Clinton ...
... hat aber zumindest nie mit besonderer Religiosität oder Moral geworben. Daher halte ich das Gspusi von Bill Clinton mit Monica Lewinsky weniger für einen Fall von Doppelmoral. Eventuell kann man einwenden, dass Clinton zwar nicht mit besonders hohen Moralvorstellungen, aber immerhin mit einer glücklichen Ehe und Familie geworben, und Wahlen u.a. auch deswegen gewonnen hat - angesichts der Tatsache, dass seine Frau ihm das, zumindest soweit es veröffentlicht ist, nicht besonders krumm genommen hat, greift das auch nicht besonders. Ich glaube, die Clintons leben eine Art offene Beziehung und würden daher gut in den Joyclub passen. Sie waren und sind mir immer sympathisch gewesen.
Ich meine sogar, dass der berühmte Spruch Clintons, er hätte keinen Sex mit seiner Praktikatin gehabt, um später einzuräumen, es hätte Oralverkehr gegeben, von sehr feiner Ironie geprägt ist. Denn in den Augen seiner puritanischen Feinde (und das sind sie wirklich - keine politischen Gegner im herkömmlichen Sinn, sondern richtig feindselig) ist Sex die Vereinigung von Penis und Vagina, idealerweise zwecks potenzieller Zeugung von Kindern. Oralverkehr ist in den Augen dieser Leute kein Sex, sondern etwas ganz Böses, fast schon Unaussprechliches. Daher ist Clinton gar keine Lüge vorzuwerfen.
Nun aber zurück zum Thema.
Ich fand den Artikel sehr gut, auch wenn er teilweise wütend geschrieben war und eher auf Männer losgeht als auf Frauen. Aber ist das so falsch? Ich kennen die Rituale bei Purity Balls nicht, aber ich kann mir die von der Autorin beschriebenen Handlungen bildhaft vorstellen. Hingegen kann ich mir nicht vorstellen, wie das Ritual bei Buben aussieht. Wer nimmt das Versprechen und den Schlüssel entgegen? Die Mutter? Also Mama passt auf, dass Bubi nicht vor der Ehe pimpert. Das ist im Bible Belt der USA, wo männliches Heldentum propagiert wird, wirklich nicht denkbar. Also passt der Vater auf die Jungmännlichkeit des Sohnes auf? Noch undenkbarer, weil es den Geruch des Homoerotischen hat, und der ist ja bekanntlich pfui.
Daher ist die Autorin in diesem Punkt aus meiner Sicht bestätigt.
Der Vorwurf, dass Mütter genauso auf die Jungfräulichkeit ihrer Töchter achten wie Väter, mag vielleicht stimmen. Ich glaube aber, dass selbst in dieser Gegend Frauen die Sache etwas pragmatischer sehen als Männer, die ihre Töchter als Prinzessinnen möglichst lange erhalten wollen. Ich mag mich aber durchaus irren. Frauen können sehr garstig sein. Haben sie ihre sexuellen Gefühle jahrelang unterdrückt und das für ehrbar gehalten, ist es für sie vielleicht eine Provokation, wenn ihre Töchter komplett andere Einstellungen haben und diese auch leben; bzw. kann es zur Haltung führen, dass das was der Mutter verwehrt blieb, auch die Tochter nicht genießen darf.
Ich unterstütze auch die Meinung, dass jede/r für sich entscheiden sollte, wie er oder sie das Sexualleben gestaltet.
Das hat mit Purity Balls aber sicher nichts zu tun - und das ist das Problem. Hier geht es darum, junge Mädchen auf ganz fiese Art zu indoktrinieren - wie die Autorin schreibt, ihnen einzureden, dass sie mit Jungfernhäutchen mehr Wert sind. Dass Sex grundsätzlich etwas Schlechtes ist, und nur ausnahmsweise, nämlich im heiligen Stand der Ehe, und auch nur dann wenn der Mann es will, gerade noch tolerierbar ist (eine Frau, die sich aus eigenem Lustempfinden dem Mann anbietet, ist ja selbst innerhalb der Ehe eine Schlampe).
Sexuelle Selbstbestimmung ist nach einer solchen Indoktrination schlichtweg nicht mehr möglich.
Die Gegenbewegung der 68er, nämlich die weitgehend freie Sexualität, wird jedoch von Feministinnen mittlerweile auch abgelehnt. Es ist wiederum von einem männlich dominierten Gesellschaftssystem die Rede, in der Frauen ständig verfügbar zu sein haben, da sie ansonsten als prüde, spießig, verklemmt gelten. Noch härter ins Gericht fahren Feministinnen mit aktuellen Entwicklungen, die aus der weitgehend freien und kostenlosen Verfügbarkeit von Pornographie herrühren, und diese Pornographie in den letzten beiden Jahrzehnten auch vermehrt den puren Sex ohne auch nur angedeutete Gefühle als Leitbild propagiert.
Das alles wirft die entscheidende Frage auf: Welche Art von gesellschaftlicher Struktur, welche Art von Erziehung kann Menschen tatsächlich dazu führen, ein wirklich eigenbestimmtes Sexualleben zu führen? Beispiel Frauen: Sex haben, wann man Lust hat, aber auch entschieden nein sagen zu können, wenn man es nicht will. Und das alles ohne die Konsequenz, entweder als Hure oder als als Spießerin dargestellt zu werden. Beispiel Männer: Seine Lust auszuleben, ohne sich selbst unter Druck zu setzen, dass sexueller Erfolg gleichzusetzen ist mit möglichst vielen Eroberungen.
Die Antwort ist einfach geschrieben, wenn auch nicht ganz so einfach auszuführen: Eine gesunde, geradezu mit Selbstverständlichkeit betriebene Sexualbildung und -erziehung, in der Sex und jede Art von Zärtlichkeit als etwas Schönes, Normales, Erstrebenswertes beschrieben wird; und das nicht in die Schule outgesourct, sondern im Elternhaus. Das beginnt aber schon damit, es vorzuleben. Einmal ehrlich: Wieviele Eltern küssen sich nicht in Anwesenheit ihrer Kinder? Warum nicht?
Das vorhin beschriebene ist aber nichts Wert, wenn nicht gleichzeitig eine Erziehung in Hinblick auf Selbstständigkeit, Selbstbestimmheit, Selbstvertrauen erfolgt. Und ich glaube, dieser Aspekt ist noch viel schwieriger umzusetzen als der erste. Aber das eine geht eben nicht ohne das andere.
Und wie schon erwähnt - geschrieben ist das alles viel, viel leichter, als dann tatsächlich umgesetzt.