Gesellschaft mit beschränktem Einblick
Lieber TyrionL
Du schreibst:
Ich habe das Gefühl, "die Gesellschaft" wird pessimistischer gesehen, als es angemessen ist.
Darauf hin lieferte ich Dir Gegenbeispiele.
Dann schreibst Du:
Nun gut...diese Zitate erkenne auch ich als (implizierende oder direkt geäußerte) Intoleranz gegenüber BDSMlern an!
Meine optimistische Einschätzung, dass BDSM von "der Gesellschaft" grundsätzlich toleriert wird, besteht trotzdem weiterhin...zumal ich von dem Vergewaltigungsspielthread soweit die erste sowie die beiden letzten Seiten überflogen habe und dort keine Intoleranz gegenüber BDSM ausmachen konnte, lediglich begriffliche Streitigkeiten.
Ich habe Spaßes halber mal die Reste von Vorurteilen, die die Mods im Vergewaltigungs Thread übrig gelassen haben, zusammengetragen:
bitte... es darf sich niemand persönlich angegriffen fühlen... seid ihr noch ganz dicht?
also das ist ecgt nicht nachvollzehbar für uns.Der Gedanke ist nur pervers für uns.
ach gott, noch vor ein paar monaten hab ich gedacht "wie pervers ist man, wenn man sich schlagen lässt beim sex
Was da sonst noch an „Ihr seid pervers oder krank“ rumschwirrte ist mit dem Skalpell des Mods heraus geschnitten worden. Es spiegelt sich noch ein wenig in meinem Resümee dieses Threads:
Ich bin ziemlich enttäuscht über den Verlauf, den dieses Thema genommen hat. Wenn es schon in einer Comunity wie dem Joyclub, der doch eigentlich voll mit „non-vanilla-thinker“s sein sollte unmöglich ist, über solche Wünsche und Fantasien zu reden, ohne mit Dreck beworfen zu werden, wie sieht es dann da draußen zwischen Lieschen Müller und Karl Schmidt aus?
Ich möchte von Deutschlands Dächern brüllen, dass es mir nun endlich gelungen ist, mit den Bedürfnissen meines Körpers und meinen Fantasien in Einklang zu leben, aber ich fürchte, die nächsten 10 Jahre gehe ich dazu besser in Deutschlands Keller.
Du schreibst:
Wir reden über Sexualität. Wie gesagt, die Wertvorstellungen "der Gesellschaft" lassen uns, was die Sexualität betrifft, heutzutage genügend Freiheit, in unseren eigenen vier Wänden das zu tun, was uns Spaß macht.
Ich widerspreche Dir. Ein Bekannter vom BDSM Stammtisch berichtete, dass er sich im Moment Test weise mit potentiellen Tanzpartnerinnen trifft, da er gerne wieder im Club tanzen möchte, wozu er eine feste Tanzpartnerin benötigt, die ähnlich gut tanzen kann wie er. Mit einer dieser Damen, die er in die engere Wahl genommen hatte, weil sowohl tänzerisch als auch menschlich vieles stimmte, fuhr er auf dem Rückweg vom Tanzabend zufällig an einer BDSM Kneipe vorbei und sagte so was wie, „schau mal, da war ich schon öfter drin“ mehr nicht. Weder hat er sie sexuell belästigt, noch mit Details aus seinem Liebesleben gelangweilt.
Am nächsten Tag bekam er eine Mail von ihr, in der sie ihm mitteilte, dass sie mit einem Menschen wie ihm nicht tanzen könne, dazu seien ihre Wertvorstellungen zu konservativ.
Die gesellschatliche Norm der Gewaltfreiheit richtet sich - so verstehe ich das - gegen solche Gewalt, die eingesetzt wird, um den eigenen Willen gegen den Willen anderer durchzusetzen, um eigene Ziele gegen die begründeten Rechte anderer zu erreichen.
Die Gesellschaft als Masse ist aber leider nicht in Lage, das eine vom anderen zu unterscheiden. Die Berichterstattung in den Medien über uns „Perverse“ tut ihr übriges.
Die gespielten Arten (und auch ein groß angelegtes, über längere Zeit aufrechterhaltenes Spiel bleibt ein Spiel, das von jedem Partner jederzeit grundsätzlich abgebrochen werden könnte)
Auch hier möchte ich Dir widersprechen. Ich kann den Umstand, dass ich masochistisch und devot veranlagt bin nicht abbrechen. Abbrechen kann ich lediglich die aus dem Umstand endlich einen sadistisch/ dominant veranlagten Partner gefunden zu haben resultierenden Physischen Handlungen. Ich bin wie ich bin und wenn Angehörige der Gesellschaft mir nahe legen, dass doch mal therapieren zu lassen, weil sie nicht verstehen können, dass ich es vorziehe meinen Veranlagungen gemäß zu leben ist das ein Problem für mich.
"Die Intoleranten" zeichnen sich eben durch besondere Lautstärke aus, ich meine aber, dass man sich nicht dazu verleiten lassen braucht, aus ihnen deswegen "die Gesellschaft" zu machen. Was Sexualität betrifft, halte ich gerade die Intoleranten in unserem heutigen Deutschland für eine Minderheit. Ausnahmen, auch die, die hier im JC mal besonders laut schreien, bestätigen aus meiner Sicht die Regel (der Toleranz).
Worum geht es Dir? Möchtest Du das Image unserer Gesellschaft gewahrt wissen als tolerant und aufgeschlossen?
Bei der Überlegung, ob ich mich durch das öffentliche Tragen von BDSM Symbolen oute oder nicht hilft es mir nicht weiter, zu hoffen, dass die Gesellschaft an sich tolerant sei.
Selbst wenn Die Gesellschaft als ganzes indifferent ist, was wenn mein Vorgesetzter, meine Mutter oder mein potenzieller Tanzpartner zu der intoleranten Minderheit gehören?
Das öffentliche, aktive, initiative Anzeigen der eigenen sexuellen Vorlieben wird meistens gesellschaftlich sanktioniert.
Dies betrifft alle Arten sexueller Vorlieben in mehr oder minder gleich hohem oder niedrigem Maß, BDSM nimmt diesbezüglich keine positive oder negative Sonderstellung ein.
TyrionL, für Dich mag BDSM nur Sex sein, für mich ist es mehr. Gestern beim Stammtisch: Ich hatte mich über etwas geärgert und begann mich mit ein zwei andern zu auseinander zu setzen. Mein Mann ruhig, gelassen sagt zu mir: „jetzt reicht es“ Ich sage zu den Andern: “Ok, ich muss jetzt still sein“ und der Disput war beendet. Beim BDSM Stammtisch kein Problem. Niemand käme auf die Idee meinen Mann jetzt für Macho oder mich für ein Mäuschen zu halte. Sie wussten, was da vor sich ging.
Stell Dir die gleiche Situation bei einem Geschäftsessen im Kollegenkreis vor. Könnten die, deren Vorgesetzte ich bin mich danach noch respektieren?
Stell Dir die Situation am Kaffeetisch bei meinen Eltern vor. Meine Mutter wäre entsetzt, würde sich unendliche Sorgen machen, dass ich untergebuttert würde von meinem Mann. Vielleicht würde sie mich auch fragen: „sag Kind, schlägt er Dich auch“…Soll ich da „ja“ sagen? Meiner Mutter kann ich das Ganze vielleicht irgendwann mal erklären, aber meiner ganzen Umwelt? Nein, will ich auch nicht müssen, zumal ich sicher bin, dass einige es nicht verstehen würden. Der engere Freundeskreis weiß Bescheid, das reicht.
Wenn hier lapidar gesagt wird: „die Gesellschaft“ ist dass vielleicht zu grob über einen Kamm geschert, aber wenn ich aufdrösele bleibt meine Quintessenz:
In dem Moment, in dem BDSMler verstärkt an die Öffentlichkeit gingen, würde sich dieser Freiraum [des nicht Wissens] erst mal schließen, ohne schon die Freiheit zu gewähren, die eine echte Akzeptanz mit sich brächte.
In der Konsequenz heißt das, dass mein Mann und ich in der Öffentlichkeit manchmal Rollen spielen, überspitzt: ich die Xanthippe, er der arme, unterm Pantoffel stehende, stille Mann. Das kann auch ganz unterhaltsam sein.
Alre