Ehrlich gesagt, die Botschaft höre ich wohl, doch allein mir fehlt der Glaube!
Bitte, erzähl das doch mal ein bißchen detaillierter, wie ein solcher Flirt abläuft!
Mit Verliebtsein kann das ja wohl nichts mehr zu tun haben, sondern nur noch eine "sexuelle Interessengemeinschaft" sein.
t.
Den spöttischen Unterklang deines letzten Satzes ignoriere ich jetzt einfach mal und tue so, als ob du die Frage ernst gemeint hast ;).
Und: Tun wir mal so, als wären ein schöner Flirt und richtiges Verlieben
tatsächlich zwei verschiedene Paar Schuhe - und wir tun auch noch so, als ob man manchmal sogar flirtet nur um des Vergnügens willen, obwohl man noch keine tiefe Seelenverwandschaft und Sehnsucht nach Hochzeitsglocken verspürt. Wir tun mal so, als ob Flirts Spaß machen.
Und dann tun wir noch so, als ob Single-Frauen gerne flirten, ein, zwei, manchmal gar drei Mal in einer Woche, weil es einfach Spaß macht und weil man aktuell auch mit dem Single-Zustand und den zwei Affären parallel und den gelegentlichen One-Night-Stands zufrieden ist - schließlich hat man daneben auch noch echte und tiefe Freundschaften. Ist zwar nicht perfekt - aber vielleicht war die letzte Beziehung noch viel weiter weg von "perfekt" als dieser Zustand.
Wie könnte also jetzt so ein Flirt ablaufen, bei dem (nachdem es ein bisschen ernster wird) BDSM ganz beiläufig erwähnt wird?
Alle hier genannten Beispiele haben sich so tatsächlich zugetragen.
Beispiel eins:
Amber hilft Freunden beim Renovieren. Die Arbeit ist hart, aber der nette junge Mann im Wohnzimmer, mit dem sie sich die Streicherei dieses Raumes teilt, sieht gut aus und ist lustig. Beide lachen viel und machen sich einen Wettkampf daraus, wer härter und belastbarer ist und mehr schafft - natürlich mit einer Menge Geblödel. Während die anderen Pause machen, machen beide weiter und pushen sich gegenseitig. Die Sympathie wächst. Es steht auf einmal die Frage im Raum, ob man vielleicht mal einen Kaffee trinken will.
Merke: Zu diesem Zeitpunkt kennt man sich noch fast gar nicht, hat nur ein bisschen zusammen Wohnzimmer gestrichen, über Musik geredet und über die anderen geblödelt. Kaum eine Basis für ernsthafte Verliebtheit, aber dennoch ein schöner Flirt. Möglicherweise könnte aber mehr draus werden - man könnte ja mal Kaffee trinken und sich noch ein bisschen besser kennenlernen...
Beim Weiterstreichen redet man über dies, das und die Wochenendgestaltung. Amber will jetzt wissen, woran sie ist - und erwähnt beiläufig Freunde, die am nächsten Wochenende auf eine BDSM-Party gehen und dass sie da leider nicht mitkann. Ganz indirekt, aber das Thema steht im Raum. Amber hat deutlich gemacht, dass sie in diese Ecke gehört - jetzt kann sie seine Reaktion deuten.
Seine Reaktion ist deutlich: Er kann mit BDSM nichts anfangen, die bloße Vorstellung löst vages Befremden in ihm aus und stößt ihn eher ab. Amber merkt: So jemand wäre wohl nicht in der Lage, sie als das zu lieben, was sie ist. Darum geht es schließlich beim Kennenlernen: Passen wir zusammen? Kannst du mögen, was ich bin? Kann ich mögen, was du bist?
Beide streichen zusammen weiter, das Wohnzimmer wird fertig, man scheidet einvernehmlich und hat der persönlichen Bekanntenliste eine weitere sympathische Person hinzugefügt - aber Kaffee trinken oder eine Beziehung führen werden wir wohl eher nicht. Schade eigentlich. Denn wir hatten zusammen eine Menge gelacht.
Aber einmal gemeinsam eine Menge lachen ist wohl einfach noch keine Basis für eine Beziehung. Da muss der ganze Mensch stimmen, da müssen beide wirklich zusammenpassen. Sonst wird aus dem vorsichtigen Interesse ja nicht mal richtiges Bauchkribbeln geschweige denn Verliebtheit oder Liebe.
Beispiel 2:
Auf einem Vampire-the-Masquerade-Larp mit vielen Leuten findet immer wieder BLickkontakt zwischen Amber und diesem einen Typen statt, der so gut aussieht. Es prickelt ein bisschen. Immer wieder nähern sie sich einander, entfernen sich wieder - und auf einmal sitzen sie auf dem gleichen Sofa und unterhalten sich. Über dies, über das - der Typ trägt Lederhose, also geht es auf einmal im Gespräch um Fetisch-Mode. Von da ist es nicht mehr weit zu BDSM - zumal Amber ja auch weiß, dass der Typ, der ihn mitgebracht hat, in die Szene gehört. Sie hofft also, dass ihr Gesprächspartner keine Berühungsängste hat.
Zack, ist man bei dem Thema. Dies und das. Aus dem ersten vorsichtigen Prickeln wird ein warmer Strom aus Erregung - er sieht wirklich scharf aus. Bestimmt ist er menschlich auch sympathisch, aber daran kann Amber auf einmal gar nicht mehr denken. Ihre Hand liegt auf seiner Lederhose. Das Bein darunter fühlt sich gut an. Auf einmal denkt Amber nur noch an diesen Körper, schmilzt bei seinem Lächeln dahin, wird fast wahnsinnig, weil man hier so sittsam und neutral nebeneinander sitzt...
Dem Typen scheint das ähnlich zu gehen, auch er wird immer schweigsamer und spürt mehr und mehr Ambers Nähe. Dann, schließlich ist er ein ehrlicher Mensch, findet er irgendeinen Gesprächsschlenker und erwähnt seine Freundin und seine offene Beziehung in BDSM-Dingen. Amber schluckt, aber denkt sich: Hey, er ist ehrlich, der Flirt macht Spaß. Und ich trete keiner Frau auf den Rock.
SChließlich räkelt sie sich beiläufig, dabei gibt es noch mehr Körperkontakt, dann meint sie, dass es ihr hier zu warm wird und sie alleine nach draußen gehen wird, um ein paar Schritte zu machen. Sie braucht ein bisschen frische Luft. Sie wird da und da hingehen. Sie reckt und streckt sich noch mal vor ihm, damit er ihren Körper bewundern kann, sie spürt seine Blicke wie Feuer - und geht raus. Geht spazieren in eine Ecke des Geländes, die dunkel und schlecht einsichtig ist. Kurze Zeit später begegnet ihr ein anderer Mensch. Er trägt eine Lederhose. Es ist dieser Mensch. Seine Hand schließt sich wie ein Schraubstock um Ambers Handgelenk. Sie seufzt auf, versucht halbherzig, sich zu wehren - und wird an einen Baum gepresst, berührt, gestreichelt, in den Hals gebissen, bis sie aufschreit...
Nach einer halben Stunde ohne Sex taucht auf einmal Ambers Mitfahrgelegenheit auf, lacht: "Hier steckst du also! Wir müssen los, wir haben noch zwei Stunden Fahrt und es ist halb drei in der Früh. Sonst schaffe ich die STrecke nicht."
Amber verabschiedet sich von dem Typen und man sagt, dass man sich schon auf das nächste Treffen freut - aber beim nächsten Treffen einen Monat später brennt das Feuer irgendwie längst nicht mehr so hoch und es gibt keine Fortsetzung. Dennoch - diese Nacht war klasse.
Drittes Beispiel
Besagte Mitfahrgelegenheit, ein Freund, der Ambers Veranlagung kennt, möchte kuppeln. Er schlägt vor, dass Amber es mit einem bestimmten anderen Mann aus der LARP-Szene versuchen soll, der vor kurzem Single geworden ist und in Ambers Beuteschema passt. Er sagt, dass die beiden dadurch ein gemeinsames Hobby hätten, was nicht die schlechteste Basis für ein Kennenlernen sei.
Amber lehnt ab. Der Typ sah damals zwar gut aus, aber sie ist flüchtig mit seiner Ex-Freundin bekannt, und die hat erzählt, dass er WOW-süchtig ist. Sie hat zwar inzwischen nichts mehr mit der Exfreundin zu tun, aber sich nach deren Erzählungen aus zweiter Hand ein eher negatives Bild von diesem Mann gemacht.
Der Bekannte, die geschätzte Mitfahrgelegenheit, grinst in sich hinein und arrangiert die Fahrt zu einem Endzeit-Con, bei dem Amber und dieser Typ mitfahren. Außerdem lässt die Mitfahrgelegenheit die Andeutung fallen, dass der Single-Typ mit Ambers BDSM-Veranlagung harmonieren würde und sogar auch switcht. Amber horcht auf - aber nee. Das ist doch viel zu schematisch und vorgeplant. Nicht ihr Stil. Sie liebt die Menschen und den Augenblick. Das, was von alleine kommt und das, was gut ist.
Trotzdem chattet sie mit dem Single-Typen wegen einiger organisatorischer Fragen für den Endzeit-Con und der Frage, ob man sich vorher noch mal mit der Fahrtgruppe ein Softair-Training macht. Die beiden chatten weiter, über frühere Larp-Erfahrungen, gemeinsame Bekannte, gemeinsam abgelehnte Bekannte...
Auf einmal merkt Amber, dass dieser ihr vorher nur flüchtig Bekannte ihr menschlich richtig gefällt. Ihr fällt wieder ein, dass sie beim ersten Kennenlernen optisch ebenfalls sehr von ihm angetan war und sie mit ihm geflirtet hatte, bis sie einen missbilligenden Blick einer anderen Frau auffing und raffte, dass er vergeben war. Hmm. Auf einmal dauerte der Chat schon fünf Stunden oder länger, und beide waren die ganze Zeit nur am Chatten. Amber überlegt. Hmm. Vielleicht könnte man ihn doch mal kennenlernen.
Amber fragt ihn im Chat, ob er ihre gerade überarbeitete Kurzgeschichte Korrektur lesen mag. Er mag. Es ist eine BDSM-Geschichte, aber das nur sehr indirekt. Danach fragt Amber, was er von der GEwichtung hält - zu viel SM, zu wenig, was sonst? Der Chat verändert sich leicht. Amber bildet sich ein, dass die Luft prickelt, dass die Zeilen vibrieren. In das normale Chat-Gespräch mischen sich zweideutige Andeutungen.
Auf einmal will Amber das Gespräch persönlich führen - schließlich wohnt er im gleichen Ort und man kennt sich eigentlich ja tatsächlich schon seit zwei Jahren flüchtig. Er setzt sich in sein Auto, kommt vorbei, beide reden im Garten stundenlang miteinander, weil er nicht in Ambers unaufgeräumte Wohnung darf. Beide reden über Gott und die Welt, Hobbies, Arbeit, Träume, Lebensängste, Zukunft, Sorgen, nur das Thema vergangener Partnerschaften wird ausgeklammert...
Amber behauptet nachdrücklich, dass sie keine Beziehung will, aber dieser Typ sieht so gut aus. Schließlich muss er los - er arbeitet im Schichtdienst und hat Nachtschicht. Zum Abschied umarmt Amber ihn eng, ist erschrocken, dass sie ihn kaum loslassen kann, weil er so gut riecht. Seine Hände wandern bei der Umarmung unter ihr Shirt, kratzen leicht über Ambers Rücken, der Schmerz erregt sie als Masochistin. Er fragt, ob er stärker kratzen darf. Amber sagt ja - und er verpasst ihr vier später blutig unterlaufene Kratzspuren auf Höhe der Nieren. Schaut danach und sagt, wie schön es aussähe. Amber fühlt sich schön. Wertgeschätzt. Erregt. Sie ist fast gekommen dabei.
Sie schaut ihn von oben herab an und meint, er hätte sich viel zu viel herausgenommen. Auf einmal dominiert sie mit ihrem Blick und er ordnet sich unter. Alles nur mit Blicken und Körperhaltung. Auf einmal weiß Amber: Oh Gott, der ist auch noch Switch, der kann auch noch wie ich ganz spontan hin und her wechseln, scheiße, wie soll ich mich nur gegen ihn verteidigen?
Sie dreht sich um, rennt die Treppe zu ihrer Wohnung hoch und schaut nicht mehr. Eine halbe Stunde später fragt er sie im Chat, ob er was falsch gemacht hat (und kommt deswegen zu spät zur Arbeit). Amber sagt, er hat nichts falsch gemacht, sie war nur so verwirrt und überhaupt mag sie ihn überhaupt nicht und will ihn nie wieder sehen und er soll bloß zur Arbeit gehen und sie in Ruhe lassen...
Völlig verwirrt ruft der arme Mann den kuppelnden Bekannten an und erhält die Aussage, dass Amber ihn ganz offensichtlich mag und der Single-Mann Amber ruhig bald noch mal fragen soll, ob sie was zusammen unternehmen. Der bedauernswerte Single-Mann geht auf die Arbeit und denkt während der ganzen Nachtschicht an Amber.
Amber ist die ganze Nacht genauso wach wie er auf seiner Nachtschicht und denkt an ihn. Am nächsten Morgen geht sie zur Arbeit, und in der Mittagspause hält sie es nicht mehr aus. Sie fragt den kuppelnden Bekannten via Handy nach der Telefonnummer des Single-Mannes, ruft ihn an - und verabreden, dass der Single-Mann Amber von der Arbeit abholt und mit ihr ein Picknick am See machen wird, weil beide gerade pleite sind.
Der Single-Mann outet sich am See, dass er von BDSM keine Ahnung hat, weil er es nie ausprobieren konnte, aber er sei neugierig und offen. Beide halten sich an den Händen. Auf einmal muss Amber an das Scheitern ihrer letzten Beziehung denken. Sie hat Angst davor, dass ein anderer Mensch ihr wieder so wehtut, wenn sie ihn wieder so nahe an sich heranlässt. Aber es ist fast schon zu spät. Er hat das verschlossene Tor um ihr Herz überrannt, ohne dass sie es merkte. Viel zu schnell, viel zu heftig - sie hatte gar keine Zeit, Wälle hochzufahren und ihn sich erst mal in aller Ruhe anzuschauen und über das Für und Wider einer Beziehung nachzudenken. Es macht ihr Angst. Was, wenn sie wieder so liebt wie damals - und ihr wieder so wehgetan wird?
Auf einmal läuft eine Träne über Ambers Wange und dann noch eine. Sie schämt sich. Das ist keine Art für ein Date. Sie ist doch immer cool, abgebrüht und lustig. Doch die nächste Träne läuft trotzdem, ganz leise und unaufhaltsam. Der Single-Mann streichelt über ihre Haare. Amber legt den Kopf auf seinen Schoß. Der Augenblick ist völlig unsexuell. Das Wasser des Sees plätschert. Eine Blüte von dem Bäumchen, unter dem sie liegt, fällt runter und landet auf ihrer Wange.
*
Inzwischen sind die beiden verlobt und haben in guten und in schlechten Zeiten zueinander gehalten. Die anfängliche Aufregung hat ein bisschen Platz für gegenseitiges Vertrauen und gegenseitigen Respekt gemacht, aber wann immer der Beruf beiden die Zeit lässt, prickelt und kribbelt es immer noch. Ambers künftige Schwiegermutter ist den beiden in die neue Stadt hinterhergezogen, wohnt ein paar Häuser weiter und wird jeden zweiten Sonntag für Kaffee und Kuchen besucht. Amber und ihr Verlobter haben eine kleine Katze und werden irgendwann wohl auch Kinder kriegen - vielleicht dauert das gar nicht mehr so lange.
Der Kleiderschrank im Schlafzimmer und die Nachttischschubladen der beiden sehen sehr harmlos aus. Niemand muss sehen, was sich darin verbirgt. Das Badezimmer ist ebenfalls harmlos, wenn da nicht auf der Fensterbank auf einem Handtuch die abgewaschenen und desinfizierten Toys trocknen und noch nicht weggeräumt wurden. Denn leider sind beide nicht besonders ordentlich und lassen die Dinge gerne mal liegen, weil sie gerade so erschöpft von der Arbeit sind. Die Kerzen im Wohnzimmer brennen meist einfach nur der Stimmung wegen und nicht, um auf die Haut des anderen getropft zu werden, und der Deckenventilator im Schlafzimmer ist im Sommer sehr praktisch und gleichzeitig herrlich spießig-normal-pseudocool.
Amber und ihr Verlobter lachen manchmal darüber. Sie sind gerne ganz normal. Das reicht völlig aus. Peitschenstriemen kann man mit normaler Kleidung wunderbar verdecken, ein tiefer Kniefall mit Handkuss findet nur in den eigenen vier Wänden statt - man muss nicht provozieren. Das müssen nur Leute, die noch nicht in sich selber ruhen.
Trotzdem werden beide wahrscheinlich als nächste Anschaffung für die Wohnung Ringe und Ketten für die Schlafzimmerwand besorgen. Das wird praktisch sein und stylisch aussehen. Schließlich muss man ja auch nicht krampfhaft verstecken, was man ist - das Schlafzimmer sieht außer den beiden und sehr vertrauten Freunden ja keiner. Darüber kommt dann ein Riesenposter oder eine bedruckte Riesenleinwand von einem Wasserfall im brasilianischen Regenwalt oder so. Irgendwas Schönes mit Natur, Wasser und Wildheit. So was gefällt Amber. Es bringt etwas in ihr zum Klingen.