Ich kann Acivasha gut verstehen, auch wenn ich die Heftigkeit ihrer jetzigen Reaktion nicht wirklich nachvollziehen kann (aber da ist eben jeder Mensch anders).
Und mir imponiert, dass sie die richtigen Schlüsse daraus zieht: dass nämlich das eigentliche Problem jetzt auch bei ihr liegt.
Ich hab mal vor langer Zeit auch versucht, in einer strikt monogamen Beziehung zu leben (weil meine damalige Partnerin unbedingt auf sexueller Treue bestand), und hatte auch nicht das geringste Problem damit - bis zu dem Tag, an dem zufällig rauskam, dass sie mich mit jemandem betrogen hatte (auch das war schon länger her), den ich absolut nicht ausstehen konnte. Und ausgerechnet sie, die unbedingte Treue verlangt hatte!
Es war nicht die Tatsache, dass sie fremdgegangen war (ich hab noch niemals darauf bestanden, das alleinige Verfügungsrecht über den Körper einer Partnerin zu haben) - damit wäre ich klargekommen. Aber es war der Vertrauensbruch, die Heimlichkeit, das Hintergangen- und Belogenwerden, was ich als Betrug empfunden habe und was mir verdammt weh getan hat.
Und es kann wirklich sehr weh tun, wenn man weiß, dass man ausgerechnet von dem Menschen belogen und hintergangen wurde, dem man am meisten vertraut. Und Verheimlichen ist nichts anders als Lügen.
Auch sie hat damals gemeint, sie habe mich eben schonen wollen, hatte gemeint, es täte mir weniger weh, wenn sie es mir nicht sagen würde - aber es war genau andersrum.
Allerdings konnte ich es nach einigen Gesprächen dann doch verzeihen und innerlich loslassen, aber wirkliches Vertrauen hab ich zu dieser Partnerin damals nicht so schnell wieder finden können. Hätte sie mir gleich offen und ehrlich gesagt, was Sache ist, hätte es mir vielleicht auch weh getan, mich vielleicht sogar verletzt, aber damit hätte ich wesentlich besser umgehen können.
Ich will mal ein etwas harmloseres, aber trotzdem eindringliches und trauriges Beispiel aus der Praxis bringen: Vor mir saß vor einiger Zeit ein Mann, der weinend berichtete, er habe erfahren, dass seine Frau in den zwanzig Jahren ihrer Ehe keinen einzigen Orgasmus gehabt habe. Und jetzt erst habe sie ihm das in einem heftigen Streit an den Kopf geknallt. Dass sie niemals einen Orgasmus hatte, sei schlimm genug, aber aber dass sie ihn all die Jahre belogen hatte, das wäre für ihn eine Katastrophe.
Ihm wäre viel lieber gewesen, sie hätte ihm die Wahrheit gesagt, auch wenn's ihm natürlich weg getan hätte. Aber dann hätte er die Chance gehabt, dazu zu lernen und sich zu verbessern. Aber all die Jahre habe sie ihm was vorgespielt und immer die Unwahrheit gesagt - und das zerstöre sein Vertrauen zu ihr von Grund auf. Er könne ihr nun niemals wieder auch nur ein Wort glauben.
(Der Antaghar)