Leidenschaft und die Frage vom Ursprung der Neigung
Hallo,
Ich bin mit hanjie durchaus einverstanden und teile grundlegend seine Sichtweise. Leider kann ich auch scirocco555 mit seinen Fragen gut verstehen.
Hier noch ein paar Gedanken um die Diskussion vielleicht weiter zu entwickeln in Richtung Ursprung der Neigung denn diese Frage ist letztlich ja auch in der Frage enthalten wie man ein guter Dom wird.
Wenn man den Argumenten von hanjie folgt sind Talent und Neigung zwei entscheidende Faktoren.
Die Frage nach dem TALENT habe ich ja bereits angesprochen. Klar, Talent ist besser, und bringt den schnelleren Start und vielleicht ein höheres Mass an Perfektion. Es ist aber meiner Meinung nach nicht ununmgänglich. Fehlendes Talent kann man Ausgleichen durch Übung, Geduld und Leidenschaft. Womit wir ja bei der Leidenschaft wären.
LEIDENSCHAFT hingegen ist schon eine andere Hausnummer. Die ist da oder nicht. Das sehe ich ein. Allerdings wage ich mal ein paar etwas verwirrende Fragen :
Ab wann ist denn Leidenschaft für ein Thema präsent?
Kann Leidenschaft angeboren sein ? Talent denke ich ist angeboren, aber Leidenschaft ?
Was bringt bei einem Menschen die Leidenschaft zum Keimen ?
Meine Meinung hier (und die gilt nur für mich) : Leidenschaft ist das Produkt der Sozialisierung und der Selbstverstärkung. Diese Begriffe verwende ich übrigens in diesem Kontext wie folgt.
Zur Sozialisierung : Das was wir gut können, was andere an uns bewundern oder loben, das bilden wir mehr aus, dem geben wir in unserer Persönlichkeit mehr und mehr Raum. Was andere an uns weniger mögen, das wird durch deren Reaktion auch in unserem Verhalten eher gehemmt. Der Kontakt zur Aussenwelt, prägt also unsere Leidensbereitschaft für ein Verhalten um Anerkennung zu kämpfen oder nicht. Ich glaube, dass die Leidenschaft zu Dominieren auch auf diese Weise geweckt wird, oft schon im sehr jungen Alter. Und wenn der Stein der positiven Verstärkunge einmal ins Rollen gekommen ist dann hat er Tendenz immer schneller zu rollen. Ich glaube auch dass diese Erstdominanz nicht gleich sexuelle Züge hat sondern 'noble' Alltagsdominanz ist. Wie normale Führungsstärke und dominante Ausstrahlung letzlich durch die Reaktionen der Umwelt zu einer sexualisierten Dominanz wird kann ich nicht sagen aber ich glaube dass es da einen Weg gibt der bereits im Asexuellen beginnt.
Zur Selbstverstärkung : Das was wir als angenehm empfinden suchen wir zu wiederholen, zu intensivieren, Unangenehmes wird vermieden. Bei Dominanz ist jenseits der positiven Reaktion der anderen (Sozialisierung) auch der Faktor des eigenen Lustempfindens (körperlich und intelektuell) von entscheidender Bedeutung. Was unser Lustempfinden über das Normalmass steigert wird wiederholt, was weniger Lust auslöst wird weniger häufig angestrebt. Bei der Frage wie es zur Sexualisierung der Dominanz kommt, könnte ich mir vorstellen dass "zufällig" ein alltagsdominantes Verhalten an den Tag gelegt wird und die dafür erhaltene Verstärkung durch Dritte mit einem Moment sexueller Spannung zusammenfällt. Das eine Thema färbt quasi mehr oder weniger zufällig das andere ein. Daraus ergibt sich dann der Doppelkick : Sexualität und Dominanz, ein Kick der bei mir zum Beispiel grösser ist als die jeweiligen Komponenten einzeln. Die aber auch beide einzeln auftreten können (Vanillasex und berufliche Verantwortung zum Beispiel). Da der Kick grösser ist als das Normalmass wird das Verhalten immer mehr ausgebaut, Dominanz wird immer häufiger sexualisiert. Die Grenze in der Ausprägung sind dann gesellschaftliche Normen die man ebenfalls in Sozialisierungsprozess erlernt hat.
So, oder so ähnlich, stelle ich mir den Ursprung der Neigung vor. Ob es denn stimmt oder nicht ist mir eigentlich auch relativ egal.
Dieser gedankliche Ansatz zum Ursprung der Neigung hat aus meiner Sicht nämlich zwei entscheidende Vorteile :
Erstens : Mit dieser Sichtweise wird die Neigung zu Dom-Dev durch normale Persönlichkeitsentwicklung erklärt. Viele andere Erklärungsversuche basieren sich auf einer 'Trauma-Theorie'. Wer sieht sich schon gerne das Produkt eines sexualisierten Traumas ?
Zweitens : Durch diesen Ansatz wird in keinster Weise ausgeschlossen dass man Dom-Dev-Interesse auch noch deutlich später entdecken kann ohne gleich mit der Neigung geboren sein zu müssen. Auch wenn ich mich zu denen zähle die diese Neigung schon "immer" in sich trugen (ich kann mich nicht an eine Zeit ohne Dominanz erinnern) so gibt es doch noch viele mögliche Stufen dazwischen. Was die eigene Neigung angeht bleibt somit das Persönlichkeitsmuster flexibel, es ist nicht starr. Auch was die Partnerwahl angeht lebe ich mit diesem gedanktlichen Ansatz besser denn selbst eine weniger devote Partnerin kann sich ja "zufällig" mehr in diese Richtung entwickeln. In einer Zeit in der viele BDSMler gerade bei der Wahl Ihrer Partner oft sehr stark durch ihre Neigung eingeschränkt sind (ich zähle hier eindeutig dazu) ist dies ein positiver Gedanke der die Suche nach der Nadel im Heuhaufen etwas aufhellt.
Lange Rede kurzer Sinn. Wie dem auch faktisch sein mag, ich denke bewusst nicht wie Wired-Brain dass die Neigung da sein muss. Im Gegenteil, ich denke dass sie natürlich manchmal da sein kann. Es ist aber genauso gut möglich, dass sie sich in den später Erfahrungen entwickeln kann (durchaus auch sehr schnell). Ähnlich ihrem Beispiel, dass eine DEV bestehendes beim DOM wachruft. Nur mit dem Unterschied, dass man auch Dinge wachrufen kann die vorher noch nicht bestanden. Wenn es denn funkt, dann keimt die Neigung und die Fackel der Leidenschaft beginnt immer mehr zu brennen. Recht theoretisch ... meine Güte ... aber für mich ein angenehmer Gedanke. Allerdings ist es wenn es denn so ist mit einem hohen Mass an Verantwortung verbunden. Denn, man kann Leidenschaft für die Neigung auch bei bislang unbeteiligten Personen wecken, manchmal sogar ohne sich dessen bewusst zu sein. Das Thema Spielen in der Öffentlichkeit oder in Haushalten mit Kindern wird dann ungleich komplizierter. Aber das ist ein anderes Thema.
So, ich hoffe ich bin nicht zu sehr vom ursprünglichen Thema abgerutscht.
In diesem Sinne,
Belgier