Was für ein schräges und genau deswegen extrem tolles Thema.
Vorsicht, Beitrag wird lang! Bin grade in Schreiblaune ...
Ist schon komisch: Sonst bekomme ich immer die Frage gestellt (bzw. stellen die Leute selbst jedem), was denn so toll dran ist, dieses Leben
mit Kindern, wirft man damit doch sein eigenes Leben weg, hat auf einmal keine Eigenzeit mehr sondern ist hoffnungslos abhängig von den Launen des Kindes, kann nie wieder mehr spontan sein, etc. pp.
Da einfach mal die umgekehrte Frage zu lesen "öh, wie kriegt ihr das eigentlich hin, dieses Leben ohne Kinder, das kann ich mir echt nicht vorstellen" klingt fast schon wie die Welt auf den Kopf gestellt
Aber ich finde die Frage klasse!
Und kann mich sowohl dem Statement von Ohja von Seite 2 anschließen als auch jenem von Evils_Bitch, ein paar Beiträge darunter.
Nun gut, zum Thema:
Meine Schwester hat Kinder. Drei an der Zahl.
Obwohl sie sehr weit weg wohnt (am anderen Ende der Welt) haben wir sehr viel Kontakt miteinander. Als ihr Bruder bin ich "live dabei" bei ihrer Kindererziehung - im Guten wie im Schlechten.
Durch sie weiß ich -nein, ich ahne es nicht nur, ich
weiß es einfach- was für eine großartige Freude Kinder sind!
Mit ihnen wird das Leben niemals langweilig. Jeder Tag hat einen Sinn, weil es keinen Tag gibt, an dem nicht ein Mensch den du liebst dich braucht und es auch einfordert.
Du hast nie wieder Langeweile und brauchst dir nie wieder Gedanken darüber zu machen, ob der Tag nun ein guter oder ein schlechter für dich selbst war. Denn: Dich selbst gibt es nicht mehr. Es gibt die Familie, den Ehemann/die Ehefrau, und eben die Kinder.
Kein Tag vergeht ohne etwas Neues: Ohne neue Erfahrungen, ohne neue Erlebnisse. Die Kinder werden schon dafür sorgen, dass es neue geben wird.
Man kann stolz sein auf jemanden. Stolz sein auf sich selbst, weil Erziehungsarbeit das ist, worauf man am meisten stolz sein kann - zu Recht. Erst recht, wenn sie gelingt.
Und, und, und ...
Wenn meine Schwester und ich täglich telefonieren würden, ich wäre mir sicher, sie hätte jeden Tag etwas Neues zu erzählen.
Das ist ein Leben wie es kurzweiliger nicht sein kann! Die Kinder scheinen in einer Riesengeschwindigkeit aufzuwachsen, man selbst weiß gar nicht mehr wie es damals war, so ganz ohne, wie man die Zeit überhaupt rumgekriegt hat, nur mit sich selbst und so.
Nun ja, genau deswegen existiert dieses Thema ja: Wie es eigentlich so ganz ohne ist.
Nun, neben meiner Schwester gibt's dann ja auch noch mich. Einen ohne Kinder. Ja, nicht mal mit ner Partnerin. Sowas. Ist voll was langweilig, oder?
Nun, ich kann dazu nur sagen: Stimmt!
Allerdings sehe und weiß ich auch ganz genau was
mein Leben ausmacht. Und für einiges davon, hört hört, beneidet mich meine Schwester nämlich ebenfalls
Denn mein Leben bedeutet, spontan zu sein, Verrücktheiten machen zu können wenn sie mir in den Sinn kommen, weil ich es
kann
Spontan zu Flohmärkten aufbrechen? Kein Problem!
In Cafés gehen, dort Briefe schreiben, die Menschen beobachten, vielleicht mit einigen ins Gespräch kommen und gar mitten in einen Flirt geraten? Kein Ding!
Gemeinsam mit Freunden etwas kochen, nur für uns, einfach so? Passt, auf die Gaumen von Kindern muss man nicht achten.
Mittelaltermarkt, Konzert, Kino, an der Alster kuschelnd unterwegs sein? (Hey, nur weil ich Single bin heißt das noch lange nicht, dass Flirten verboten ist
) Ohne Aufwand jetzt und sofort möglich.
Das sind die kleinen Freiheiten ohne Kinder.
Es gibt aber auch noch eine große. Und die ist es, die ein kinderloses Leben auch auf Dauer möglich und attraktiv machen kann. (
Kann, nicht muss)
Ist eigentlich irgendwer mal auf die Idee gekommen, warum Hape Kerkeling seinen Jakobsweg, einfach mal so, von heute auf morgen, machen konnte?
Na klar - weil er keine Kinder hat!
Man kann sich nämlich sehr wohl selbst verwirklichen ohne Kinder, Lebensaufgaben für sich finden und erfüllen, ohne jene der Verantwortung für neues Leben.
Viele Erzieher (manchmal denke ich: Überdurchschnittlich viele ...) haben keine Kinder. Wieso? Nun, vielleicht weil ihnen der Schubs der Kiddies ins Leben in den Kitas bereits schon genug gibt?
Dasselbe gilt für Altenpfleger, Lehrer, etc. pp. ... wer mit Menschen zu tun hat, für den ist es oft genug Berufung statt Beruf und damit eine Lebensaufgabe, die Kinder mehr als nur wettmachen kann.
An der Vergütung kann es ja wohl eher nicht liegen
Eine Freundin von mir hat einen Seglerschein gemacht. Mit 40. Einfach so. Weil sie es kann.
Eine andere ist mit ihrem Freund und einem Esel (!) in Irland 6 Wochen lang unterwegs gewesen.
Wiederum eine andere engagiert sich derzeit aufopferungsvoll für die neue Occupy-Bewegung für mehr bürgerliche Freiheiten und weniger Bankeneinfluss.
Allen ist gemein, dass sie sich Lebensträume erfüllt haben und sich ständig neu erfinden.
Und das alles -ups- ganz ohne Kinder.
Darum antworte ich auf die Frage "wie geht ein Leben ohne Kinder?"
Es geht dann gut, wenn man bereit ist, sich selbst zu verwirklichen oder - noch besser - sich ständig selbst neu zu erfinden.
Und das ist dann auch gut so.