Autsch!
Liebe Konvergenz, dass Dein Geschichtsbild ein ausgesprochen reduziertes und selektives ist, hast (nicht nur) Du hier ja schon mehrfach unter Beweis gestellt.
Von Kulturgeschichte hast Du offenbar wenig Ahnung, was ja an sich nicht schlimm oder verwerflich ist.
Unangenehm und ignorant wird es aber, wenn Du aus diesem Halb- und Unwissen irgendwelche wilden Thesen ableitest und die mal eben hier abwirfst als wären es Tatsachen.
Nein, nicht das Christentum ist die „Wiege des Abendlandes“, sondern die eindeutig vorchristliche griechisch-römische Antike (und auch die nicht ausschließlich, vielfältige Einflüsse gibt es noch von etlichen anderen Kulturen).
Unser Konzept „einer geordneten Welt“ (und es gab und gibt auch ganz andere Konzepte durchaus ebenfalls „geordneter“ Welten) geht daher zu einem großen Teil zurück auf die altgriechische Philosophie und ihre Werte.
„Vernunft“ und „Fortschritt“ sind ebenfalls keineswegs christliche Konzepte – das lässt sich schon unschwer am Konservatismus nicht nur der katholischen Kirche, sondern zum Beispiel auch am christlichen Äquivalent zum Islamismus, nämlich dem christlichen Fundamentalismus, wie er zum Beispiel im us-amerikanischen sogenannten „Bible Belt“ herrscht, erkennen.
Mit Vernunft und Fortschritt hat auch das (leider) herzlich wenig zu tun.
Vernunft und Fortschritt sind ebenso wie die zunehmende Betonung des Individuums in der Neuzeit, Ideen, die in unserer Kultur während der Renaissance und der Aufklärung immer weiter entwickelt wurden.
Davon zu sprechen, der Westen habe irgendwelche – nicht näher benannten, vermutlich aber wohl als moralisch höherwertig verstandenen – Werte gegen Individualismus eingetauscht ist so daher schlicht mal falsch.
"Der Individualismus" hat sich aufgrund einer Fülle verschiedener Faktoren so entwickelt, dass die Freiheit und Selbstverwirklichung des Individuums in der westlich-abendländischen Kultur eine zunehmende Bedeutung erlangte, ja.
Das ist in anderen Kulturen noch immer anders, auch richtig.
Und genau das führt heute dazu, dass „wir“ sehr wohl um „unsere kulturellen Werte“ – nämlich Freiheit und Selbstbestimmung! – kämpfen! Oder was glaubst Du, was das ganze Geschwätz vom „culture clash“ und vom „Kampf gegen den Terror“ etc. soll?
Natürlich stecken da auch eine Menge ökonomischer Interessen dahinter, aber die große Angst (um die eigenen Pfründe), die von rechtspopulistischer Phrasendrescherei, wie sie leider auch in diesem Thread schon laut wurde, ausgedrückt wird, schürt genau diese seltsame und überaus fragwürdige Besinnung auf ein ominöses „Wir“ (das leider nicht in einem überindividuell und kollektiv gesonnenen Sinne die Menschheit, sondern eine sehr abgegrenzte Gruppe meint), die gerade „unsere“ (eigentlich schwer erkämpften) Werte – eben Freiheit und Selbstbestimmung – inzwischen von innen her gefährdet, während sie sie sich gleichzeitig ganz scheinheilig noch auf die Fahnen schreibt!
Abgesehen von all dem: recht amüsant finde ich Dein Bedauern, dass „wir“ nicht „für unsere Kultur kämpfen“.
Die Fähigkeit zum Kampf zeigt sich auch im Kleinen, in den täglichen Meinungsverschiedenheiten und Auseinandersetzungen.
"Kämpfen" bedeutet, auch mal einen Angriff, sogar eine Verletzung souverän einstecken zu können, "kämpfen" bedeutet, die Stärke zu haben, auch sich selbst und seine Schwächen schonungslos zu erkennen und damit zu arbeiten. Usw... Ich empfehle da zum Beispiel gern eine Beschäftigung mit dem Hagakure der Samurai...
Es gibt übrigens einen Punkt in dem ich denjenigen, die hier so gern rechts-konservative und sarrazineske Phrasen dreschen, Recht gebe:
Ein wirklich großes Problem unserer geistig-intellektuellen Gegenwartskultur ist die allgemeine und umfassende Ablehnung von Verhaltensweisen und Eigenschaften, die mit Kampfgeist und auch Kampflust, mit Aggression und Durchsetzungskraft zu tun haben (die dafür in anderen Bereichen der Kultur ihre Ventile finden).
Leider wird diese Ablehnung zumeist missverstanden als eine Ablehnung von „Männlichkeit“, weil Männer aufgrund einer jahrhundertelangen Zuordnung dieser Eigenschaften zum Mann-sein damit identifiziert werden bzw. sich selbst damit identifizieren oder identifizieren zu müssen glauben.
Damit wären wir zurück bei der Frage nach Geschlecht oder gender, zu der gerade von dieser Seite auch noch sehr viel zu sagen wäre, aber dafür hab’ ich jetzt keine Zeit mehr.
Schönen Abend noch!