Ja, ich wurde schon tief verletzt. So, dass ich dachte, ich überlebe es nicht. Und ja, ich habe auch schon selber verletzt, aus Motiven, die bei mir lagen, und die mich "schützen" sollten.
Ich denke, es ist eine der schwersten Aufgaben im Leben, zu erkennen, dass man immer wieder verletzt werden kann und es auch selber tut - und sich trotzdem immer wieder auf das Risiko einzulassen. In dem Moment, in dem man sich einem Menschen öffnet, senkt man die Waffen ... und erlaubt ihm auch, mir im schlechtesten Fall sehr weh zu tun. Die Frage ist eben, WIE man damit umgeht. Hoffe ich, dass alles gut geht - oder lasse ich die Nähe bewusst zu, weil ich weiß, ich bin in der Lage, mit den vielleicht unguten Folgen zu leben?
Die Sache mit der Hoffnung geht leider oft schief, ich werde enttäuscht, ziehe mich zurück, baue Mauern um mich, hadere mit dem Schicksal und tue mir unendlich leid. Mit der Zeit wird die Mauer immer höher und ich immer "unerreichbarer". Und verletze dadurch auch immer wieder andere - sie kennen meine Geschichte nicht, können nicht nachvollziehen, was mich zu diesen oder jenen Handlungen bewegt oder nicht bewegt ... Missverständnisse sind vorprogrammiert, weitere Abgrenzung, weitere Mauern - weitere Verletzungen. Ein unendlicher Kreislauf.
Menschen sind nicht so, wie ich sie gerne hätte. Und sie tun Dinge, die mir weh tun. Warum tun sie das? Weil ich hoffe, von anderen das zu bekommen, was mir fehlt. Aufmerksamkeit z.B., Liebe, eine schöne, zufriedene Zeit ... das Gefühl, gebraucht zu werden vielleicht. Ich wünsche mir einfach, dass jemand anderer mein Leben "komplettiert" - weil ich glaube, dass ich das selber nicht kann. Aber ich irre mich. Doch, ich kann das - und nur ich.
Wenn ich erwarte, dass ein anderer mein Leben schön und bunt und zufrieden macht, werde ich immer wieder enttäuscht und verletzt. Weil das eine zu hohe Verantwortung für jemand anderen ist ... immer zu wissen, was ich gerade brauche, damit es mir gut geht - wie soll jemand das von außen erkennen können? Aber ich erwarte es eben einfach, und das geht immer wieder schief. Wieso macht er das jetzt? Er weiß doch, dass mir das nicht gefällt ... er weiß doch, dass mich das stört ... er weiß doch, dass ich das hasse, wenn er ... er läßt mich immer nur "auflaufen", das bedeutet doch, er liebt mich nicht ...
Andersherum geht es genauso. Vielleicht erwartet jemand anderer von mir, seine "fehlenden" Teile zu ergänzen, wie ein Puzzle - und ist enttäuscht, wenn das nicht funktioniert. Ich soll so sein, wie ein anderer es erwartet, er versucht, mich nach seinen Bedürfnissen zu formen oder zu verändern - und wenn das nicht gelingt, liebe ich ihn nicht. Wie oft hatte ich unter Wirkungen zu leiden, für die ich nicht die Ursache war ...
Ich kann nicht darüber entscheiden, ob ich verletzt werde. Das geschieht leider. Aber ich kann entscheiden, wie ich damit umgehe. Ob ich für mich aus dieser Situation etwas "heraushole" - etwas lerne, über mich, meine Reaktionen, meine Bedürfnisse und auch meine Schwachstellen. Warum bin ich so empfindlich? Was fehlt mir, was mir der andere nun nicht geben konnte oder wollte? Oder was konnte ich in diesem Moment nicht geben oder zulassen? Warum bringt mich das jetzt so aus der Fassung?
Und auch: wo sind meine Grenzen? Was ist so heftig für mich, dass ich Konsequenzen daraus ziehen muss? Oder wo achte ich nicht auf mich, weil ich nicht aufgeben will, wie ein Spieler, der sich sagt, nun habe ich schon so viel investiert, ich KANN einfach nicht aufhören.
Vielleicht sind es genau die immer und immer wiederkehrenden Muster, die mich darauf aufmerksam machen, auf mich zu schauen. Legt die neue Verletzung nur eine alte frei, die wie eine alte Wunde noch im inneren schwärt und endlich freigelegt werden und heilen will?
Wenn ich versuche, so mit Verletzungen umzugehen, ist es mir auch möglich, immer wieder auf's neue auf Menschen zuzugehen und mich zu öffnen. Das heißt nicht, dass man nicht eine gewisse Vorsicht walten lässt. Man hat vielleicht einen Jägerzaun um sich - aber keine hohe Mauer mehr ... und das macht vieles transparenter, durchsichtiger und auch entspannter.
Natürlich gelingt mir das auch nicht immer so, wie ich es hier beschreibe. Es erfordert sehr viel Disziplin und Mut, so offensiv damit umzugehen. Aber ich übe - und ab und an gelingt es mir sogar.