Abschied von Karlheinz

"Liebe Familie,
liebe Trauergemeinde,

ich danke Euch, dass Ihr so zahlreich erschienen seid, um heute, gemeinsam mit mir, von meinem Mann Karlheinz Abschied zu nehmen.

Bevor wir nun gemeinsam die Kapelle verlassen, um die Urne meines Mannes zu Grabe zu tragen, möchte ich auch noch einige persönliche Worte im Gedenken an Karlheinz sprechen. Das ist mir nicht leicht gefallen, Ihr wisst, dass ich nicht gut im Redenhalten bin. Aber nach 20 Jahren Ehe, mein lieber Karlheinz, nach all der gemeinsamen Zeit, hast Du eine persönliche Abschiedsrede verdient. "

- Schluchzer, Schneuzen, Tiefluftholen bei der Trauerrednerin -

"Nichts Schlechtes soll man über die Toten sagen", so heißt es im Allgemeinen. Das mag zwar der getragenen Stimmung einer Beisetzung dienlich sein, wird aber dem Verstorbenen nicht gerecht, der, wie jeder von uns, auch schlechte Seiten an sich hatte, die ihn eben auch ausgemacht haben.

Ich fände es falsch, wenn wir uns an meinen Karlheinz nur als perfekten, immer freundlichen, liebevollen, aufopfernden Familienvater, erfolgreichen Geschäftsmann und treuen und fürsorglichen Ehegatten erinnern, denn das hieße, gerade nicht an Karlheinz zu denken, sondern an einen perfekten Karlheinz, den es so nicht gab.

- Irritierte Blicke -

Mein lieber Karlheinz,

hab Dank für 20 Ehejahre!
hab Dank für unsere beiden Kinder Timmy und Nadin, denen Du ein wirklich guter Vater gewesen bist!
hab Dank dafür, dass Du uns ernährt und ein schönes Heim geschaffen hast!"

- Tiefes Durchatmen bei der Trauerrednerin -

"Und sei verflucht für die Blicke unter Deinen Teppich, die mir seid Deinem Ableben gewährt wurden!"

• Schockiertes tiefes Einatmen beim weiblichen Teil der Trauergemeinde, verlegenes Krawattenknotenzurechtrücken beim männlichen Teil -

„Als mich am vergangenen Samstag morgen um 3.55 Uhr die Polizei von Deinem Tode verständigte, war ich zwar schockiert, aber andererseits auch beruhigt, denn man hatte mich zu der Dienststelle in unserer Stadt gebeten und ich wusste ja, dass Du in München auf Geschäftsreise warst. Es musste also ein Irrtum sein, der sich sicherlich schnell aufklären würde. Du bist zwar auch nicht an Dein Handy gegangen, aber das hast Du ja bei Meetings immer ausgeschaltet, damit Du dich „voll und ganz auf Dein Gegenüber konzentrieren kannst“.

Ich hatte mir also vorgenommen, den Polizisten erst einmal richtig den Kopf zu waschen, denn was fällt denen ein, treusorgenden Bürgerinnen mitten in der Nacht mit falschen Todesnachrichten Ihrer Ehemänner den Schlaf zu rauben!!

Aber, wie wir wissen, es kam anders. Du warst nicht in München, sondern nicht einmal 20 km von zu Hause entfernt. Du warst auch nicht auf Geschäftsreise sondern hast, hast....

-Schluchzen der Trauerrednerin, Luftanhalten der gesamten Trauergemeinde -

im örtlichen Swingerclub an einem Facesitting-Wettbewerb teilgenommen"

- Irritiertes Gebrummel beim älteren Teil der Gemeinde: "WAS FÜRN DING?"-

"und Dich bei der siebzehnten Dame an deren Klitorispiercing verschluckt."

- Würgelaute beim weiblichen Teil der Trauergemeinde, jetzt lauteres Gebrummel beim älteren Teil "AN WAS HAT DER SICH VERSCHLUCKT? - ICH HAB PFIRSICH VERSTANDEN! ACHSO!
.....HATTE DER NICH NEN AUTOUNFALL?"-

".....Welche Geschichte hättest Du erzählt Karlheinz? Deinen Kindern? Deinen Eltern? Deinen Schwiegeltern? Deinem Chef, der mit Deiner gesamten Abteilung zwei Tage später vor unserer Haustür stand, um sein Beileid über den Verlust auszudrücken? Welche Geschichte, Karlheinz?

Was hättest Du getan an mein meiner Stelle - mein lieber Ehemann - wenn Dein Chef Dich höflich um die Rückgabe Deines Diensthandys gebeten hätte? Mit SMS von Frauen, die sich "SpermaEimer23" oder "Lochanlochundhältdoch44" nennen? Mit 1247 Aufnahmen von weiblichen.....Geschlechtsteilen?"

• Auf dezenten Wink des Pfarrers schwillt die Orgelmusik an, wieder Gebrummel beim älteren Teil der Trauergemeinde:" WARUM REGT DIE SICH SO AUF, WENN DER ARME KERL AN NEM PFIRSICH ERSTICKT IS??“ „ICH ESS PFIRSICH EH NUR ALS GELÉE." In der letzten Reihe fragt sich Karlheinz' Chef, ob er nicht zufällig das gleiche Sakko trägt, wie an dem Tag, als er das Handy abgeholt hat und beginnt, möglichst unauffällig alle seine Taschen abzuklopfen. Der Prokurist in der vorletzten Reihe beginnt zu grinsen, denn er weiß, dass der Chef Karlheinz' Handy bei ihm im Auto liegengelassen hat.-

"Ich weiß, was sich gehört, mein Schatz, Du bist der Vater meiner Kinder, ich bin über 20 Jahre deine Ehefrau gewesen und – Gott steh mir bei – auch ich war in der ganzen Zeit nicht ganz frei von Schuld. Auch die – irritierenden – Umstände des Ablebens hätte ich Dir vergeben können. Aber was ich Dir nie vergeben kann ist....“

• Die Orgelmusik schwillt zum Crescendo an und überdeckt jetzt fast die brüchige Stimme der Trauerrednerin. Die ganze Trauergemeinde sitzt aufrecht auf ihren Bänken. Karlheinz' Chef hat inzwischen voller Enttäuschung festgestellt, dass er das Handy nicht dabei hat, während der Prokurist gerade beschließt, sich den Nachmittag freizunehmen um sich voll und ganz mit der Auswertung des Mobiltelefons seines Kollegen zu beschäftigen.

Der ältere Teil der Trauergemeinde brummelt verwirrt durcheinander:“WARUM IST DIE MUSIK SO LAUT? WO GEHTS EIGENTLICH ZUM ESSEN HIN?“ Im weiblichen Teil der Trauergemeinde regt sich langsam die Unsicherheit.

Der hübschen blonden Frau aus der dritten Reihe mit Namen Tina hatte ihr Nickname „Spermaeimer“ noch nie so richtig gefallen, aber er brachte unheimlich viele Zuschriften auf dem Erotikportal, auf dem sie Karlheinz kennengelernt hatte. Hannah aus der fünften Reihe, die ihren dreijährigen Sohn mit zur Beerdigung gebracht hat, ist sich sicher, dass ihre SMS- Sex- Zeit mit Karlheinz so lange her ist, dass er ihre Bilder sicher schon längst wieder gelöscht hat. Und dann wieder nicht. Und dann wieder. Und dann wieder nicht. Andrea, 39 und irgendwo in der Mitte sitzend, fragt sich, ob es irgendeinen Weg gibt, wieder an ihr Piercing heranzukommen.-

„Was ich Dir nie vergeben werde....“

- Lautes Schluchzen der Trauerrednerin -

„ist, dass ich den Brief mit der Kündigung von meinem Fitnessstudio in deinem Auto gefunden habe!! Obwohl ich Dich hundertmal daran erinnert habe, den rechtzeitig einzuwerfen, weil sich ansonsten mein Vertrag um zwei Jahre verlängert!! Das ist so typisch für Dich! Alles muss ich selbst erledigen! Neben dem Haushalt, den Kindern und Deiner Mutter, die mich noch nie leiden konnte- und was macht der feine Herr? Geht den ganzen Tag entspannt zur Arbeit, lässt sich abends ein warmes Essen vorsetzen, schneidet sich auf der Couch die Fußnägel, während die andern Chips essen und vergisst dann als Krönung auch noch die verdammte Kündigung....und dabei hatte ich mich schon beim Pfitzenmeier angemeldet, weil da auch meine ganzen Freundinnen............:“

• Die Kirchenorgel verschluckt den Rest der Trauerrede. -