Realsadisten und Scheinsadisten
Es mag sich zunächst einmal lohnen, sich klar zu machen, dass die Begriffe "Dominanz" und "Sadismus" mit sehr unterschiedlichen gesellschaftlichen Bewertungen belegt sind. Posaune ich in die Welt hinaus, dass ich dominant sei, ernte ich ein müdes Lächeln der Ungläubigkeit, denn ein echter Dominanter hätte es nicht nötig, so etwas von sich zu behaupten. Sagte ich dagegen, ich sei Sadist, sehe ich das Entsetzen in den Augen meiner Gegenüber aufblitzen und nach der Telefonnummer des nächstgelegenen psychiatrischen Landeskrankenhauses kramen. Will ich mich also nicht ständig verteidigen müssen, ist es einfacher, mich mal hinter dem Begriff "Dom" zu verstecken. Dazu kommt noch der weitere Aspekt, dass Dominanz zunächst nicht mit dem Bereich der sexuelle Lust in Verbindung gebracht wird, Sadismus dagegen sehr wohl (und das liegt an den Romanen des Namensgebers – des Marquis de Sade; darauf wurde a.a.O. bereits hingewiesen).
Lust dabei zu empfinden, Herrschaft über den Liebespartner auszuüben (eine Art Rollenspiel) ist natürlich etwas anderes, als Lust dabei zu empfinden, den Liebespartner zu quälen. "The missing link" besteht in dem Umstand, dass ich, um jemanden zu quälen, zuerst die Herrschaft über ihn erlangen muss. Dominanz gibt es also ohne Sadismus, aber Sadismus nicht ohne Dominanz.
So einfach geht es aber bei uns auch wieder nicht, denn WIR – sind ja konsensuell! Wenn meine Geliebte Bock auf Lustschmerzen hat, darf ich Sadist sein, ohne zuerst dominant sein zu müssen, denn
sie will es ja! Dasselbe gilt natürlich auch für den Fall, dass sie Lust daran hat, so zu tun, als ob sie sich mir unterwerfe, ich also Herrschaft über sie ausüben darf.
Mit solchen Überlegungen wird mir klar, dass die Begriffswelt Dominanz und Sadismus aus anderen gesellschaftlichen oder pathologischen Zusammenhängen genommen und auf unsere SSC-Sexspiele übertragen wurde – weil es so ähnlich aussieht wie im wirklichen Leben, zu Zeiten der Herren und Fürsten und Inquisitionen und Sklavengaleeren.
Alre hat in ihrem Eingangsposting zwei Fragen der unbeantwortbaren Art gestellt: "Ist"-Fragen von Allgemeinbegriffen. Die klinisch-pathologische Definition von Sadismus möchte sie nicht weiter diskutieren (wir sind hier auch nicht in einem Medizinforum), sondern sie interessiert sich für die Begriffe im BDSM-Kontext. Im Fortgang macht sie für mich ihre Frageintention etwas unklar, denn da redet sie von ihrer "Wut" und zitiert ein paar Aussagen aus diesem Forum. Die Schlussfrage, die sie stellt, ist nicht die nach dem Wesen von BDSM-Sadismus, sondern die, ob einige Doms nicht ihre sadistischen Züge verleugnen. "Werden uneingestandene Lüste verdrängt ...?"
Nun, abgesehen davon, dass die uneingestandenen Lüste bereits verdrängt sind, sonst wären sie eingestanden, würde es mir sehr einleuchten, bei der besonderen Spezies der Doms genauso viele verdrängte Lüste zu finden, wie bei der allgemeinen Spezies der Liebespartner. Und sadistische Lüste taugen ganz hervorragend für Verdrängungsmechanismen, denn angesichts gesellschaftlicher Meinung, historischer Erfahrung und klinischer Definition braucht es eine Menge innerer Klarheit, sich als Sadisten bezeichnen zu können, ohne sich gleichzeitig als Psychopath, Krimineller oder einfach als A*loch zu fühlen.
Ich beleuchte 'mal Alres Zitatesammlung:
"• wenn du fragst, was törnt euch an männer, im bereich sadismus...... GAR NICHTS... es törnt ab.... hat IMHO nichts mit BDSM zu tun.... "
Hier lese ich heraus, dass der Schreiber die klinische Definition von Sadismus vor Augen hat und sich davon distanziert. Geschenkt. Mit ein Grund, warum das weite Feld unserer Lüste auf vier Buchstaben ("BDSM") reduziert wurde, dann muss man nicht immer sich vor Augen führen, dass der dritte Buchstabe zur Hälfte für "Sadismus" steht. So ähnlich, wie man meist bei "CDU" auch nicht an das "Christlich" denken will.
"• Tops, die die eigene Lust über die der Partnerin, bzw. über deren Unbehagen stellen, sind für micht echte Sadisten, und daß hat nichts mehr mit einvernehmlichen Sex zu tun. "
Wieder begegnen wir hier der klinischen Definition von "Sadismus", vom Schreiber differenziert als der "echte" (der krankhafte) bezeichnet. Für ihn bliebe dann wohl noch, innerhalb von SSC einen lustvollen unechten Sadismus zu praktizieren. Und SSC wollen wir ja alle sein, gell?
"• hiebe dienen ausschließlich zur bestrafung und nicht zur sadistischen befriedigung. durch solche bemerkungen bekommt die sm szene einen schlechten ruf.......... leider!!!!!!!!!!"
Dieses Argument ist ein ganz anderes: der Schreiber sorgt sich um das Ansehen von uns BDSMlern in der Gesellschaft. Ich lese ein wenig Ironie dabei – man beachte das "leider" und die danach stecken gebliebene Ausrufungszeichentaste seines Rechners. Es wäre ja doch so schön, wenn wir zu unserer "sadistischen Befriedigung" stehen dürften! sagt er. Köstlich zu lesen, wie er dann ein Eigentor schiesst, indem er glaubt, dass die Gesellschaft das Zufügen von körperlicher Gewalt zu Zwecken der Bestrafung milder ansehen würde als zu Zwecken sadistischer Befriedigung.....
"• Damit beide an der sache Spaß haben muß für die Bestrafung ein Fehlverhalten vorliegen.wenn man sich Gründe fürs Schlagen sich aus den Fingern saugt ,macht es bald keinen Spaß mehr "
Hier spricht einer, der 'mal gelernt hat (in welchem Forum dieses weltweiten Webs?), dass man BDSMler ist, wenn man Fehlverhalten bestraft. Gründe hierfür kann ich mir denken: es mildert das Schuldbewusstsein, aus reiner sadistischer Lust zu quälen, wenn man sich einen Rechtfertigungsgrund hinzuziehen kann. Ich hatte einmal eine Bekanntschaft mit einer Frau, die mir fantasievoll schilderte, wie sie sich tagsüber während der Abwesenheit ihres Doms einige Fehlverhaltensweisen ausdenken und ausführen würde, damit er abends nach seiner Rückkehr Grund hätte, sie zu bestrafen. Hier diagnostizierte ich spiegelbildlich dasselbe: sie brauchte einen Rechtfertigungsgrund für ihre pure Lust am Schmerz. Ich will das Ernst nehmen und
nicht über die naive Kindlichkeit eines solchen Selbstbetrugs lächeln.
Für die Antwort auf die Frage: "Was ist Sadismus?" lässt sich also aus diesen Zitaten nichts entnehmen. Deshalb, Alre, würde ich gerne deinen Topic-Titel umformulieren zur Frage: "Darf man Sadist sein?"
Die Abhebung der sadistischen BDSM-Lust von der medizinischen Definition ist ja eine Lüge, denn ich
habe Lust, einem anderen Menschen Schmerzen zuzufügen. Was z.B. mich von der medizinischen Definition unterscheidet, ist das "nur". Ich habe auch noch einige andere Lüste, aber auch diese Spitzfindigkeit hilft nicht weiter, denn ich könnte die anderen Lüste genauso gut auch nicht haben. Bleibt das "SSC" als Abhebungsgrund vor der Einweisung in die Psychiatrie. Auch das ist eine Lüge, denn meine
Lust habe ich unabhängig davon, ob meine Geliebte lustschmerzgeil ist oder nicht. Ich lebe sie ausserhalb von SSC nur nicht aus, weil das mit meinem Selbstverständnis unvereinbar wäre.
Ich stelle mir eine letzte Frage, um meine Haut zu retten: Ist meine sadistische Lust nicht untrennbar mit der masochistischen Lust meiner Geliebten verbunden? D.h. hätte ich
wirklich eine sexuelle Befriedigung, wenn mir, nach einer Zeitreise ins 16 Jahrhundert, der inquisitorische Folterknecht das Gluteisen in die Hand drücken würde, um die wimmernde Wehrlose damit zum Geständnis ihrer Hexerei zu pressen?
Alre, hier könnte ich nur sagen, dass mein Ethos, mein Gerechtigkeitsempfinden, meine Abscheu vor diktatorischen Regimen, mein Mitleid mit wehrlosen Opfern eine so starke Ablehnungsreaktion in mir hervorrufen würde, dass ich gar nicht mehr dazu käme, zu prüfen, ob ich nicht
auch sexuelle Lust bei der Vorstellung empfände.
Subkubus Geschichte vom "echten" Sadisten (!) – sie nennt ihn "Realsadist" – hat mich sehr nachdenklich gemacht. Das Schlüsselwort war für mich "Rausch". Vielleicht ist er im Allgemeinen ein lieber Kerl, aber im Rausch der Ekstase fielen seine Zensurmechanismen, die uns für gewöhnlich als gesellschaftliche Wesen tauglich machen. Und er bekam danach Angst vor sich selbst.
Ich glaube, ich sah einmal in die Tiefe dieses Rausches. Es war an einem Punkt, an dem meine Geliebte eine Sekunde später das Stopwort gebraucht hätte. Sie berichtete mir später, als wir die Session ausführlich durchsprachen, von dem wilden wirren Blick in meinen Augen. Sie hatte gesehen, dass ich auf eine andere Ebene – die der rauschhaften Ekstase – gelangt war. Mich hat das nicht unbedingt Angst, aber doch sehr nachdenklich gemacht.
Die Geschichte ist voll von unheilvollen Verquickungen von Macht, Gewalt, Intoleranz und von Sadismus geprägten erotischen Exzessen. Allein die Gründung der Stadt Rom, Zentrum eines späteren Weltreiches, gelang der Legende nach nur durch den Raub und der anschliessenden Vergewaltigung von einigen Frauen. Weil diese Zusammenhänge von Erotik, Exzess und Gewalt noch längst nicht hinreichend durchdacht, sondern, Alre, auf kultureller Ebene nur verdrängt sind, grenzt es heute an gesellschaftlichen Selbstmord, sich als "Sadist" zu bezeichnen.
Da sind wir doch lieber ein paar völlig friedfertige Kuscheldoms!
stephensson
art_of_pain