Auch 'kleine' Übergriffe können tief sitzen...
Bei mir ist es zwischen 24 und 27 Jahren her, bevor ihr lange rechnet also im Alter zwischen 5 und 8 soweit ich mich erinnere, und hat mich leider bis heute tief geprägt. Wie tief habe ich eigentlich erst in den letzten 1,5 Jahren gemerkt, als Sexualität plötzlich in meiner Ehe unerwartet zum Problem wurde. Denn bei den Fragen nach dem warum und wieso, bin ich echt aus allen Wolken gefallen. Ich bin der Typ der vor allem bei Problemen erstmal bei sich sucht, und da bin ich dann auch kräftig fündig geworden… Und ich dachte, ich hätte das alles längst hinter mir gelassen!
Dabei waren die 3-4 Episoden, die mir passiert sind gar nicht groß der Rede wert – das habe ich mir selbst auch immer schön eingeredet. Ich bin ja ‚nur’ etwas belästigt worden. Mal angefummelt, mal musste ich anfassen, mal stand mir jemand splitterfaser auf dem Spielplatz gegenüber. "Passiert doch jeder mal"...
Was mir bis heute am meisten leid tut ist, dass ich das damals niemandem erzählt habe und allein für mich mit einer kindlichverqueren Wahrnehmung da raus bzw. allein weiter gegangen bin. Ich hatte doch ganz tolle Eltern und Großeltern, mit denen hätte ich über alles reden können. Aber ich war so ein verdammt sensibles, taktvolles und empathisches Kind. Keine Ahnung, wo ich das her hatte, keine meiner Bezugspersonen hat mir das Gefühl gegeben, nicht mit ihnen reden zu können. Ich hatte traumhaft liebe Menschen um mich. Ich glaube manchmal, ich wollte diese liebevolle, geborgene Nest nicht beschmutzen..
Ich wusste damals bezüglich der Belästigunen nicht so genau, WAS da passiert war, nur das das was ‚Schlimmes’ war und das ich dass meinen Eltern und Großeltern nicht sagen wollte, weil sie sich dann Vorwürfe machen würden und es ihnen nicht gut geht. In dem Alter natürlich nicht so klar formuliert für mich, aber ich erinnere mich noch sooo genau an das Gefühl und instinktive Verheimlichen und MICH schämen. Natürlich hat einer der Kerle auch gesagt: 'das darfst Du niemandem erzählen, Du bis ganz böse und schlecht'. Meine ersten Geschreibsel sind bezüglich meiner Denkweise auch schon sehr aussagekräfig: ‚Mamma hat mich gehaut un geschimft, aber sie had so fiele So(r)gen’… (Mein Ma hatte mir nur einen kleinen Klaps gegeben und die Situation war ungerecht – nicht das jemand hier denkt, sie hätte mich richtig geschlagen). Sie hat mein erstes Tagebuch irgendwann mal gefunden und – insofern kann ich mich im nachhinein nur bestätigt fühlen - sehr geweint und geschämt dafür. Ich habe es auch gebracht hinzunehmen, dass meine Ma dachte, ich hätte ihr was aus dem Portmonaie gemobst, als ihr ein 5DM Stück fehlte. Denn ich hatte – in kindlicher Naivität und Denken – meinen 10 DM Schein von Oma in ihre Börse getan, von denen ich aber 5 DM behalten wollte, also als ‚Wechselgeld’ das 5DM Stück wieder herausgenommen… Wir hatten damals finanzielle Sorgen. Ich mochte ihr dann die Wahrheit nicht sagen, weil ich dachte, dann schämt sie sich, das ihr Kind ihr Geld gibt, da war ich so 9 oder 10.
Ich erzähle das, weil diese Denke und Verhalten mich auch in meiner Sexualität und nun mit meinem Mann bis heute begleiten und es mir sehr schwer fällt, davon loszukommen bzw. los zu lassen. Diese Angst die Gefühle des geliebten Menschen zu verletzen, ihn in eine unangenehme Situation bringen. Meiner Ma habe ich bis zu ihrem frühen Tod nicht von den Belästigungen und so Geschichten wie mit der Geldbörse nix erzählt. Zum Teil dachte und denke ich auch, WOZU? Zum anderen Teil denke ich manchmal, ob das nicht für uns beide gut gewesen wäre, zumal sie selber als fast noch Baby schlimm vom Vater missbraucht wurde und mir davon erzählt hat. Ich weiß nicht, die menschliche Psyche ist echt komplex und immer ein Stück weit auch individuell. Aber wenn ich darüber nachdenke, sehe ich es heute so, dass ich uns allen auch eine Chance genommen habe. An Nähe und Verstehen. Und dass meine Mutter mir mit Sicherheit geholfen hätte und vieles in meinem Leben anders gelaufen wäre.
Bei mir ging die Entwicklung meiner Sexualität dann sehr zwiespaltig von statten. Ich vermute mal, das mich diese ‚Übergriffe’ zwar erschreckt haben, aber zu einem – und sei er noch so klein – Teil auch erregt und neugierig. Ich denke mal vor allem aus dieser Unsicherheit und Unwisseneheit heraus. Ich wusste nicht unbedingt, das das was ‚Schlechtes’ war, nur so eine instinktive Ahnung, dass das von dem anderen nicht ok war. Daraus bin ich mit gemischten und wie gesagt widersprüchlichen Gefühlen hervorgegangen und das ist sicher der Knackpunkt und für mich problematischste Teil bis heute. Alles, was damit zu tun hat ist 'schlecht', wenn ich das mag, bin ich 'schlecht. Daher kam das ‚Schämen’. Einerseits instinktiv spüren ‚hier passiert was schlechtes’ andererseits ‚davon was gut finden’. Das alles im nebulösem Zustand des Kindseins.
So habe ich im weiteren Verlauf heimlich interssiert Tamponbeilagen gelesen und in dem Kinderaufklärungsbuch gestöbert, dass meine Eltern mir mal geschenkt haben. Habe heimlich an mir rumgespielt. Mich dabei aber eben auch sehr, sehr geschämt und schlecht gefühlt. Zumal meine eine Schamlippe dann etwas größer wuchs als die andere, was ich natürlich sofort auf meine harmlose Selbstentdeckung schob. Für die Schamlippe schäme ich mich eigentlich bis heute. Echt bitter.
Je nun. Jungs spielten bei dem ganzen bei mir dann sehr spät eine Rolle. Als mich mein erster Schwarm mit 14 plötzlich auf Zunge küsste oder später dann unter das T-Shirt ging, war ich völlig überfordert und geschockt. Das war doch das verbotene, heimliche. In dem Moment mir sicher nicht so klar, aber ich wollte mir und vor ihm bloß nicht zulassen, das mir davon was gefällt. War wie starr. Ich hatte dann meine ersten platonischen ca. 3 ‚Beziehungen’, die ich grob und aus heiterem Himmel jeweils nach genau 4 Wochen ohne große Erklärung beendete. Die Jungs tun mir bis heute unendlich leid. Viel später war mir klar, das ich aus Selbstschutz und Angst gehandelt hatte, also vorzeitig zum Rückzug geblasen, sobald es mir irgendwie auch nur ein Stückchen in intimere Richtung ging. Über das warum konnte ich mit keinem reden. Wie auch, zu dem Zeitpunkt war mir das gar nicht klar und schön tief verdrängt und verbuddelt. Im nachhinein erinnere ich mich erschrocken und nachdenklich an aufgeritzte Hände und sonstige kleinere Selbstverletzungen… Gefangen in meinem großen Zwiespalt.
So langsam kam mein Kopf hinterher. Küssen und Sex war gedanklich kein Abstrusum mehr, sondern durch die Umwelt als was ‚Dazugehörendes’ erkannt von mir. Mit 16/17 war ich dann zum ersten mal ‚richtig’ verliebt und es kam zur ersten echten Beziehung, die dann auch 7 Jahre dauerte. Sexuell gerade er für mich leider nicht der Glücksgriff. Ich war immerhin soweit, das ich mir der Geschehnisse aus meiner Kindheit bewusst war und der Folgen für mich. Der Typ war 7 Jahre älter und der erste Mensch, dem ich schließlich davon erzählt habe. Dass ich überhaupt soweit kam, lag sicher auch daran, das er an Sex gar nicht so groß interessiert war. Wobei, um nicht ganz böse zu klingen, er mir sicher auch bewusst Zeit gelassen hatte, da er ahnte, dass ich noch keine Erfahrung hatte. Das gab mir den nötigen Freiraum, bis der Druck bei mir wuchs, klären zu müssen, warum bei uns da noch nix läuft nach 3 Monaten und ich ihm erzählt habe, was mir passiert ist und ich deswegen Zeit bräuchte.
Ich denke so was ist für einen Mann auch sehr, sehr schwierig. Das sitzt die Freundin vor einem und erzählt einem so was und wie soll man nun damit umgehen, sich verhalten, was sagen? Er war sichtlich überfordert, aber ganz lieb. Das einzige was etwas blöd war, war dass für ihn vor allem wichtig war, das ich nicht ‚richtig’ vergewaltigt worden war. Ich kann es nicht beschreiben, da ist frau sicher auch überempfindlich, aber daran hatte ich irgendwie zu knabbern und fühlte mich als ‚mach aus Mücke Elefanten’ wenn ihr versteht, was ich meine.
Je nun, auf gings dann noch 2 Monate später über mein erstes mal hinein in mein Sexleben. Nicht berrauschend: „was ist daran jetzt so toll?’ , aber es ging und war nicht schlimm und ich wollte mehr. ABER immer noch geprägt von mich für meine Bedürfnisse schämen. Bis zu meinem ersten Orgasmus mit Mann hat es über 6 Jahre gedauert! Weil ich mich nicht dazu äußern konnte und nicht zeigen konnte. Ich habe mich Stück für Stück vorgearbeitet, musste jeden Schritt mühsam und quälend teils mit langem Briefeschreiben erkämpfen. Denn leider war der Typ trotz seines Alters nicht so erfahren und auch schlichtweg faul und nicht sonderlich interessiert ES mir schön zu machen. Im Nachhinein, vor allem nach Gesprächen mit meinem jetzigen Mann, bin ich sicher, dass ich ihm mit diesem Urteil auch ein Stückchen unrecht tue. Sicher werden das Folgende einige Partner von Opfern bestätigen können: Auf Partnerseite herrscht auch eine große Unsicherheit, Verantwortung und Last. Man möchte den anderen nicht überfordern und denkt aus Taktgefühl auch in die Richtung, das die Opferpartnerin auf Grund ihrer schlimmen Erfahrungen gar keine große Lust an Sex hat und das nur IHM (IHR) zu Liebe tut. Das ich dann auch meine Lust möglichst versteckt habe, hat sicher auch nicht ermutigt und angetörnt...
Mein Grundproblem gewachsen aus den Übergriffen in meiner Kindheit ist und war jedenfalls, dass ich einerseits sehr sinnlich-leidenschaftliches Interesse an Sex hatte und habe – ich könnte täglich und alles mögliche ausprobieren – aber mich gleichzeitig furchtbar dafür geschämt habe. Und Angst vor Abfuhr und Ablehnung hatte. Ein 'iiih, ne, das ist ja pervers' hätte mich sexuell 'getötet'. So konnte ich meine Bedürfnisse nicht annehmen, schon gar nicht darüber reden, erst recht nicht zeigen… Manchmal fühl(t)e ich mich in mir selbst gefangen. Schüttel den Kopf hilflos über mich selber. Weiß vom Kopf her mittlerweile, dass ich ‚normal’ bin, das alle meine Bedürfnisse ok sind, rein gar nicht ausgefallen oder außergewöhnlich und keinesfalls was ‚schlechtes’ – trotzdem fällt es mir so schwer da raus zukommen, mich fallen zu lassen, mich gehen zu lassen. Es sind schon die 'harmlosen' Dinge, die ich nicht hinkriege, wei mich oral verwöhnen zu lassen. Ich schäme mich dafür, das es mir gefällt und habe Angst, das es IHM unangenehm ist.
Es sind immer viele Dinge die zusammenkommen. Und ich denke ich bin langsam aber sicher auf dem Weg in die richtige Richtung. Aber ähnlich wie mit meinem ersten Orgasmus mit Mann, wird das wohl Jahre brauchen und ist mühsam von mir Stück für Stück zu erkämpfen. Obwohl ich es vom Kopf her besser weiß, kann ich nicht anders.
Ich habe den wundervollsten, großartigsten Menschen als Ehemann an meiner Seite. Trotzdem sind wir nach einem leidenschaftlichen Anfang rapide ins sexuelle Aus geraten. Viel davon konnten wir in den letzten 1,5 Jahren, nachdem ich ‚aufgewacht’ bin und das ganze thematisiert habe auseinanderklamüstern und verstehen.
So bitter teilweise. Ich erzähle nur kurz noch die Highlights mit Bezug hierzu, das würde sonst den Rahmen sprengen:
Ich hatte auch ihm von den Geschichten in meiner Kindheit und Problemen erzählt. Ihn hat das ausgebremst und verunsichert - unausgesprochen. Er hatte schon mal eine Freundin, die vergewaltigt worden war und war von den Erfahrungen mit ihr geprägt diesbezüglich. Er hat – ohne bei mir nachzufragen – gedacht, ich hätte deswegen kein großes Interesse an Sex und würde das nur ihm zu liebe tun, war er nicht wollte für mich. Das Gefühl habe ICH ihm natürlich selbst gegeben, weil ich mich im Betts so verschämt zurückgehalten habe und ihm meine Lust nicht gezeigt. ICH habe gedacht, ER hat kein großes Interesse mehr, vielleicht Probleme, weil 11 Jahre älter. Himmel bewahre, das ich ihn in eine Situation bringe, in der ER dann nicht kann. Beide neigen wir zu einem übersteigendem Taktgefühl, so das das unterschwellig passiert ist, ohne offen an- und ausgesprochen zu werden… Man möchte den anderen ja nicht in eine unangenehme Situation bringen. Die andere überraschende Erkenntnis war: Auch er hat Probleme mit seiner Sexualität und damit, über seine Sexualtiät zu reden.So hat er sich heimlich mit Pornos ‚ausgelagert’ auch weil er wegen Problemen im Job so gestresst und runter war, das er tatsächlich das Interesse und Energie für Sex verloren hatte und herausfinden wollte, OB ihn das noch interessiert. Für mich war es bequemer zu verdrängen und mich selber zu streicheln, auch ich habe meine Bedürfnisse aus unserer Beziehung ausgelagert. Usw. usf. Bis ich die Pornos entdeckt habe und eben ‚aufgewacht’ bin und über alles nachgedacht habe, sowie angefangen zu reden…
Ist das nicht blöd? Wir wühlen uns da langsam aber sicher raus so gut wir beide können und finden wieder zu auch intimer Nähe zurück. Mit Rückschlägen und Stück für Stück, aber es wird. Ich für meine Teil war entsetzt, wie tief die Erlebnisse noch bei mir sitzten und mich geprägt haben. Ich dachte, DAS Thema hätte ich schon lange abgehakt...
Geholfen hat mir das Forum hier, Bücher und viel Aufarbeitung mit mir selber. Das alles was ich oben geschrieben habe, ist mir jetzt erst so richtig klar geworden. Deswegen kann ich mich nicht von heute auf morgen ändern, aber ich bin Meilen weiter.
Als Dank an Euch meine lange Geschichte.
Eurer Minchen