alle waren ganz bürgerlich in einer Beziehung und keine einzige hatte Interesse an irgendwelchen Abenteuern, solange sie diese Beziehung hatte. Wir haben teilweise sehr offen miteinander gesprochen, das hätte ich also mit sehr großer Wahrscheinlichkeit erfahren. Ein männlicher Kommilitone hatte irgendwann im 3. Semester mal ein mehrwöchiges Intermezzo mit einer Studentin unserer Fakultät, aber das war nun wirklich nichts Spektakuläres.
Hinzu kommt, das es wegen der Mietkosten an meinem damaligen Studienort eher die Regel als die Ausnahme war, zu pendeln. Plätze im Studentenwohnheim sind nach wie vor rar und die Wohnungen in der Stadt teilweise unerschwinglich, selbst wenn man WGs gründet. Viele sind bis zu 2 Stunden gependelt, weil es halt nicht anders ging. Und jedesmal nach einer Fachschaftsparty o.ä. bei einem Bekannten zu übernachten, oder sich ein ONS suchen, um irgendwo schlafen zu können, ist auch nicht immer eine Option. Viele waren also zwar feiern, allerdings meistens in ihren Heimatstädten.
Auch nicht zu vergessen sind die Studiengebühren, mit denen ich glücklicherweise relativ gut zurechtkam, die aber bei einigen Kommilitonen dazu geführt hatten, dass sie sich einen zusätzlichen Job suchen, umziehen, ihre Lebensweise erheblich einschränken oder gar das Studium abbrechen mussten.
Bei solchen Rahmenbedingungen wäre es zumindest mir schwergefallen, ein Lotterleben zu führen, bei dem ich regelmäßig meinen Rausch ausschlafen muss und mein Schwanz mehr zu tun bekommt, als mein Hirn.
Exemplare dieser Kategorie (also der Bummelanten, aus welchen Gründen auch immer) gab es dennoch bis zur Einführung der Gebühren einige. Die waren dann z.B. im 10. Semester und hatten immer noch nicht ihre Zwischenprüfung abgelegt, die man eigentlich nach 4 Semestern macht. Aber wie gesagt, spätestens seit 2006 war das dann größtenteils vorbei.
Fazit: Während der viereinhalb Jahre meiner Studienzeit habe ich zwar einige Erfahrungen gesammelt, allerdings ausschließlich außerhalb der Uni. Und auch wenn ich nicht die Lebensgeschichte jedes der Tausenden Studenten meiner Uni kenne, denke ich, dass wirklich Außergewöhnliches lediglich im selben Verhältnis vorkommt, wie außerhalb des Campus.