Puhhh - schwierige Frage und noch schwierigere Antwort!
Ich habe mir jetzt die vielen Antworten und Beiträge auf Deine Frage mehr als interessiert durchgelesen und habe mich meiner Vergangenheit wieder erinnert.
Auch ich habe mich (ich war der Initiator, wenn man das so sagen kann) vor ca. 8 Jahren nach 7 Jahren Ehe und insgesamt 10 Jahren Beziehung von meiner Frau getrennt - und rückblickend sicherlich gute 2-3 Jahre zu spät.
Ich habe mich bereits in den letzten 2-3 Jahren und dann sehr oft später gefragt, warum es für diesen Entschluss so viel Zeit gebraucht hat, denn nachdem ich den Schritt gegangen bin, hat mein Leben wieder richtig begonnen.
Für mich sind es mit dem gewissen Abstand viele Gründe, warum es so lange gebraucht hat.
1.) Ich wollte meiner Frau nicht wehtun! Das mag jetzt sehr seltsam klingen, aber sie war die Person, die ich einmal geliebt habe (oder es zumindest glaubte). Sie war die Person, mit der ich viele schöne Sachen im Leben erlebt habe. Sie war die Person, die da war, wenn es mir schlecht ging. Sie war die Person, die mir geholfen hat, das zu sein, was ich heute bin.
Klar war das auch auf Gegenseitigkeit und klar habe ich auch all diese Dinge für sie erfüllt. Nichts desto trotz habe ich eine Trennung als schlimmste Verletzung des Partners gesehen - und das wollte ich nicht.
2.) Ich wollte, dass sie mich richtig versteht, warum es nicht mehr geht. Ich wollte, dass wir beide unsere Beziehung so sehen, wie ich ich sie alleine gesehen habe: nämlich als unrettbar gescheitert.
Wir haben sehr viel miteinander geredet als es den Bach runterging und ich habe ihr so oft versucht, deutlich zu machen, wie schlecht es mir geht. Aber sie hat mich nicht verstanden (oder auch nicht verstehen wollen), selbst als ich offen über eine Trennung mit ihr geredet habe. Für sie war alles nicht so schlimm und sie hat mich auch nicht wirklich ernst genommen. Eine professionelle Partnerberatung kam für sie nie infrage und ich wußte irgendwann nicht mehr weiter. So habe ich halt gewartet in der Hoffnung, dass es irgendwann bei ihr auch schnackelt.
3.) Ich hatte Angst vor dem Allein-sein und vor dem Aufgeben des schönen gewohnten Umfeldes (Wohnung, Freunde, ...).
4.) Ich mußte meine eigenen Wertvorstellungen überwinden. Ich war bis dahin immer jemand, der fest der Überzeugung war, dass eine Ehe ein Bund fürs Leben ist und dass Probleme immer bewältigbar sind. Wer sich trennt, der hat sich nicht wirklich um die Beziehung bemüht. Ich habe Freunde fast verteufelt, die sich von Ihrer Frau/Ihrem Mann getrennt haben und war mir sicher, dass mir das niemals passieren wird. Und erst recht hatte ich all die verteufelt, bei denen eine andere Frau/Mann mit im Spiel war, denn ein Fremdgehen selbst als ONS war für mich ein absolutes Tabu.
Es war für mich schwer, mir gegen diesen starken inneren Wert einzugestehen, dass es nicht unbedingt ein Zeichen von Unvermögen, mangelndem Willen oder ähnlichem ist, wenn man sich von seinem Partner trennt.
5.) Auch wenn jetzt manche verwundert reagieren: Es war der Gedanke, was denken die Anderen, die Familie, die Freunde, wenn Du "das Handtuch schmeisst". Wie so oft, waren wir bis zum Schluß für viele ein Vorzeigepaar.
6.) Es hat letztendlich der allerletzte Anstoß gefehlt. Bei mir waren es dann drei Dinge in kurzer Zeit, die mir geholfen haben, all die unter 1-5 genannten inneren Widerstände zu durchbrechen. Es war der plötzliche Tod meines Vaters mit 68 Jahren. Es war eine Kur, die ich wegen meines damalig extrem starken Asthmas (das psych-somatische lässt grüßen)gemacht habe und wo ich sehr viel Zeit hatte über mich und mein Leben nachzudenken. Und ich habe jemanden kennengelernt, wo ich gemerkt habe, was "prickeln" bedeutet und wie es anders sein könnte und wo dieses Prickeln stärker war als meine Überzeugung, dass so etwas ein absolutes Tabu ist.
Übrigens hat diese Beziehung knapp 10 Tage gedauert und war beendet bevor ich mich entgültig von meiner Frau getrennt hatte.
Heute verstehe ich jede(n), der mir erzählt, wie unglücklich er/sie vielleicht derzeit in seiner Beziehung/Ehe ist, es aber nicht beenden kann/möchte, obwohl sie unwiderruflich kaputt ist.
Und ich verstehe auch die, die eine andere Beziehung quasi "brauchen", um sich zu trauen loszulassen.
Eins noch: Gott sei Dank hatten meine Frau und ich keine Kinder. Denn wenn ich ehrlich zu mir bin, dann könnte es sein, dass ich den Absprung bis heute nicht geschafft hätte.
Aus heutiger Sicht jedoch würde ich gewiss nicht mehr diesen eigenen Zwängen unterliegen und Vieles, ja vielleicht Alles anders machen.