@*******wind
In der Tat wird die offene Beziehungsform nun wirklich niemandem in die Wiege gelegt. Höchstens einigen wenigen vielleicht, die im Elternhaus ähnliche Konstellationen vorgelebt bekommen haben. Aber die meisten sind vermutlich mit Eltern groß geworden, die monogame Beziehungen und Ehen gelebt haben und die auch vermittelt haben, dass dies die einzig akzeptable Art sei, Beziehungen zu gestalten.
Den Moment, in dem ein Mensch für sich erkennt, dass neben Monogamie auch andere Dinge möglich sein müssen, wird vermutlich jeder offen Lebende für sich anders beschreiben.
Für mich war das eine Erkenntnisentwicklung, die sich über einige Wochen und Monate hinzog und in dem Moment begann, als ich feststellte, dass ich meinen Beziehungspartner zwar liebte und mir ein Ende der Beziehung auch überhaupt gar nicht wünschte, aber dass ich gleichzeitig auch eine unbändige Lust auf gewisse andere Personen entwickelte. Es prickelte an allen Enden in meinem Leben und in mir erwuchs der damals noch absurd anmutende Wunsch: "Ach, könnte ich dem doch nachgeben. Ich habe eine solche Lust auf ein wenig Abenteuer, auf ein wenig neuen Input, auf ein wenig andere Haut, auf ein wenig neues Erleben, Fühlen, Schmecken, Riechen... " Ich habe diese Gedanken um und umgedreht, aber die Vorstellung, über diese Dinge mit meinem Partner zu sprechen, war völlig absurd und abwegig. Ich hätte damit die Beziehung sofort zerstört. Ich war damals mit diesem Mann 6 Jahre zusammen und ich kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass Monogamie und sexuelle Treue für ihn alternativlos waren.
Also ging ich fremd. Darauf bin ich nun wirklich nicht stolz, es fühlte sich nicht gut an. Ich meine, doch, das was ich erlebte fühlte sich verdammt gut an und ich möchte davon nicht eine Sekunde missen, aber es fühlte sich beschissen an, lügen und verschweigen und Geschichten erfinden zu müssen.
Sicher hätte ich verzichten können. Aber das wollte ich ganz offen gestanden nicht. Ich wollte mir all diese Wünsche und Lüste nicht verbieten müssen. Warum? Als Beweis für meine Liebe zu meinem Partner? Das hört sich so edelmütig an, aber so angefühlt hat es sich gar nicht. Im Gegenteil, die Wünsche rumorten nicht nur weiter in mir, sie machten auch, dass ich irgendwie sauer auf meinen Partner wurde, weil ich "ihm zuliebe" verzichtete. Dieser Verzicht ihm zuliebe, das ergab in meiner Gefühlswelt überhaupt gar keinen Sinn! Es machte nur argumentativ Sinn, aber vom Gefühl her eben nicht. Ich liebte meinen Partner nicht mehr als sonst, ich fing an, mich eingesperrt zu fühlen und un-lebendig. Ich fing an, die Verpflichtung zur sexuellen Treue als Korsett und als Käfig zu empfinden und diese negativen Gefühle vergifteten unterschwellig meine Beziehung. Das machte mich wahnsinnig traurig.
Meine Beziehung zerbrach schließlich daran. Nicht, weil er herausbekam, dass ich fremd ging, sondern weil ich mit diesem Gefühlszwiespalt nicht mehr zurecht kam. Ich wollte weiter mit ihm zusammen sein, aber ich wollte den Preis der sexuellen Ausschließlichkeit nicht mehr zahlen. Nicht, nachdem ich bemerkt hatte, wie unglaublich gut mir die Freiheiten taten, die ich mir da einfach heimlich nahm.
Dennoch - so nahm ich mir vor - musste es auch einen anderen Weg geben. Einen mit mehr Ehrlichkeit. Einen, wo im Vorfeld bereits offen darüber gesprochen werden darf, dass sexuelle Treue nicht um jeden Preis sein muss. Ich hatte unglaubliches Glück, einen Mann zu finden, der selbst bereits offen gelebt hatte - mit guten wie mit schlechten Erfahrungen - und der zumindest bereit war, mit mir ein offenes Modell zu diskutieren.
Es war für mich eine unglaubliche Erkenntnis, dass man sich von der Vorstellung, treu sein zu MÜSSEN und eine Beziehung, in der man nicht treu sein kann, beenden zu MÜSSEN, verabschieden kann und seinen ganz eigenen Weg finden kann, damit umzugehen. Dass es nicht in Stein gemeißelt ist, dass man, wenn man in einer Beziehung steckt, nur mit diesem einen Menschen schlafen darf. Dass man andere Wege finden kann.
Obwohl ich jetzt einen Partner habe, der Erfahrung damit hat, offen zu leben, war der Weg für ihn und mich ein ganz eigener und wir sind bestimmt auch noch nicht am Ende dieses Weges angekommen. Offenheit bedeutet für uns in allererster Linie Ehrlichkeit und Kommunikation. Und Mut. Denn es braucht auch jedes Mal immer wieder Mut, zu sagen: "Du, ich habe da jemanden getroffen, mit dem würde ich mir mehr wünschen als nur ein Glas Wein zusammen trinken..."
Wir haben ein Grundgesetz. Das lautet - und ich zitiere hier eine Forumskollegin, die das so wunderbar auf den Punkt formuliert hat wie es besser kaum geht - : "Den Heimathafen beschießt man nicht."
Das bedeutet erstens: man hat einen Heimathafen. Ein gefühlsmäßiges Zuhause. Eines. Ein festes. Heimat, das ist für uns ein Wort mit Gewicht. Genauso fühlt es sich an. Er und ich, das ist die Basis. Ohne eine stabile Basis geht gar nichts. Ohne das Vertrauen darin, dass wir zusammen gehören, wäre Offenheit für uns nicht möglich.
Zweitens bedeutet es, dass man diesen Heimathafen nicht schwächt und nicht angreift. Es bedeutet, dass man der Beziehung gegenüber schützend verantwortlich ist und dass diese Tatsache Vorrang hat vor allen Gelüsten, die man vielleicht sonst so hat. Mein Lebenspartner ist der, der da ist und der, den ich nicht verletzen will.
Der Tatsache gegenüber, dass er mich dennoch fliegen lässt, wenn ich mal fliegen möchte, empfinde ich eine so grundsätzliche und tiefe Dankbarkeit, wie sich sie noch nie zuvor für irgendetwas empfunden habe. Seine Erlaubnis und sein Wille, mich frei sein zu lassen, macht, dass ich ihn umso mehr schätze und liebe und macht ironischerweise auch, dass ich sehr viel weniger das Bedürfnis habe, diese Freiheit auch bis an die Grenze auszunutzen.
Es gibt Momente, da tue ich das. Und ich empfinde diese Momente als großes Geschenk.