Drei Punkte, die ersten beiden kurz, dann etwas länger:
1) Wie niveaulos und/oder frustriert muss man sein, dass man "Emanzen" immer noch sexistische oder herabwürdigende Adjektive verpassen muss?
2) Ein Literaturtip zur Frage der Emanzipation der Sexualität: "Hite-Report: Das sexuelle Erleben der Frau (1977)"
Ich habe den vor über 10 Jahren gelesen und abseits von soziologischer Reproduzierbarkeit ist er sehr aufschlussreich. Wenn man ihn an der heutigen Zeit spiegelt, dann hat man viele Antworten auf die Frage, was die Emanzipation der Frau mit der Sexualität der Frau zu tun hat.
3) Zur breiteren Ausgangsfrage:
Die Emanzipation der Menschen in der Sexualität fängt ja nicht mit den Frauen an. Es ist eher eine Wiedergewinnung als eine Emanzipation. Wiedergewonnen wurde eine entspanntere Haltung, wie wir sie zum Beispiel im Mittelalter fanden, als unbekleidete Menschen in der Öffentlichkeit kein Skandal waren.
Wir haben in Europa viel mehr eine große Verhüllung erlebt, deren maßgeblicher Treiber und Tugendwächter die Kirche war. Die Sexualität wurde mit der Sünde verbunden und auf die monogame, heterosexuelle, durch die Heirat sanktionierte, der Fortpflanzung dienende Tätigkeit reduziert.
Wenn ihr euch dieses Bild vor Augen haltet, ist die Emanzipation von der Kirche und der katholischen Sexualmoral doch eindeutig eine Geschichte der Befreiung. Ich kenne niemanden, der heute noch Sex auf den Akt der Fortpflanzung beschränken will.
Die sogenannte sexuelle Befreiung der 60er Jahre spielt sich demzufolge schon auf einem relativ hohen Niveau ab. "Sogenannt" nenne ich die Befreieung, weil es zwei große Einschränkungen gab:
A) Sie galt zuallererst für den Mann. Die Frauenbewegung entstand, weil die Feministinnen sich nicht damit abfinden wollten, dass ihre Unterdrückung nur ein "Nebenwiderspruch" des Kapitalismus sein sollte, der sich schon von selbst auflösen würde, wenn man erst mal die Gesellschaft revolutionär umgestaltet hätte.
B) Michel Foucault erhebt den vertretbaren Einwurf, dass die sexuelle Befreiung das Diktat: "Sei treu und monogam" durch einen anderen Imperativ: "sei promisk" ersetzt habe. Eva Illouz ergänzt, dass sich in der modernen Gesellschaft die "sexyness" immer mehr in den Vordergrund gedrängt habe und mittlerweile enorme Bedeutung erlangt habe, was neue Gewinner und Verlierer im Spiel der Liebe erzeugt hat, aber keine Freiheit per se brachte.
Zwar wirken im Spiel der Partnersuche heute nicht mehr Einkommen, Reichtum und Herkunft so regulierend wie früher. Aber der Wettbewerb ist nicht freier geworden, es spielen nur andere Faktoren eine größere Rolle (Jugend/Attraktivität).
Kurz:
Es gibt viele Fortschritte, aber nicht jeder Schritt ging Richtung Freiheit.
Brynjar