Also denn, auf "tausendfachen" Wunsch ...
(... den Cerberus zählt für uns doch glatt so viel wie tausend andere ...)
hier für alle das Interview (das darin empfohlene Buch können wir übrigens jedem nur anraten, es zu lesen!):
Auszug aus einem Interview von Daniel Goleman mit Tenzin Gyatso, dem 14. Dalai Lama (im folgenden nur D. L. genannt), geführt in Los Angeles im Jahr 2001 (anläßlich einer Tagung über menschliche Emotionen):
Kann und darf man jemanden wie Sie, seine Heiligkeit den 14. Dalai Lama, überhaupt zu Themen wie Liebe, Sexualität, Partnerschaft u. dgl. befragen?
D. L.: „Mir ist durchaus bewusst, Mr. Goleman, dass man mir unterstellen könnte, zu Themen wie Ehe, Liebe und Partnerschaft keine Meinung zu haben und kaum etwas sagen zu können, auch nicht zu den sogenannten modernen Beziehungen zwischen Frauen und Männern. Aber ich kann Ihnen versichern, dass ich oft bei westlichen Familien zu Gast bin. Und die meisten Menschen, die mich einladen, leben nun mal in wie auch immer gearteten Partnerschaften. Von daher habe ich sehr wohl Ein-blicke gewonnen, die mich allerdings, wie ich zugeben muss, leider oft sehr traurig oder zumindest nachdenklich stimmen.“
Was ist es genau, was Sie daran traurig oder nachdenklich stimmt?
D. L.: „Es fehlen unübersehbar in vielen Partnerschaften nicht nur Liebe, Verantwortung für den jeweils anderen und das, was ich als menschlich notwendige Nähe bezeichnen würde, sondern vor allem auch die Einsicht, dass dies alles notwendig ist, um eine gute Beziehung zu führen. Diese Menschen, so sehr ich sie auf anderen Bereichen auch schätze, sind hier zu bedauern, denn durch die fehlende Einsicht haben sie auch kaum eine Chance, ihr persönliches Beziehungselend zu verlassen. Viele Menschen haben heutzutage zwar kein Problem damit, für sich selbst zu sor-gen, doch sind ihnen andere gleichgültig. Sogar der eigene Partner soll, was seine Wünsche, Träume und Bedürfnisse anbelangt, gefälligst für sich selbst sorgen. Allzu schnell fühlt man sich mit den Hoffnungen, Wünschen und Erwartungen des Partners überfordert, anstatt es als eine Freude zu werten, für den anderen da sein zu dürfen. Lieber soll der andere sich um seine eigenen Dinge kümmern, heißt es häufig, dann kann ich mich um meine Angelegenheiten kümmern. Ich finde das traurig. Für mein Dafürhaben hat das nichts mit Partnerschaft zu tun und schon gar nicht mit Liebe, Respekt und Achtung. Es scheint vielmehr so etwas zu sein wie ein gegenseitiges Bekämpfen. Und das stimmt doch traurig, finden sie nicht auch?“
Wie meinen Sie das? Auch ein modernes Paar wird doch in der Regel gemeinsam an einem Strang ziehen, denke ich.
D. L.: „Das mag in manchen Fällen schon so sein, hoffe ich. Doch in vielen Beziehun-gen eben auch nicht, wie ich häufig festgestellt habe. Dort ist jeder darauf bedacht, so scheint es, auf gar keinen Fall mit seinen Bedürfnissen zu kurz zu kommen und auf möglichst wenig dem Partner zuliebe verzichten zu müssen. Manche verzichten, man mag es kaum glauben, weit bereitwilliger auf etwas, wenn es um gute Freunde geht, als dann, wenn es den eigenen Partner betrifft. Viele leben nach dem Motto: Der würde ja auch nichts für mich tun, also bin ich für ihn auch nicht da. Wo bleibt denn da die Liebe? es ist doch viel befriedigender, schöner und auch spirituell effektiver, so viel wie möglich für den anderen zu tun, unabhängig auch davon, ob er das für einen selbst auch tun würde oder tut - als nur für sich selbst zu sorgen. Viele Menschen haben offenbar vergessen, dass Geben allemal seliger ist als Nehmen, sie wollen nur noch haben und auf nichts verzichten. Das ist eine bedauerliche und trostlose Haltung zueinander, die weit davon entfernt ist, von mir als Liebe bezeichnet werden zu können.
Das ist natürlich in der Tat traurig. Sie haben auch die menschlich notwendige Nähe angesprochen. Was meinen Sie damit genau? Wenn zwei Menschen zusammen leben, dann sind sie sich doch nah.
D. L.: „Wenn es doch nur so wäre! Zu wahrer Nähe gehört auch ein gewisses Maß an Offenheit und an Bereitschaft, Nähe zuzulassen. Viele Menschen leben zwar gewissermaßen zusammen, sind sich aber keineswegs nahe, sondern haben dennoch Angst vor Nähe. Wenn ich, was immer wieder mal vorkommt, bei einem Paar eingeladen bin, das allein und somit ohne Kinder ein ganzes Haus bewohnt, und ich stelle dann fest, dass die beiden nicht einmal ein gemeinsames Schlafzimmer haben oder gar zwei, drei Bäder benötigen, dann stimmt mich das jedes Mal sehr traurig. Das müssen Sie sich mal so richtig bewusst machen: Diese Menschen können sich einander offenbar nur ertragen, wenn sie im Schlafzimmer oder Bad getrennt sind! Sie müssen sich dort aus dem Weg gehen, die Beziehung wäre sonst wohl ernsthaft gefährdet. Ist das zu fassen? Und es geht noch weiter: Unzählige Paare arbeiten den gan-zen Tag, verbringen also die meiste Zeit des Tages ohnehin getrennt. Dennoch müs-sen sie auch in ihrer Freizeit möglichst oft eigene Wege gehen, finden kaum noch Zeit füreinander. Würden sie sich ansonsten auf die Nerven gehen? Was sind denn das für Beziehungen? Das mögen gute Wohngemeinschaften sein, das will ich gar nicht bestreiten, aber es sind keine Ehen. Und das alles hat nichts mit Liebe zu tun. Weit über neunzig Prozent der Menschen in der Welt haben weder ein Schlafzimmer noch ein Bad, sie könnten sich dort nicht mal aus dem Weg gehen, selbst wenn sie es wollten. Sie kommen auch so miteinander zurecht. Und da leben doch tatsächlich zwei Menschen, die sich angeblich lieben, aber nicht mal ein Schlafgemach oder ein Badezimmer miteinander teilen können! Machen Sie sich das einmal bewusst:
Eine achtköpfige Familie wäre vielleicht froh über zwei Bäder, Toiletten oder Schlafzimmer. Doch wozu benötigen zwei erwachsene Menschen das? Mir geht es dabei nicht einmal um den unnötigen Luxus, das wäre noch ein anderes Thema. Doch warum können diese beiden so wenig Nähe zulassen und ertragen? Das macht mich immer überaus traurig, und ich habe stets das Gefühl, für diese Menschen um Liebe beten zu müssen.“
Nun kann man das auch anders sehen, wenn ich mir diesen Einwurf erlauben darf. Was soll denn die gestresste Frau machen, die sich beispielsweise vom Schnarchen ihres Mannes derartig gestört fühlt, dass sie einfach nicht mehr neben ihm schlafen kann? Ich weiß, das mag in ihren Augen eine sehr banale Frage sein, aber für viele Menschen sind solche Probleme durchaus wichtig.
D. L.: „Sie sprechen da einen bemerkenswerten Punkt an, Mr. Goleman, den ich keineswegs banal finde. Bleiben wir einen Moment bei diesem Beispiel, weil vieles daran deutlich wird. Mir fällt immer wieder auf, dass sich Paare an Eigenschaften des jeweils anderen stören, die sie zu Anfang der Beziehung keineswegs als störend empfunden haben. So hat der Mann in Ihrem Beispiel vermutlich schon geschnarcht, als die Frau ihn kennengelernt und sich in ihn verliebt hat. Doch damals war die Freude, endlich die Liebe und Nähe eines anderen Menschen gefunden zu haben, groß genug, um eventuell störende Kleinigkeiten zu übersehen oder aber ihnen keine allzu große Bedeutung beizumessen. Doch nach ein paar Jahren kann man diese Eigenschaften am anderen kaum noch ertragen, so wenig, dass man nicht einmal mehr neben ihm schlafen kann. Beleuchten Sie diesen Aspekt einmal sehr aufmerksam, dann wird Ihnen etwas Wesentliches auffallen. Und denken Sie dabei auch an all die Menschen, die mit der gesamten Familie in einem einzigen Raum schlafen müssen. Das ist immerhin der bei weitem überwiegende Anteil der Mensch-heit. Stellen Sie sich vor, was los wäre, würden diese Menschen sich von den Gerü-chen, Geräuschen u. dgl. von den anderen gestört fühlen! Sie können sich nicht aus dem Weg gehen, selbst wenn sie es wollten! Doch wozu auch? Denken an sie die Frauen, die trotz des Schnarchens ihres Mannes selig in seinen Armen liegen und friedlich schlafen. Was mag da wohl der Unterschied zu dem Paar sein, das Sie angeführt haben?“
Es scheint keine wirklich Zuneigung und Vertrautheit mehr zwischen den beiden zu sein. Ich werde darüber nachdenken. Zu diesem Thema, nämlich der fehlenden menschlichen Nähe in der heutigen Zeit, gibt es übrigens ein bemerkenswertes Buch: „Auf der Suche nach dem verlorenen Glück“ von Jean Liedloff …
D. L.: „… das ich mit Vergnügen gelesen habe und jedem nur empfehlen kann. Alle Lebewesen, die zueinander gehören oder gar in Liebe einander zugetan sind, suchen im Grunde nach dieser verlorenen Nähe, und das hat zunächst noch nichts mit Liebe, Sex und Fortpflanzung zu tun. Aber die meisten verwehren dem anderen diese Nähe, vor allem ihren Partnern. Warum? Vielleicht weil sie selbst zu viel Angst davor haben, dass sich ihre geheimsten Träume erfüllen könnten? Oder weil sie es dem Partner nicht gönnen, dass er etwas bekommt, auf das man selbst so lange hat ver-zichten müssen? Warum auch immer, ich weiß es nicht und darf mir da kein Urteil erlauben. Was ich aber mit Bestimmtheit sagen kann: Genau an diesem Punkt ver-sagen viele westlichen Therapeuten und Esoteriker!“
Ein überraschender Wechsel zu einem anderen Thema! Sie meinen also, dass westliche Therapeuten und Vertreter der esoterischen Szene Unsinn reden? Habe ich das so richtig verstanden?
D. L.: „Das würde ich niemals behaupten, Mr. Goleman. Sie alle geben sich gewiss Mühe, nur das Beste zu tun, doch sie tun es auf eine missverständliche Art. Sie konzentrieren sich zu sehr auf die Stärkung des Ego. Doch wozu muss ich in einer ohnehin auf Individualität und Egoismus getrimmten Gesellschaft das Ego der Menschen stärken? Es wäre viel angebrachter, Eigenschaften wie z. B. Hingabe, Demut, Verantwortung für andere und für das Ganze zu fördern und ihnen unser Augenmerk zu schenken. Ein zweiter Fehler scheint mir zu sein, dass wertvolle Erkenntnisse und In-halte oberflächlich vermittelt werden. Ich will Ihnen gerne zwei bekannte Beispiele nennen: Bestärkt ein Therapeut seine Klienten darin, mehr auf ihre Gefühle zu achten und zu ihnen zu stehen, dann sagt er nicht mehr als genau das, was es bedeutet. Er behauptet keineswegs, dass man seine Gefühlsregungen auch unbedingt und je-derzeit ausleben muss. So wird es aber oft fälschlicherweise aufgefasst, ohne darüber in der notwendigen Tiefe und Konsequenz nachzudenken. Natürlich soll man seine Gefühle wahrnehmen, sie beachten und zu ihnen stehen, das ist auch ein wichtiger Aspekt der buddhistischen Betrachtungsweise von Emotionen. Würde aber jeder, der z. B. voller Zorn ist, ihn nicht nur wahrnehmen, zu ihm stehen und ihn sich - auch im besten buddhistischen Sinne - sehr genau anschauen, sondern ihn gleich ausleben, dann wäre das entsetzlich. Und würde er dann auch noch darauf verweisen, dass ihm sein Therapeut das geraten habe, befände er sich auf einem schrecklichen Irrweg. Oder nehmen Sie als zweites Beispiel die in westlichen Therapien übliche Ansicht, dass man sich selbst stets so annehmen soll, wie man nun mal ist. Schauen wir uns das mal genauer an, dann stellen wir fest, dass man dies auch so interpretieren könnte: Man braucht sich nicht zu verändern, muss auch nicht wachsen und reifen und darf getrost so bleiben, wie man ist. Leider wird das auch oft so aufgefasst und umgesetzt - was aber nicht richtig sein kann. Insofern richten also viele Therapeuten in der westlichen Welt erheblichen Schaden an, selbstverständlich ohne das zu beabsichtigen. Es wird einfach, wie heute üblich, auch mit therapeutischen Erkenntnissen und esoterischem Wissen oberflächlich, ja flüchtig umgegangen. Und das ist gewiss nicht gut.“
Kommen wir zurück zum Verhalten der Menschen, die sich in ihren Beziehungen nicht mehr wohl fühlen oder nach Nähe suchen. Was ist nach Ihrer Meinung der Hintergrund all der angesprochenen Probleme?
D. L.: „Wissen Sie, all diese vermeintlich modernen Paare sind eigentlich bedauernswert. Da streben sie so sehr nach persönlicher Unabhängigkeit in ihren Partnerschaften, nach Selbstständigkeit und Freiheit. Da glauben sie, innerhalb einer Ehe noch ihr jeweils eigenes Leben führen zu müssen und pochen darauf, möglichst oft ohne ihren Partner etwas zu unternehmen. Aber sie alle sind in ihrem Beharren eigentlich zutiefst unfrei und weit entfernt von wahrer Liebe. Sie bemerken offenbar nicht, dass ihr Stre-ben nach Unabhängigkeit und Freiheit nichts weiter ist als ihre geradezu panische Angst vor einer wahrhaft tiefen Liebe, die größer sein könnte als ihr sorgsam gehüteter Egoismus. Hingabe und Demut sind bei den Paaren der westlichen Welt fast schon Fremdwörter. Egoismus, Selbstverwirklichung und die vorrangige Befriedigung der eigenen Bedürfnisse rangieren weit vor dem Gemeinwohl einer Ehe. Und so wundern sich die Menschen darüber, dass sie in ihren Beziehungen oft unglücklich und letztlich gemeinsam einsam sind. Und sie sehnen sich nach wahrer Liebe, die sie aber durch ihr eigenes Verhalten unmöglich machen und von vornherein ausschließen, weil sie Angst davor haben. Nehmen wir ein harmloses und alltägliches Beispiel: Heute ist es doch so, dass viele Paare sich darum streiten, wer heute den Abwasch besorgt oder andere Hausarbeiten erledigt. Wahrhaft liebende Paare würden allen-falls darüber diskutieren, wer dem anderen heute diese ungeliebten Arbeiten abneh-men darf, und sei es nur, um ihm eine Freude zu. Ich versichere Ihnen, das in neunundneunzig Prozent aller Paare darüber noch niemals über diese Möglichkeit nachgedacht wurde geschweige denn, dass es getan wurde. Davor, seinen Egoismus zu überwinden, für den anderen da zu sein und ihm Freude zu bereiten, auf welchem Bereich auch immer, davor haben viel bedauernswerte Menschen offensichtlich entsetzliche Angst. Sie könnten ja zu kurz kommen, fürchten sie womöglich. dabei würden sie erst dann zu dem finden, wonach sie sich so sehr sehnen.“
Selbstverständlich ist das nur zu beklagen. Wir würden Sie es denn gerne sehen, dass zwei Menschen eine gute Partnerschaft führen?
D. L.: „Ganz einfach, Mr. Goleman. Wenn zwei Seelen sich in diesem Leben in Liebe annehmen, können sie sich aufs Höchste in ihrem Fortkommen gegenseitig fördern und sich gemeinsam vervollkommnen. Welches Paar lebt denn schon noch nach dieser Maxime? Stattdessen handelt jeder für seine eigenen Ziele, sorgt nur noch für sich selbst und trifft ausschließlich seinen ganz persönlichen Entscheidungen. Die
meiste Zeit unterlassen es viele Paare heutzutage, das einzig wahre, das höchste Ziel anzustreben und zu verfolgen, nämlich dem anderen auf seinem Weg beizustehen. Gemeinsamkeiten, so denn überhaupt welche vorhanden sind, beschränken sich auf Äußerlichkeiten und die jeweiligen persönlichen, oberflächlichen Eitelkeiten. Der ursprüngliche Wille, den Weg durch dieses Leben gemeinsam zu gehen, ist längst einem skrupellosen Egoismus gewichen und einer lächerlichen Angst, in der Befriedi-gung seiner eigenen Bedürfnisse zu kurz zu kommen. Statt angemessene Ausdrucks-formen für liebevolle Gefühle zu suchen und danach zu streben, die Gemeinschaft zu festigen und zu fördern, pflegt man lieber seine jeweiligen Freundschaften außerhalb der Beziehung, seine Hobbys, sein Berufsleben und so weiter. Oft wird das auch noch durch oberflächliche und sich an modischen Tendenzen - wie z. B. dem Feminismus oder dem Drang nach Selbstverwirklichung - orientierende Therapeuten unterstützt, ich habe bereits darauf hingewiesen. So werden die Herzen der Menschen mit immer mehr Ichbezogenheit gefüllt. Das Leben wird immer sinnloser und unglücklicher. Und das, so scheint mir, ist gewiss der falsche oder zumindest kein guter Weg.“ [b]*[/b]