Die Angst vor Überlegenheiten...
Starke Frauen, schwache Männer? Ein spannendes Thema, das mich schon viel beschäftigt hat, daher will ich zu dieser interessanten Diskussion, in der schon allerlei Wahres gesagt wurde, nun auch noch etwas beitragen.
Es gibt viele Männer wie auch viele Frauen, die Schwäche mehr anzieht als Stärke – das hat fast immer mit eigenen Unsicherheiten, Defiziten und Bedürftigkeiten (z.B. dem dringenden Bedürfnis gebraucht zu werden) und mit dem eigenen Selbstwertgefühl zu tun.
Den meisten Menschen fällt es leichter, Andere für ihre Schwächen zu lieben als für ihre Stärken:
Stärke, (scheinbar) makellose Schönheit, besondere Eloquenz, ausgeprägtes, gelassenes In-sich-Ruhen, Selbstgenügsamkeit gar führen uns meist vor, was uns selbst fehlt – bedürftig, „klein“ und unvollkommen wie wir oftmals sind oder uns fühlen...
Die Starken, Perfekten, Schönen, Großartigen himmeln wir dann lieber aus der Ferne an (siehe Starkulte, Gurus u.ä.), sie bleiben „hoch oben“, unerreichbar für uns. Sie sind und können so allerlei, was wir „hier unten“ nicht sind und nicht können. Und weil wir uns angesichts ihrer Stärke und Größe so klein und schwach und unvollkommen fühlen, mögen wir es gar nicht, wenn sie plötzlich in erreichbarer Nähe auftauchen (denn wenn jemand in der Alltagswelt, in der wir doch selbst auch leben, so „toll“ sein kann, wieso können wir das dann nicht?), dann fangen wir an, ihnen mangelnde Authentizität zu unterstellen, sie arrogant und verbissen zu finden etc. Wir mögen sie jedenfalls ganz und gar nicht.
Nelson Mandela sagte mal sinngemäß, wir hätten weit mehr Angst vor unserer Stärke als vor unseren Schwächen... Das macht für mich Sinn, denn Stärke fordert heraus und die Herausforderung zu eigenem Wachstum ist oft nicht willkommen.
Die Wahrnehmung von und die Reaktion auf Stärke (oder Schwäche) beim Andern ist immer ein Spiegel für mich selbst:
Wovor habe ich als Mann Angst, wenn mir eine Frau arrogant oder (zu) dominant erscheint? Vor einem Korb? Davor nicht zu genügen, selbst nicht gut genug zu sein? Nicht gebraucht zu werden? Wenn es so ist, wie steht es dann um mein Selbstbewusstsein, um meine Fähigkeiten als kommunizierender Mensch, als Liebhaber, als Partner? Wie steht es um meine Autonomie und um meine eigene Kraft?
Wovor habe ich als Frau Angst, wenn mir kaum ein Mann stark genug für mich erscheint? Davor allein zu bleiben? Davor, mich niemals anlehnen zu können, niemals aufgefangen zu werden? Davor, in der Beziehung die Führung zu übernehmen? Davor ein unweiblicher Freak zu sein? Wenn es so ist, wie steht es dann wirklich um meine (innere!) Unabhängigkeit, um meine Fähigkeiten als kommunizierender Mensch, als hingebungs- und vertrauensvolle Partnerin? Wie steht es um meine wirkliche innere Kraft und Stärke? Und um mein Selbstwertgefühl?
Ganz pauschal gesprochen: Als männlich gilt es (ob nun evolutionär oder Patriarchats- bedingt sei dahingestellt) danach zu streben, der Überlegene zu sein. Daher vertragen es Männer nicht besonders gut, sich unterlegen zu fühlen, es sei denn, sie ziehen einen masochistischen Lustgewinn daraus oder haben gelernt/erlebt/erfahren, dass auch in der (scheinbaren) Unterlegenheit der Hingabe eine große Kraft liegt.
Als weiblich wiederum gilt es, nach Hingabe zu streben. Deshalb haben Frauen so oft Probleme damit, wenn sie keinen Menschen in ihrem Leben finden, dem sie sich vertrauensvoll hingeben können, ohne die Angst, sofort wieder in jeder Hinsicht in die Rolle des „beherrschten Weibchens“ zurückgedrängt zu werden, aus der sie sich nicht selten unter Schmerzen befreit haben.
Die Veränderungen in den Geschlechterrollen, die in den vergangenen Jahrzehnten stattgefunden haben sind in ihrer Tragweite für die menschliche Psyche noch kaum vollständig erfasst – die Bilder und Vorstellungen, die in uns verwurzelt sind, werden unscharf, werden in Frage gestellt und doch bilden sie noch immer die Grundlage für unsere Gefühle... Das muss zwangsläufig zu Verwirrungen führen. Die können aber sehr heilsam sein, wenn wir offen kommunizieren und bereit für Veränderungen sind...
Wir alle sind im Grunde männlich UND weiblich – in individuell unterschiedlicher Gewichtung, daher können wir auch danach streben, Dominanz und den Genuss unserer Überlegenheit zu verbinden mit Hingabe und dem Genuss der Überlegenheit des – oder der – Anderen. Das geht im Gespräch oder im häuslichen Miteinander ebenso gut wie beim Sex...