Das Wegsehen ist meiner Erfahrung nach ein gängiges Mittel zu ignorieren das in der Nachbarschaft oder in der Familie die man kennt irgendwas nicht stimmt. Ich habe zehn Jahre in einer Ehe ausgeharrt in der alle die ich kannte wegsahen. Entweder wollten sie es nicht wissen, oder sie haben die Schuld auf mich abgewälzt. Und ich sage es nicht gern, aber Frauen sind da sehr oft die gemeineren. Sie sagen Dinge wie:
Du bist ja blöd das Du Dir sowas gefallen läßt,
oder: Ich hätte den Arsch längst verlassen. Du bist doch erwachsen. Unternimm was.
Du bist Dein Elend doch selber schuld. Was lebst Du mit so einem
Noch schlimmer sind die Äußerungen das man selber der Schuldige an der Situation wäre:
Was hast DU denn jetzt schon wieder gemacht?
Du solltest Deinen Mann auch netter behandeln
Du bist ja auch ein sehr schwieriger Mensch
Und das macht es Opfern schwer sich mitzuteilen. Die Scham und die Reaktionen der Umwelt sind nicht so angelegt das man von sich aus erzählt was da Zuhause abgeht.
Und von der ersten Ohrfeige bis zu stärkeren Attacken sehe ich persönlich keinen Unterschied. Es fing mit einer Ohrfeige an.
Um jemandem zu helfen der geschlagen wird bedarf es meiner Meinung nach einiger Dinge.
Dazu gehören sicher nicht solche Äußerungen wie: Wenn Du ihn nicht verläßt dann bist Du selber schuld.
Oder: Du bist ja auch doof das Du Dir sowas gefallen läßt.
Die Opfer brauchen einen Ort an dem sie sich wirklich willkommen fühlen. Ohne Angst und Vorwürfe. Ohne das Gefühl jetzt lästig zu sein.
Man geht sowieso erst wenn die Grenze im eigenen Inneren erreicht ist. Und das kann sehr lange dauern. Die Einsicht das man nicht schuld ist, das man nicht blöd ist, das man nicht so klein ist wie man sich machen läßt, kann unter Umständen viele Jahre dauern.
Sehr oft sind die Opfer finanziell und emotional sehr abhänigig. Frauenhäuser sind rar gesät. Ich konnte keins finden das nicht völlig überlaufen war und mußte sehr weit fahren, um überhaupt einen Unterschlupf zu finden. Ich mußte damals einen Versetztung beantragen um überhaupt weiterhin arbeiten gehen zu können. Aber auch dazu braucht man zumindest jemanden der einen telefonieren läßt. Und ein Telefonbuch. Wenn man das Haus nur mit dem nötigsten verläßt kann es schon daran scheitern. Ach ja, und kostenlos ist das Ganze auch nicht. Man benötigt auf jeden Geld um dort bleiben zu können.
Zu Helfen würde bedeuten: Die eigene Tür und das eigenen Zuhause auch zum hundertsten mal mitten in der Nacht zu öffenen. Den Eingelassenen weinen zu lassen, ihn zu trösten.
Überredungen den Mißhandler zu verlassen bringen gar nichts. Äußerungen wie schlecht der Mißhandler sich benimmt sicher auch nicht. Das Gefühl verstanden zu werden, sich nicht schämen zu müssen, zu glauben das man kein Störer ist, sind da weitaus hilfreicher.
Ich bin ungefähr dreißig mal abgehauen. Und jedes mal fühlte ich mich so unwillkommen, so sehr als Störer, so schrecklich unwohl das ich den Eindruck gewann das es Zuhause eben doch nicht so schlimm war wie ich glaubte.
Sprüche wie: Du wirst Dich auf jeden Fall mit ihm auseinandersetzten müssen...
Oder: Wie stellst Du Dir denn vor wie es weiter gehen soll...
Man hat keine Ahnung wie es weitergeht. Und in dem Moment will und kann man darüber auch gar nicht nachdenken.
Bestimmt ist es oft gut gemeint. Aber ich glaube einfach nicht das sowas hilfreich ist.
Außerdem finde ich es tragisch das man gerade in solchen Situationen sehr oft feststellen muß das man ganz allein da steht. Alle kennen das Paar gemeinsam. Oft will man sich nicht vorstellen das ein Part zu solchen Aktionen überhaupt fähig ist. Man ist ja mit beiden befreundet. Wie oft habe ich gehört:
Hier kannst Du aber auf Dauer nicht bleiben. Schließlich sind wir befreundet, Nachbarn, ich kenne aber seine Mutter oder sonstiges.
Es ist beschämend das zu sagen; aber so sind Menschen!
Von daher stelle ich für mich und viele andere Frauen in den Frauenhäusern fest:
Die Hilfe ist selten da wenn man sie braucht. Weil wegsehen leichter als einmischen ist.