Vielerlei Maß
Acht Seiten voller Beiträge, die zwar grob alle unter dieselbe Überschrift passen, aber doch sehr unterschiedliche Ebenen behandeln - deshalb vorweg:
Ja, ich denke, es wäre gut, wenn jede Form der Vergewaltigung zur Anzeige käme, wenn den Opfern die komplette Bandbreite an Hilfe und Unterstützung zukäme und es ist sicher unstrittig, dass Vergewaltigungen, in welcher Form auch immer, zu den schlimmsten Erlebnissen von allen zu zählen sind. Meiner Ansicht nach rechtfertigt nichts einen gewalttätigen Übergriff auf einen anderen Menschen und ich halte auch überhaupt nichts von Deutungen in die Richtung, wieviel Eigenanteil ein Opfer zum Hergang beigesteuert haben könnte. Dass die Opfer selbst sich fragen, welchen Eigenanteil sie an einem solchen Erlebnis haben, liegt in der Natur der Sache, da sehe ich den ersten Ansatzpunkt der Hilfe - ein Opfer ist und bleibt Opfer, völlig egal, was vor der Tat geschah.
Der Aufschrei nach Genugtuung, Bestrafung und Verachtung der Täter ist selbstverständlich ebenso nachvollziehbar. Hier von 'Hilfe für die Täter' zu sprechen ist bereits der erste Gedankenfehler. Trotz aller Emotionen ist es wenig hilfreich, den Sachverhalt zu verdrängen.
Was genau soll mit den Tätern denn passieren? Vom emotionalen Standpunkt her vertrete ich die Ansicht, dass niemand, der das Leben eines anderen Menschen auf diese Art vernichtet - denn wirkliche Heilung gibt es für die Opfer nun mal nicht - ein Recht auf Schonung hat. Je wehr- und hilfloser das Opfer, um so verachtungswürdiger die Tat und der Mensch dahinter.
Ich selbst arbeite in der Psychiatrie, Schwerpunkt Sucht und vermehrt im Bereich Forensik. Dadurch habe ich seit einiger Zeit mit Menschen zu tun, die unter Alkoholeinfluss straffällig geworden sind und verurteilt wurden, befristet oder unbefristet in psychiatrischen Einrichtungen zu leben.
Hier im Thread wurde das Thema 'miese Kindheit' angesprochen und zwar auf eine Art, die impliziert, dass jemand mit traumatischen Kindheitserfahrungen an irgendeinem Punkt im Leben aktiv darüber entscheidet, ob er selbst nun lieber zu bemitleidenswerten Gutmenschen oder den bösen Gewalttätern mutieren möchte. Nicht, dass ich hier für Mitleid und Verständnis für solche Leute aufrufen möchte - aber niemand entscheidet sich auf intellektueller Ebene dafür, psychisch ver- oder gestört oder fehlentwickelt bzw. 'krank' zu sein.
Menschen, die Befriedung und Lust erfahren und erleben , in dem sie andere gegen ihren Willen unterdrücken und ihnen - wie auch immer - physische und psychische Verletzungen zufügen, sind selbst psychisch gestört. Und davon gibt es leider nun mal eine ganze Menge.
Die eindeutige Klassifizierung in Einzelfalltäter und Wiederholungstäter ist nicht immer so einfach, wie hier erwähnt - wäre hilfreich, wenn das ginge. Aber auch dafür wiederum ist der Mensch nicht weit genug in der Erforschung der psychischen Zusammenhänge.
Natürlich gibt es unzählige Beispiele über Fehlentscheidungen von psychiatrischen Gutachtern darüber, inwiefern ein Vergewaltiger 'geheilt' ist und ich halte es für vermessen, in diesem Fall überhaupt darüber zu urteilen, ob jemand in dieser Hinsicht heilbar ist. Das wage ich nämlich generell zu bezweifeln und die Vielzahl von Wiederholungstaten, Rückfällen und allen dramatischen Vorfällen, die damit einhergehen, sprechen eine deutliche Sprache.
Es wäre tatsächlich das Einfachste, alle Gewalttäter auszulöschen, wegzusperren .. mein persönlicher Gedankenansatz ist nach wie vor die Möglichkeit, eindeutige Wiederholungstäter 'unschädlich' zu machen, in dem man unkontrollierbare Triebhaftigkeit mit Psychopharmaka notfalls zwangsbehandelt.
Gegen 'gerechte' Strafen dieser Art sprechen einerseits die realistischen Gegebenheiten, denn wo und wie sollten alle diese Menschen denn zusammengepfercht aufbewahrt sein - und nicht zuletzt glücklicherweise auch die Menschenrechte .. zwei Gedankengänge weiter sind wir bei Folter und Todesstrafe angelangt. Jedem sollte der Gedanke, über solche Sachverhalte richtenden Menschen die Macht der Willkür in die Hände zu legen, mindestens genauso viel Unbehagen verursachen wie die Gewalttaten an sich.
Ich denke, an dieser Stelle sind wir Menschen einfach überfordert, und zwar sowohl die Ankläger als auch die Richter. Viele der psychischen Fehlbildungen sind gesellschaftlich gebastelt, auch das ist ein Thema, über das man seitenweise referieren kann, woher kommen solche Fehlbildungen, wo liegen die Ursachen, wo beginnt psychische Erkrankung oder Fehlbildung, was sind 'normale' Perversionen, wo beginnt Gewalt, was war zuerst da - das Huhn oder das Ei ..
Und, mal abgesehen von eindeutigen gewalttätigen Übergriffen, wenn ich mancherlei Beschreibungen sexueller Praktiken allein hier im Club betrachte, die dem einen und der anderen gefallen, die für den nächsten schon verabscheuungswürdig sind - was der eine genießt kann für den nächsten durchaus Folter sein, andere wiederum möchten gern 'gefoltert' werden. In diesem Thread äußern sich die Opfer von Vergewaltigern, ein paar Seiten weiter plaudern andere ungezwungen über Vergewaltigungsfantasien. Je fantasievoller wir werden, je mehr der/die Einzelne seinen triebhaften Anteilen Raum zur Entwicklung gibt, um so dünner wird das Eis, auf dem wir uns bewegen.
Das alles ändert nichts an der Tragweite der Verletzung einzelner Opfer -
nur kommt man hier mit Schwarzweißmalerei sicherlich nicht weiter.