Verzeihung ist das Gegenteil von Anschuldigung
Schade, daß dieser wunderbare Thread eingeschlafen zu sein scheint. Ich würde mir wünschen, daß sich mehr jc'er hierher verirrten ... Selten habe ich so viele wertvolle und bereichernde Beiträge zu einem Thema gelesen. Herzlichen Dank der Thread-Erstellerin und allen Beitragenden, vor allem Florestine, die auf Seite 5 eine ausführliche Stellungnahme zu dem Thema abgegeben hat, die mich schwer beeindruckt und betroffen gemacht hat:
Beim Verzeihen geht es doch einerseits darum, ob man loslassen kann und dem anderen und sich selbst eine zweite Chance einräumt, andererseits um das „loslassen“ können, um unbeschwert in die eigene (eigenverantwortliche) Zukunft gehen zu können, zusammen oder allein. Im wahrsten Sinne praktisch gesehen: Einen NEUEN Weg einzuschlagen, unter neuen, "überarbeiteten" Voraussetzungen. [...]
Die Erfahrung soll ja nicht misstrauischer machen, sondern einen fähiger machen, Dinge so zu sehen, WIE SIE SIND, ohne Täuschung.. Damit MEHR Vertrauen in sich und die eigene Wahrnehmung zu bekommen, Ängste und Abhängigkeiten abzubauen.
Ent-Täuschung. Die grosse Entrüstung, die scheinbar unendlich große und nie enden wollende Verletzung, die Kränkung darüber, dass man angelogen, betrogen, hintergangen worden ist, vielleicht sogar Ent-Täuschung über nicht erfüllte Träume, Wünsche, Hoffnungen. Das kann mitunter genauso wirken, wie eine wahre Untat.
Heißt nichts anderes, dass ich vorher von falschen Tatsachen, Voraussetzungen ausgegangen bin, dass ich falsche Schlüsse gezogen habe. Täuschung, Illusion. Worin liegt die Täuschung und damit der Schmerz, den wir empfinden? Ist man nun getäuscht worden oder hat man sich täuschen lassen, hat man sich getäuscht.
Ich denke, es ist genau das: Nicht das Wahrhaftige, die Wirklichkeit gesehen, erkannt zu haben. [...]
Was schmerzt? Es ist die Ent-Täuschung, das Abschied-nehmen-müssen (ist es nicht eher eine Chance es zu dürfen, zu können?) von einer Vorstellung, die für uns Realität, manchmal sogar Grundlage für einen Lebensplan, eines Lebensgefühls war? Ent-Täuschung in Bezug auf eine Erwartungshaltung.
Ich bin gerade damit beschäftigt, die Ent-Täuschungen meines Lebens zu verarbeiten und möchte denjenigen, die mich ent-täuscht haben, nach Möglichkeit verzeihen. Ich glaube, daß mir erst Verzeihung die Möglichkeit gibt, MICH von der Macht dieser Menschen, deren Taten und Worte mich verletzt und gekränkt haben, ZU BEFREIEN und mich auf diese Weise vor neuen Verletzungen und Kränkungen zu schützen.
Nun bin ich grundsätzlich kein nachtragender Mensch und extrem harmoniebedürftig, weshalb ich auch eine hohe Bereitschaft zu verzeihen und mich zu versöhnen mitbringe. Aber ich mußte feststellen, daß Verzeihung manchmal erst dann Sinn machte, wenn ich den Schmerz und die Wut zugelassen und mich von demjenigen, der mich verletzt hatte, distanziert habe, sodaß mich seine Kränkungen nicht mehr treffen konnten. Solange das Messer, das mich verletzt hatte, noch in der Wunde steckte, konnte ich nicht wirklich verzeihen. Erst als ich es herauszog, merkte ich, daß der andere auch nur ein Mensch ist, auch nur ein verletztes Kind ist. Und ich merkte, daß er zwar genau wußte, was er tat, aber nicht, was er mir damit an-tat. Daß er mich nur klein machte, um an seine eigene Größe glauben zu können. Aus dieser Einsicht heraus konnte ich mich schließlich von Anschuldigungen und Anklagen ihm gegenüber lösen und ihm verzeihen.